Kategorie: Allgemein


Über den Erkenntnisbegriff

14. Mai 2012 - 10:11 Uhr

Erkenntnis und RealitÀt

Auch Piaget hat ĂŒber die Frage nachgedacht, wie Erkenntnistheorie nicht als Philosophie sondern als Objektwissenschaft betrieben werden kann. Er meint, dass Objektwissenschaften sich im Unterschied zur Philosophie u.a. dadurch auszeichnen, dass sie nicht die Erkenntnis als Ganzes untersuchen, sondern einen abgegrenzten Bereich des Erkennens.

„Der Gegenstand der Philosophie ist die TotalitĂ€t der Wirklichkeit. Sie umfaßt die RealitĂ€t der Objektwelt. die RealitĂ€t des Geistes und auch die Beziehungen zwischen diesen beiden Welten. Insofern kann sie ĂŒber keine spezifischen Methoden verfĂŒgen, außer der reflektierenden Analyse. …

Im Gegensatz zur Philosophie steckt sich eine Wissenschaft ein begrenztes Ziel. Eine rechtmĂ€ĂŸige Wissenschaftsdisziplin ist sie erst, wenn es ihr gelingt, eine solche Abgrenzung vorzunehmen. Indern sie nach der Lösung spezieller Fragen sucht, erarbeitet sie sich eine oder mehrere spezifische Methoden, die gestatten, neue Fakten zu sammeln und die Interpretationen innerhalb des vorher abgegrenzten Forschungsabschnitts zu koordinieren.“ /1/

Auf diese Weise erreicht eine Wissenschaft im Unterschied zur Philosophie

„..eine gewisse Übereinstimmung der Geister. Sie erreicht aber diese Übereinkunft nur in dem Maße, wie sie begrenzte Probleme löst und wie sie genau definierte Methoden anwendet.“  /2/

Die Abgrenzungen, die Piaget vornimmt bestehen nun darin, nur die wissenschaftliche Erkenntnis zu untersuchen und diese nur im Prozess ihrer Entwicklung. Deshalb bezeichnet er seine Erkenntnistheorie als „genetische Erkenntnistheorie“.

Gegenstand der genetische Erkenntnistheorie ist folglich einerseits die historische Entwicklung einer bestimmten Erkenntnis, beispielsweise des Zahlbegriffs und andererseits die Entwicklung dieser Erkenntnis im Prozess der Entwicklung des individuellen Intellekts.

Dadurch wird die genetische Erkenntnistheorie zu einer wesentlich psychologischen Theorie. Auch die Entwicklung der objektiven wissenschaftlichen Erkenntnis wird als Ergebnis der Entwicklung aufeinanderfolgender individueller Erkenntnisse betrachtet. Die eigenstĂ€ndige Entwicklung einer „objektiven Erkenntnis“ wie sie beispielsweise bei Frege oder Popper dargestellt wird, ist im Rahmen der genetischen Erkenntnistheorie nicht denkbar. Das ist die gewusste und gewollte Folge dieser Begrenzung des Gegenstandes.

Eine andere Folge dieser Begrenzung ist der Verzicht auf die Formulierung eines allgemeinen Begriffs der Erkenntnis.

„Eine Erkenntnistheorie, die Wert darauf legt, selbst wissenschaftlich zu sein, wird sich deshalb hĂŒten, gleich im Anfang zu fragen, was Erkenntnis sei. Auch die Geometrie vermeidet es, a priori zu entscheiden, was der Raum sei, und die Physik verzichtet anfĂ€nglich auf die Frage nach der Materie. Sogar die Psychologie nimmt vorerst nicht Stellung zur Natur des Geistes.

FĂŒr die Wissenschaften gibt es keine allgemeine Kenntnis, nicht einmal kurzerhand eine wissenschaftliche Erkenntnis. Es existieren vielfache Formen der Erkenntnis, von denen jede eine endlose Reihe von speziellen Problemen aufwirft.“ /3/

Nun ist es aber gerade mein Anliegen, eben einen allgemeinen aber zugleich objektwissenschaftlichen Begriff der Erkenntnis zu entwickeln.

