Joachim Bauer und die Evolutionstheorie
20. Januar 2009 - 09:54 UhrIch hĂ€tte nicht gedacht, dass âDas kooperative Genâ von Joachim Bauer /1/ einen solchen Wirbel unter den Bloggern auslösen wĂŒrde. Leider konzentriert sich die Debatte mehr um seinen Untertitel âAbschied vom Darwinismusâ als um das Wesen der Sache. Ich weiĂ ja nicht, was sich Bauer bei dieser wenig glĂŒcklichen Formulierung gedacht hat, Aufmerksamkeit hat er damit jedenfalls erreicht, den AnstoĂ zu einer ernsthaften Auseinandersetzung hat sie jedoch noch nicht gegeben. Nicht dass die âAutorenâ mancher Verunglimpfung nicht gelegentlich amĂŒsant sein könnten, das intellektuelle Niveau der Debatte um die Evolutionstheorie haben sie nicht befördert.
Muss eigentlich jede Verteidigung des Darwinismus und der Evolutionstheorie darin bestehen, seine Kritiker zu diffamieren? Kann man nicht einmal die Frage erörtern, warum eine Kritik eines Darwinismuskritikers die bestehenden offenen Probleme der Evolutionstheorie nicht löst? Aber dazu mĂŒsste man anerkennen, dass die Evolutionstheorie offene Probleme hat. Damit meine ich nicht Detailprobleme innerhalb der Theorie, wie die AufklĂ€rung des einen oder anderen Stammbaumes. Solche Probleme können gelöst werden, ohne die Grundlagen der aktuellen Theorie in Frage zu stellen.
Bauer greift aber eben diese Grundlagen an und eben das ist wohl der Grund fĂŒr die heftige Reaktion. Die empirischen Daten, die er mitteilt und die von den verschiedensten Wissenschaftlern ermittelt wurden, sind wohl unbestritten. Bauer begeht aber das Sakrileg zu versuchen, diese Daten in ein anderes theoretisches System der Evolutionstheorie einzuordnen, weil er meint, dass das theoretische System der Mainstreambiologie ungeeignet zur ErklĂ€rung der Evolution ist.
Nun scheint es offensichtlich zu sein, dass die Entwicklung der Evolutionstheorie an einem Punkt angelangt ist, an dem die Frage nach der Weiterentwicklung der grundlegenden Theoreme der Theorie selbst ernsthaft diskutiert werden muss. Solche Phasen treten in der Entwicklung jeder weitreichenden wissenschaftlichen Theorie auf. Sie wurden von Wissenschaftstheoretikern wie Kuhn, Feyerabend oder Suchotin beschrieben. Das Theoriebewusstsein fĂŒhrender Evolutionstheoretiker scheint diesen Umstand jedoch noch nicht zu reflektieren. Die traditionelle Biologie versucht immer noch, auch âwiderspenstigeâ neue Daten in das traditionelle theoretische System der synthetischen Theorie einzuordnen /5/ oder möglichst nicht zur Kenntnis /6, 7/ zu nehmen. Nur in diesem Zusammenhang verstehe die teilweise wĂŒtende Reaktion auf Bauers Buch und gewisse Gegenreaktionen. Da nimmt sich Bauers Antwort vergleichsweise moderat aus.
Die Evolutionstheorie basiert auf zwei essentiellen Inputs: Mutation und VerĂ€nderung der Umwelt. Nur wenn beide Bedingungen gegeben sind, können sich durch Auslese Populationen und Arten verĂ€ndern. VerĂ€ndert sich die Umwelt nicht, fĂŒhrt auch keine Mutation zur Evolution, die Auslese wirkt stabilisierend, wie viele Mutationen auch stattfinden.
Diese beiden essentiellen Inputs werden in der Evolutionstheorie nun als zufĂ€llig angesehen, d.h. es können keine Ursachen angegeben werden, aus denen erklĂ€rt werden kann, welche Mutation oder welche UmweltverĂ€nderungen stattfinden wird. Nicht dass man fĂŒr Mutation oder UmweltĂ€nderung keine Ursachen kennen wĂŒrde, nur wirken diese in Bezug auf die zu erklĂ€renden Evolution zufĂ€llig. Sie sind der zu erklĂ€renden Evolution Ă€uĂerlich und erklĂ€ren sie so letztlich nicht. Die Evolutionstheorie ist also noch immer eine Theorie, die ihren Gegenstand zwar gut beschreibt, ihn aber nicht erklĂ€rt.
