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Der tut nix, der will nur spielen!

11. Juni 2008 - 09:51 Uhr

Wem ist das nicht schon von einem Hundebesitzer glaubhaft versichert worden? Und wem hat ein Katzenbesitzer nicht schon erklärt, dass seine Katze einen eigenen Willen hat und macht, was sie will. Und glücklich kann sich schätzen, wem es noch nicht widerfahren ist, dass sein Auto mit ihm gemacht hat, was es wollte, als er plötzlich auf Blitzeis stieß!

In der Alltagserkenntnis sind das selbstverständliche Beschreibungen, die von keinem bezweifelt werden, jedenfalls solange er keine Blogdiskussion über den freien Willen gelesen hat, in der ihm von höchster Autorität versichert mitgeteilt wird, er habe gar keinen freien Willen. Dann wird er sich natürlich fragen, ob denn ein Hund einen Willen haben kann, wenn schon er und der Besitzer des Hundes keinen haben sollen.

Er atmet zunächst auf, wenn er in anderen Beiträgen liest, dass der Mensch natürlich einen freien Willen hat, weil er nämlich über Bewusstsein verfügt und der freie Wille eine Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins ist.

Ja aber, fragt er sich dann, hat der Hund denn ein Bewusstsein? Oder die Katze? Gut – mein Auto hat wohl kein Bewusstsein, es hat aber trotzdem gemacht was es wollte! Und wie ist das mit Björn Brembs Fliegen, sie haben wohl einen Willen, haben sie aber auch ein Bewusstsein?

Und wenn es wirklich keinen freien Willen gibt, was haben die Neurowissenschaftler dann untersucht? Den freien Willen offensichtlich nicht, denn den gibt es ja nicht, und was es nicht gibt, kann man wohl auch nicht untersuchen.

Bleiben wir mal bei meinem Auto. Ich nenne „Wille“, was ich nicht beeinflussen und nicht aus physikalischen Anfangsdaten vorher sagen (berechnen) kann. Das heißt nicht, dass das ein anderer nicht könnte. Das Verhalten meines Autos ist auch bei Blitzeis physikalisch determiniert. Der Terminus „Wille“ beschreibt also eigentlich keine Eigenschaft des Autos, sondern nur meine physikalischen Kenntnisse. Wenn ich sage, es mache was es wolle, muss ich meine mangelnden Fähigkeiten nicht zugeben!

Ähnlich scheinen sich manche Neurophysiologen auch die Determination des menschlichen Verhaltens vorzustellen: aus den physikalischen und chemischen Anfangsbedingungen des Nervensystems lässt sich prinzipiell das Verhalten des Individuums vorhersagen (berechnen). Das aber wollen sie nicht „freier Wille“ nennen. Dem kann ich zustimmen, und dann haben weder der Hund noch die Katze noch Björn Brembs Fliegen einen eigenen Willen und mein Auto schon gar nicht.

Das aber stellt die Frage nach unserem Tierbild. Sind Tiere tatsächlich ein willenlose Wesen, deren Verhalten einem vorgegebenen Programm folgt? Wenn dem so wäre, könnte ich ja dem Hundebesitzer glauben, der dieses Programm „Wille“ nennt, aber meine Erfahrung sagt mir, dass der Hund ja auch beißen können wollte, und wer weiß schon, was der Hund wirklich will?

Aber auch wenn dem so wäre, dann rechtfertigte nicht einmal die Evolutionstheorie die Annahme, dass auch Menschen willenlose Wesen, Automaten sein müssen. Irgendwann im Verlaufe der Menschwerdung könnten sie ja den freien Willen erworben haben.

Ganz offensichtlich ist die Kategorie des Willens zwischen physikalischer Determiniertheit und Zufall angesiedelt. Das ist es auch, was Brembs bei der Untersuchung der Bewegungen von Taufliegen (Drosophila melanogaster) feststellte. Bei fehlenden optischen Orientierungsmöglichkeiten müsste bei der Steuerung der Bewegung durch ein vorgegebenes Programm die Bewegung immer in eine Richtung führen oder – bei Steuerung durch Reize - müsste die Richtung statistisch zufällig wechseln. Es trat aber weder das Eine noch das Andere ein. Die Fliegen zeigten vielmehr ein Bewegungsmuster das dem eines Suchenden Menschen gleicht. Dieser durchquert schnell große Distanzen über offenes Terrain um dann an vielversprechenden Orten unter schnellen Richtungswechseln mögliche Ressourcen zu suchen. Sie zeigen also ein Verhalten, das eher volitive Qualitäten aufweist.

Qualitäten dieser Art sind aber in der Sprache des physikalischen Kausalitätsparadigmas nicht darstellbar. Ihre Beschreibung erfordert Kategorien wie „Subjekt“, „Tätigkeit“, „Wille“ u.ä., die eher in der Psychologie gefunden werden, dort aber keiner kausalistischen Interpretation zugängig sind. Hier müssen Biologie und Physik ihr Begriffssystem noch deutlich vervollständigen, um die Verbindung zwischen Physik und Chemie einerseits und des Geisteswissenschaften andererseits herzustellen. Schließlich sind es die Subjekte als stofflich-energetische Entitäten, welche den Geist hervorbringen, und das willentlich – oder nicht?

 

3 Kommentare » | Freier Wille, Kausalismus, Psyche, Subjekte