Der philosophische Ansatz der Erkenntnis besteht u.a. darin, die Erkenntnis in Bezug auf die RealitÀt zu definieren, Erkenntnis also als Glied einer zweistelligen Relation aufzufassen, deren zweites Glied die RealitÀt ist.

Der Begriff der RealitÀt wird gewöhnlich mit zwei Merkmalen ausgestattet: RealitÀt ist im Unterschied zum Ideellen, zur Erkenntnis wirklich, und RealitÀt ist unabhÀngig, unabhÀngig von menschlicher TÀtigkeit und unabhÀngig von menschlicher Erkenntnis.

Was nicht RealitÀt ist, gibt es in diesem philosophischen Zusammenhang nicht.

Diese Relation verhindert aber jede Begrenzung, sie bildet keinen Rahmen, in dem gedacht werden kann, denn „RealitĂ€t“ ist ein Begriff, der alles umfasst. Außer der RealitĂ€t ist nichts. Bleibt man in diesem philosophischen Zusammenhang, muss Erkenntnis als Etwas bestimmt werden, das außerhalb und unabhĂ€ngig von RealitĂ€t ist.

Eine Begrenzung ist bei Beibehaltung dieses philosophischen Rahmens nicht machbar, denn bei jeder Begrenzung geht die (philosophische) Allgemeinheit verloren.

Manchmal wird versucht, diese Allgemeinheit durch Zwischenglieder oder weitere Glieder außerhalb dieser Relation auf den Begriff zu bringen. So wird beispielsweise der Begriff des Subjekts als ein solches Glied aufgefasst. Je nach der Rolle des Subjekts in dieser Beziehung erhĂ€lt die darauf entwickelte Erkenntnistheorie ihren spezifischen „Touch“, durch den erkenntnistheoretische Grundrichtungen wie Empirismus oder Konstruktivismus gekennzeichnet sind.

Der empiristische Standpunkt besagt, dass Erkenntnis die RealitĂ€t ideell abbildet. Konstruktivistische Standpunkte versuchen einen anderen Rahmen, indem sie dem Begriff der RealitĂ€t nicht mehr das Merkmal der UnabhĂ€ngigkeit von der Erkenntnis zuschreiben, sondern RealitĂ€t als Konstrukt des Erkennens auffassen. Damit wird die dann oft als „Wirklichkeit“ bezeichnete RealitĂ€t in den Rahmen der Erkenntnis eingeordnet. Die Frage nach einer EntitĂ€t außerhalb der Erkenntnis ist damit gegenstandslos.

Es muss also versucht werden einen anderen begrifflichen Rahmen zu entwickeln, in dem die Begriffe RealitÀt und Erkenntnis eingeordnet werden können, ohne ihre Allgemeinheit zu verlieren.

Erkenntnis und Wahrnehmung

Auch der Begriff der Erkenntnis umfasst zwei Merkmale, die Wahrnehmung und die daraus entwickelte eigentliche, „theoretische“ Erkenntnis. WĂ€hrend zumindest auch höhere Tiere zur Wahrnehmung befĂ€higt sind, wird das Erkennen meist als nur dem Menschen zukommende FĂ€higkeit angesehen, die an die Sprache gebunden ist. Soweit die evolutionĂ€re Erkenntnistheorie Erkennen als allgemeine FĂ€higkeit des Lebens ansieht, reduziert sie Erkennen auf Steuerung des Verhaltens oder auf Wahrnehmung. Damit wird das spezifisch Menschliche aus dem Begriff der Erkenntnis eliminiert und muss spĂ€ter durch Hilfskonstruktionen angefĂŒgt werden.

In der konstruktivistischen Erkenntnistheorie existiert das Problem der Beziehung von Erkenntnis und RealitĂ€t nicht. Folglich gibt es auch kein Wahrheitsproblem. Wahrnehmung und Erkenntnis finden ausschließlich im geistigen Bereich statt, denn beide sind Leistungen des Nervensystems.