Mit diesem Zustand einer ihrer grundlegenden Theorien wollen sich immer mehr Biologen nicht abfinden. Sie suchen nach Möglichkeiten, Mutation und UmweltĂ€nderung aus dem Leben und seiner Evolution selbst zu erklĂ€ren. Bei der UmweltĂ€nderung liegen inzwischen hinreichend viele Daten vor, die belegen, dass auch entscheidende VerĂ€nderungen der Umwelt von den Lebewesen selbst verursacht werden und so erklĂ€rbar sind. So ist die Erkenntnis, dass der Luftsauerstoff und der Erdboden Resultate der TĂ€tigkeit der Lebewesen sind, inzwischen Lehrbuchwissen. In der Theorie der Evolution werden sie jedoch als SonderfĂ€lle abgehandelt, wĂ€hrend die fĂŒr die Evolution zufĂ€lligen geologischen Prozesse als die notwendigen Ursachen angesehen werden. Hier kann nur ein Paradigmenwechsel helfen, in dem die geologischen Prozesse nicht als notwendige, sondern als zufĂ€llige und die Evolution letztlich störende Ereignisse verstanden werden. Nur eine solche Theorie kann erklĂ€ren, wie die Evolution als notwendige Form des Lebens selbst stattfinden kann und welche Umwege sie infolge zufĂ€lliger geologischer und kosmischer Ereignisse genommen hat. Interessante Gedanken zu diesem Aspekt findet man beispielsweise bei Morris âLife’s Solutionâ /5/ oder in Gutmanns âDie Evolution hydraulischer Strukturenâ /6/
Entsprechendes gilt auch fĂŒr den Faktor Mutation. Mutationen sollten nicht mehr als zufĂ€llige Fehler, sondern als notwendige Folgen des Lebens selbst dargestellt werden. Damit wird nicht gesagt, dass Ă€uĂere Einwirkungen wie Strahlung oder WĂ€rme keine Mutation auslösen können, sie sind aber keine wirklich erklĂ€renden Faktoren, sondern stören das VerstĂ€ndnis der Mutation als Eigenschaft des Lebendigen nur. In die BemĂŒhungen um ein solches VerstĂ€ndnis ordne ich Bauers âkooperatives Genâ /1/ ein, aber auch beispielsweise âDie Lösung von Darwins Dilemmaâ von Kirschner und Gerhart /7/.
Bei jedem Versuch, ein verbreitetes Paradigma, zu verlassen, steht man nun vor der Frage âWie sag ichÂŽs?â. Die Terminologie des aktuellen Paradigmas ist meist nicht geeignet, sondern deren Benutzung fĂŒhrt in der Regel dazu, dass das Neue nicht mehr darstellbar ist, weil der Leser es in seiner traditionellen Lesart rezipiert. Neue Termini werden nicht nur oft missverstanden, sondern bleiben oft auch unverstanden und sind den verschiedensten, manchmal auch bösartigen Unterstellungen ausgesetzt, zumal der Autor auch selbst noch oft mit dem Worte ringt.
Die Frage, wer denn nun die Evolution nicht versteht, Bauer oder Meyer, scheint mir noch offen. Das Problem, um das es â jedenfalls mir - wirklich geht, ist einer grĂŒndlicheren Diskussion wert.
15.2.2009: Nachtrag
Im Blog “Studium generale” gibt es eine umfangreiche Berichterstattung zu Simon Conway Morris.
/1/ Bauer, Joachim (2008): Das kooperative Gen * Abschied vom Darwinismus, Hoffmann u.Campe, Hamburg
/2/ Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
/3/ Feyerabend, Paul (1986): Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, ZĂŒrich
/4/ Suchotin, Anatoli Konstantinowitsch (1980): KuriositĂ€ten in der Wissenschaft, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, ZĂŒrich
/5/ Morris, Simon Conway (2003): Life’s Solution / Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge University Press, New York und Melbourne (deutsch: Morris, Simon Conway (2008): Jenseits des Zufalls * Wir Menschen im einsamen Universum, University Press, Cambridge)
/6/ Gutmann, Wolfgang Friedrich (1995): Die Evolution hydraulischer Strukturen * Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung, University Press, Cambridge
/7/ Kirschner, Marc. W.; Gerhart, John C. (2007): Die Lösung von Darwins Dilemma