Archiv für Mai 2008


Freier Wille

15. Mai 2008 - 10:56 Uhr

Die Diskussion um den freien Willen erhĂ€lt durch immer neue neurophysiologische Experimente nach dem Muster Libets immer wieder neue Nahrung. LĂ€ngere Diskussionen findet man beispielsweise in „Medlog“, „Der Quantenmechaniker“, in „Brights – Die Natur des Zweifels“ oder „Neurowissenschaften“.

Beim Lesen der einzelnen BeitrĂ€ge fĂ€llt mir die mangelnde Tiefe des verwendeten Begriffs des freien Willens auf. Dieser Begriff steht ohne Einordnung in eine Hierarchie und ohne BezĂŒge zu etwaigen nebengeordneten Begriffen nahezu frei im Raum. Kategorien wie etwa „Wille“ ohne prĂ€dikative Bestimmung, oder die umgangssprachlich ĂŒblichen Formulierungen „eigener“ oder „fremder“ Wille spielen in der Diskussion keine Rolle. Mehrfach wird in verschiedenen Blogs die Frage nach einer Definition des Begriffs des freien Willens gefragt, manchmal wird auf spĂ€ter vertröstet, meist aber verhalt sie in den Weiten der Blogwelt. Gelegentlich wird als die dem freien Willen nebengeordnete Kategorie „Determination“ genannt, wobei auch diese nur als „KausalitĂ€t“ verstanden wird. Andere Formen der KausalitĂ€t werden nicht erörtert und der Gedanke, der Wille könnte auch als spezifische Form von Determiniertheit verstanden werden, liegt ganz außerhalb des Denkbaren. In dieser Form kann der freie Wille nur als akausal verstanden werden und muss in die Gefilde der Metaphysik verwiesen werden.

 

Was die theoretische Tiefe betrifft, muss zum ersten angemerkt werden, das in der Regel Erörterungen dazu fehlen, wessen PrÀdikat der freie Wille sein soll. Ist der freie Wille eine Eigenschaft des menschlichen Gehirn oder eines Teils davon? Ist er vielleicht die Eigenschaft eines bestimmten neurophysiologischen Prozesses? Oder ist er eine Eigenschaft des Menschen als Ganzes? Kann der Mensch diese Eigenschaft allein oder nur in Gesellschaft, in Gemeinschaft mit anderen entwickeln? Ist der freie Wille also eine soziale Kategorie, die (auch) soziologisch zu erforschen ist?

Und schließlich ist zu fragen, wie sich diese Eigenschaft entwickelt hat. Gibt es biologische Vorformen des Willens, die sich im Verlauf der Evolution allmĂ€hlich zum freien Willen entwickelt haben?

In der Biologie tritt die Frage nach dem Willen in Gestalt der Diskussion um den Behaviorismus auf. Bereits Lorenz hat kritisiert, dass“… niemand unter den Mechanisten je nachsah, was die Tiere, sich selbst ĂŒberlassen, tun, konnte auch unmöglich einer von ihnen bemerken, daß sie spontan, d.h. ohne Einwirkung Ă€ußerer Reize, nicht nur etwas, sondern sogar sehr vielerlei tun.“[1] Im Unterschied zu den Experimenten des frĂŒhen Behaviorismus wird den Menschen nun gesagt, zwischen welchen Entscheidungen zu wĂ€hlen haben. Was sie ohne diese Aufforderung freiwillig tĂ€ten, bleibt offen.

Wenn man nach der evolutionĂ€ren Herkunft des Willens sucht, sollte man Konzepte aufgreifen, die TĂ€tigkeiten von Tieren untersuchen, die diese aus sich heraus vollziehen. „Spontanes Verhalten“, „Trieb“ oder „Instinkt“ sind Termini, die Prozesse beschreiben, die VorlĂ€ufer menschlicher Willenshandlungen sein könnten. Wenn nicht die, welche dann? Und Björn Brembs von der FU Berlin scheut sich nicht, bei dem von ihm experimentell untersuchten spontanen Verhalten von Taufliegen einen eigenen Willen zumindest fĂŒr möglich zu halten.

Solange die Mainstreambiologie willentliches Verhalten bei Tieren ausschließt, kann der freie Wille des Menschen nicht evolutionĂ€r erklĂ€rt werden. Er kann nur  aus einem unbekannten Nichts plötzlich ĂŒber den Menschen kommen oder seinem biotischen TrĂ€ger durch einen Schöpfer verliehen werden. Aber, so muss man dann fragen, kann freier Wille ĂŒberhaupt geschaffen werden? Könnte man also eine Maschine bauen, die ĂŒber einen freien Willen verfĂŒgt? Kann ein verliehener (geborgter) Wille freier Wille sein?

Es ist klar, dass diese Fragen durchaus unterschiedlich beantwortet werden können. Aber die Antwort, die der Einzelne gibt, bestimmt, was die Experimente sagen, ĂŒber die aktuell diskutiert wird. ZunĂ€chst muss das theoretische Konzept klar sein, aus dem die Hypothesen abgeleitet wurden, die durch die experimentellen Daten verifiziert werden sollen. Solange es beliebig ist, in welchen theoretischen Zusammenhang experimentell gewonnene Daten gestellt werden, ist auch ihr theoretischer Wert beliebig. Sie beweisen und widerlegen nichts. Sie sind „schlimmstenfalls noch nicht einmal falsch“ [2].

 

[1] Lorenz, Konrad (1992): Über tierisches und menschliches Verhalten - Gesammelte Abhandlungen II, S.129

[2] Laughlin, Robert B. (2007): Abschied von der Weltformel, Piper & Co. Verlag, MĂŒnchen, ZĂŒrich, S. 248f.

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