Am klarsten kommt das in der Theorie der Wahrnehmungskontrolle von W. Powers zum Ausdruck. Nach Powers besteht das Verhalten nicht darin, Handlungen zu steuern, sondern Wahrnehmungen. Dazu wird im Gehirn eine „Referenz-Wahrnehmung“ erzeugt, mit der die tatsĂ€chliche Wahrnehmung verglichen wird. durch die Steuerung der Muskulatur werden Abweichungen des Wahrnehmungssignals vom Referenzsignal ausgeglichen.

Der Charme dieser Auffassung besteht darin, dass sie mit den Ergebnissen der experimentellen Neurologie durchaus vereinbar sind, was fĂŒr empiristische Auffassungen keineswegs gilt. Und solange erkenntnistheoretisches Denken im Rahmen der Variablen „Wahrnehmung – Erkenntnis“ verharrt, kann man kaum zu wesentlich anderen Auffassungen kommen.

Wenn man sich nur zwischen den Variablen „Wahrnehmung“ und „Erkenntnis“ bewegt, bleibt als Kriterium der PrĂŒfung der Erkenntnis nur die Wahrnehmung, und dass diese dazu ungeeignet ist, wussten schon die alten Griechen.

Es ist ja nicht so, dass zumindest der radikale Konstruktivismus die Existenz einer vom Menschen unabhĂ€ngigen RealitĂ€t bestreitet, sie kommt nur im Variablensystem seiner Erkenntnistheorie nicht vor, und deshalb kann Erkenntnis nichts ĂŒber die RealitĂ€t aussagen und auch nicht durch Wahrnehmung von RealitĂ€t geprĂŒft werden.

Andererseits wird die RealitÀt erkennender Subjekte als selbstverstÀndlich vorausgesetzt, nur hat dies nichts mit Wahrnehmung oder Erkenntnis zu tun. Verhalten wird nicht als Beziehung zur RealitÀt aufgefasst, sondern als Steuerung der Wahrnehmung angesehen.

Erkenntnis und TĂ€tigkeit

Die Beziehung des Menschen zur RealitÀt ist aber nicht nur die. Eine umfassende Beziehung des Menschen zur Welt ist die menschliche TÀtigkeit. Diese Beziehung ist weiter als die Erkenntnisbeziehung  und deshalb geeignet, einen Rahmen zu bilden, in dem auch die Erkenntnis  ihren Platz findet.

Die Pole des allgemeinen Begriffs der TĂ€tigkeit sind das Subjekt und seine Umwelt. Beide sind Elemente der RealitĂ€t. FĂŒr Tier und andere nichtmenschliche Lebewesen ist die Umwelt immer nur der Teilbereich der RealitĂ€t, zu dem das Lebewesen eine Beziehung aufnehmen kann. Dieser Teilbereich ist subjektiv, d.h. er wird von der funktionellen Ausstattung des individuellen Subjekts bestimmt. /4/

FĂŒr den entwickelten, den gesellschaftlichen Menschen ist das anders. Mittels seiner Kultur und seiner Sprache vermag er in Beziehung zur gesamten RealitĂ€t zu treten. Er hat Begriffe und Termini auch fĂŒr das, was er (noch) nicht kennt und (noch) nicht weiß. Die Umwelt des Menschen ist die ganze Welt, die RealitĂ€t.

Eine weitere Besonderheit der TĂ€tigkeit menschlicher Subjekte ist, dass wesentliche TĂ€tigkeiten arbeitsteilig-kooperativ ausgefĂŒhrt werden und die konsumierbaren Resultate der TĂ€tigkeit erst in der TĂ€tigkeit gesellschaftlicher Subjekte zustande kommen. Das Individuum kommt erst durch die Verteilung in den Genuss der Resultate seiner TĂ€tigkeit.

Die Steuerung solcher TĂ€tigkeit erfordert andere psychische Bilder als die TĂ€tigkeit tierischer Subjekte. Diesen  genĂŒgt die Wahrnehmung. Alle Komponenten und Etappen der individuellen TĂ€tigkeit sind der unmittelbaren Wahrnehmung durch das tĂ€tige Individuum zugĂ€ngig.

Auf diese TĂ€tigkeit trifft zu, was die evolutionĂ€re Erkenntnistheorie meint, wenn sie die Sinnesorgane und Nervensystem als die „Apparate der Erkenntnis“ /5/ beschreibt.

FĂŒr die an Sprache und andere gesellschaftliche Darstellungsformen gebundene Erkenntnis des Menschen gilt das nicht mehr. Die Apparate der Erkenntnis sind nicht die Organe des Nervensystems, sondern die sprachlichen und anderen kulturellen EntitĂ€ten, mit denen der Mensch seine Erkenntnis darstellt. Die Organe des Nervensystems sind nur die Apparate der Wahrnehmung, nicht aber die der menschlichen Erkenntnis.

Darstellen ist eben nicht wahrnehmen, und Erkenntnis kann nicht auf Wahrnehmung reduziert werden. Darstellungen können auch nicht einfach wahrgenommen werden, wie die Diskussion um die „5. Dimension der Wahrnehmung“ zeigt. Das VerhĂ€ltnis zwischen Wahrnehmung und (dargestellter, objektiver) Erkenntnis gehört vielmehr zu den grundlegenden Problemen der Theorie menschlichen Erkennens.

Beide gehören in den Bereich der Steuerung der arbeitsteilig-kooperativen TÀtigkeit des Menschen. Die RealitÀt hingegen ist ein eigenstÀndiges Glied in der Beziehung des gesellschaftlichen Menschen zu seiner Umwelt. Durch seine TÀtigkeit gliedert der Mensch die RealitÀt in sich als Subjekt und seine Umwelt. Der Begriff der Umwelt bildet so die RealitÀt in Bezug auf den Menschen ab.

Die begriffliche Abbildung von RealitÀt und Erkenntnis erfolgt also in unterschiedenen Relationen, die nicht unmittelbar in Beziehung stehen, sondern vermittelt durch die gesellschaftliche, d.h. arbeitsteilig-kooperative TÀtigkeit der Menschen.

 

Anmerkungen:

/1/ Piaget, Jean (1975): Die Entwicklung des Erkennens I, Ernst Klett, Stuttgart, S.13,

/2/ Ebenda, S. 14,

/3/ Ebenda, S. 17,

/4/ Auf diesen Zusammenhang hat UexkĂŒll als erster hingewiesen: UexkĂŒll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Verlag von Julius Springer, Berlin.

/5/ Vgl. z.B. Lorenz, Konrad (1997): Die RĂŒckseite des Spiegels, Piper & Co. Verlag, MĂŒnchen, ZĂŒrich

 

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Interview

1. März 2012 - 11:12 Uhr

Soeben hat Michael Blume auf seinem Blog “Natur des Glaubens” ein  Web-Interview mit mit eingestellt.

Dieser Blog ist auch in meiner Blogroll. Er behandelt religiöse Fragen sachlich und unaufgeregt. Ich lese Ă­hn regelmĂ€ĂŸig.

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Ein hinderliches Vorurteil der Physik

28. Januar 2012 - 15:00 Uhr

In seinem Blog „Die Natur der Naturwissenschaft” hat Honerkamp einen lesenswerten Beitrag ĂŒber Vorurteile und Vorwissen in der Physik geschrieben. Darin geht es u.a. darum, welche Bedeutung Vorurteile und Vorwissen fĂŒr die Bewertung von experimentellen Daten haben.

In den Wissenschaften wird das Vorurteil gewöhnlich „Paradigma” genannt, das die Wissenschaftler eines Faches oder einer wissenschaftlichen Schule eint. Dieses wissenschaftliche Vorurteil hilft nicht nur bei der Bewertung experimentellen Daten, sondern hat auch großen - oft bestimmenden - Einfluss darauf, welche Experimente ĂŒberhaupt gemacht und welche Daten gewonnen werden können.

Eines der stĂ€rksten Vorurteile der Physik ist die Auffassung, das jedes Ereignis eine Ursache haben mĂŒsse, aus dem man dieses Ereignis vorher sehen und berechnen könne. In diesem Paradigma dachte wohl Newton, als er die Schwerkraft entdeckte.

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Wie kolportiert wird, lag Newton unter einem Apfelbaum, als sich plötzlich einer löste und im auf den Kopf fiel. Erst wenn man denkt, dass nichts ohne Ursache geschieht, stellt sich die Frage, was denn die Ursache fĂŒr diese Bewegung des Apfels ist. Mit dem Konzept der Schwerkraft kann diese Frage logisch widerspruchsfrei beantwortet werden.

Die Frage aber, warum sich ein Vogel, der auf dem Ast sitzt, an dem der Apfel hing, plötzlich und von allein in die Luft erhebt und entgegen der Schwerkraft davon fliegt, ist in diesem Paradigma nicht zu beantworten. Die Antwort „weil er das tun will” hat im kausalistischen Paradigma keinen Platz, der Wille ist - noch - keine Kategorie der Physik.

So wertvoll das KausalitĂ€tsparadigma in der Physik auch sein mag, in anderen Wissenschaften gilt es nicht. Hemmend wirkt aber, dass dieses Paradigma zum Kriterium von Wissenschaftlichkeit und besonders der Naturwissen­schaften schlechthin gemacht wurde. Seine Anwendung auch auf die Geisteswissenschaften fĂŒhrt dazu, dasss die Geisteswissenschaften manchen Naturwissenschaftlern suspekt erscheinen, wenn sie nicht gar als „Verbalwissenschaften” zu Wissenschaften 2. Klasse degradiert werden. 

Die Biologie - und in ihrem Gefolge die Psychologie - wollen sich selbst als Naturwissenschaften begreifen. Um VorgĂ€nge, wie das Fortfliegen des Vogels beschreiben zu können, haben sie das Konzept des Verhaltens entwickelt, in dem die Kategorien „Reiz” und „Reaktion” die Leerstellen von Ursache und Wirkung besetzen, womit sie es sich unter den wĂ€rmenden Fittiche der Physik bequem gemacht haben. Das aber ist trĂŒgerisch: Der Zusammenhang Reiz - Reaktion ist nicht physikalisch, sondern informationell, und keine Reaktion kann aus den physikalischen Parametern des Reizes berechnet werden. Damit hat die Biologie sich ebenso wie die Physik der Aufgabe entledigt, eine physikalische Kategorie des Willens zu entwickeln.

Diese Aufgabe wurde bereits von Schrödinger im Jahre 1944 weitsichtig formuliert:

„Man wird nicht erwarten, daß zwei vollstĂ€ndig voneinander verschiedene Mechanismen die gleiche Art von Gesetzlichkeit hervorbringen - man wird schließlich auch nicht erwarten, daß der eigene HausschlĂŒssel auch zur TĂŒre des Nachbarn paßt.

Die Schwierigkeit, den Lebensvorgang mit Hilfe der gewöhnlichen physikalischen Gesetze zu deuten, braucht uns deswegen nicht zu entmutigen. Die Einsicht in die Struktur der lebenden Substanz, die wir gewonnen haben, lĂ€ĂŸt ja nichts anderes erwarten. Wir mĂŒssen bereit sein, hier physikalische Gesetze einer ganz neuen Art am Werk zu finden. Oder sollten wir lieber von einem nichtphysikalischen, um nicht zu sagen ĂŒberphysikalischen Gesetz sprechen?” /1/

Es ist also an der Zeit, ein physikalisches Konzept des Willens zu entwickeln, in dem biotische Aktionen begrifflich und terminologisch widerspruchsfrei beschrieben werden können.Aber auch diese Begriffe ermöglichen es nicht, die Kategorie des Willens physikalisch zu fassen. Der Begriff des offenen thermodynamischen Systems ermöglicht beschreibt nur Prozesse, die in Richtung des thermodynamischen GefĂ€lles, „bergab” verlaufen. Damit können ohne Zweifel viele biologische Teilprozesse abgebildet werden, aber nicht die Seinsweise von Lebewesen als Ganze. Sie vollziehen Prozesse, die gegen das GefĂ€lle verlaufen, „bergauf“. Das Wachstum, ohne das Leben nicht möglich ist, kann nur als Ergebnis von Prozessen gedacht werden, die „bergauf” ablaufen. Solche Prozesse sind aber innerhalb der physikalischen Paradigmata der Thermodynamik nicht beschreibbar.

aktion_reaktion.gif

Abbildung 1: Aktion und Reaktion, E Ereignis, U Ursache. FĂŒr die Reaktion gilt: E=f(U)

Es ist also erforderlich, dieses Vorurteil zu ĂŒberwinden und thermodynamische Systeme zu konstruieren, die bergauf funktionieren und dadurch nicht nur zu Reaktionen, sondern auch zu Aktionen fĂ€hig sind. Aktionen sind per definitionem  physikalische Ereignisse, die von selbst, spontan, ablaufen und sich nicht aus einer Einwirkung vorher sagen oder berechnen lassen. FĂŒr sie muss ein anderes physikalisches Konzept entwickelt werden.

Mit diesem Problem plage ich mich seit ĂŒber 10 Jahren. Wie weit ich dabei gekommen bin, kann man auf meiner Website nachlesen.

Literatur:

Schrödinger, Erwin (2001): Was ist Leben ? Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet, Piper & Co.Verlag, MĂŒnchen, ZĂŒrich, S. 138.

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TabubrĂŒche in der Biologie

27. Dezember 2011 - 17:19 Uhr

Das Klagen ĂŒber die Trennung der Natur- und Geisteswissenschaften hĂ€lt an /1/, ernsthafte Versuche zu ihrer Überwindung sind Mangelware. Woran liegtÂŽs?

Es ist ja nicht so, dass die Parteien einander nicht zur Kenntnis nÀhmen, sonst könnten sie ja ihre Getrenntheit nicht beklagen. Es fehlt auch nicht an Versuchen, die Denkergebnisse der jeweils anderen Seite nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese auch mit dem eigenen Denken zu verwinden, ja zu integrieren.

Die Versuche bleiben aber auf der Strecke, und das liegt zum einen daran, dass sie vom jeweils Anderen nicht rezipiert wurden, aber auch daran, dass entscheidende Begriffe und Termini von Natur- und Geisteswissenschaften dazu nicht geeignet sind. Sie wurden dazu nicht gemacht.

Wo liegt das Problem?

Die Naturwissenschaften verweisen – und das zu Recht – darauf, dass den grundlegenden Begriffen der Geisteswissenschaften Merkmale fehlen, ohne die die Naturwissenschaften nicht auskommen können, die fĂŒr die Naturwissenschaften essentiell sind. Solche Merkmale sind beispielsweise Masse oder Energie. Psyche und Geist könne man nicht wiegen.

Das allein wĂ€re schon hinderlich genug fĂŒr gegenseitiges VerstĂ€ndnis. Erschwert wird die Lage dadurch, dass diese Merkmale nicht nur dem naturwissenschaftlichen Paradigma zugeschrieben werden, sondern vielfach als paradigmatisch fĂŒr Wissenschaft schlichthin ausgegeben werden, wodurch den Geisteswissenschaften der Status der Wissenschaftlichkeit ĂŒberhaupt abgesprochen wird. (Kutschera /2/) Das ist kein erfolgversprechendes GesprĂ€chsklima.

Dessen ungeachtet gibt es die verschiedensten BemĂŒhungen, jeweils moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse in geisteswissenschaftliche Gedankensysteme einzugliedern und diese so auf eine (natur)wissenschaftliche Basis zu stellen. Dabei bleiben nicht selten die geisteswissenschaftlichen Kategorien auf der Strecke. Seele oder freier Wille erscheinen als Illusion. (Roth, Gazzanniga)

Bemerkenswert, wenn auch selten, sind Versuche von Naturwissenschaftlern, geisteswissenschaftliche Termini zur Darstellung naturwissenschaftlicher Befunde zu benutzen. Brembs beschreibt zunĂ€chst experimentelle Befunde spontaner Bewegungen bei Fliegen und erörtert auf dieser Grundlage die Frage, ob man diese Befunde mit geisteswissenschaftlichen Termini wie „freier Wille“ bezeichnen kann. Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis:

„I no longer agree that “’free will’ is (like ‘life’ and ‘love’) one of those culturally useful notions that become meaningless when we try to make them ’scientific’.” (Ball 2007). The scientific understanding of common concepts enrich our lives, they do not impoverish them, as some have argued (Weigmann 2005). This is why scientists have and will continue to try and understand these concepts scientifically or at least see where and how far such attempts will lead them. It is not uncommon in science to use common terms and later realize that the familiar, intuitive understanding of these terms may not be all that accurate. Initially, we thought atoms were indivisible. Today we don’t know how far we can divide matter. Initially, we thought species were groups of organisms that could be distinguished from each other by anatomical traits. Today, biologists use a wide variety of species definitions. Initially, we thought free will was a metaphysical entity. Today, I am joining a growing list of colleagues who are suggesting it is a quantitative, biological trait, a natural product of physical laws and biological evolution, a function of brains, maybe their most important one.” /3/

Die Initiative geht also von einer Naturwissenschaft aus, die einem geisteswissenschaftlichen Begriff einen naturwissenschaftlich beschreibbaren Inhalt zuordnet. Es wird also nicht versucht, Inhalte geisteswissenschaftlicher Begriffe naturwissenschaftlichen Sachverhalten zuzuschreiben, sondern eben umgekehrt, geisteswissenschaftliche Termini erhalten einen naturwissenschaftlichen Inhalt. Damit ist noch nichts ĂŒber die logische Konsistenz und theoretische TragfĂ€higkeit dieser Zuschreibung gesagt. Allein der Fakt ist bemerkenswert, vollzieht er doch einen Tabubruch in Bezug auf das naturwissenschaftliche Denken in der Biologie.

Dieser Tabubruch besteht darin, dass das kausalistische Paradigma, dass alle beobachtbaren Ereignisse eine Ă€ußere Ursache haben mĂŒssen, aufgebrochen wird. Das ist schon in der dem grundlegenden Experiment zugrunde liegenden Frage angelegt: Was tut eine Fliege, wenn keine Reize auf sie wirken? Diese Frage hat in der traditionellen Biologie ĂŒberhaupt keinen Sinn, denn sie definiert ja Verhalten als Reaktion auf Reize. Verhalten ohne Reiz ist in diesem Paradigma nicht beschreibbar.

Diese Idee von Björn Brembs hat das Zeug, Ausgangspunkt einer grundlegenden Umgestaltung der Biologie zu werden, wenn sie angemessen weiterentwickelt wird und nicht in der Menge einzelwissenschaftlicher Artikel untergeht, wie manche der Ideen von UexkĂŒll oder Lorenz.

Als wirksamer erwiesen sich hingegen Ideen, die vor gut 50 Jahren von Bertalanffy und Prigogine entwickelt wurden. Ihre Begriffe des offenen thermodynamischen Systems und der dissipativen Struktur erweiterten sie das Kategoriensystem der Physik, Dadurch wurde es möglich, biologische VorgÀnge mit den von der Biologie entwickelten neuen physikalischen Begriffen und Termini naturwissenschaftlich exakt  zu beschreiben.

Davon ist die aktuelle Fassung BrembsÂŽ Begriff des freien Willens noch ein StĂŒck entfernt. Es fehlen verbindende Begriffe Als Erstes ist es erforderlich, den Begriff der Psyche als nativ biologischen Begriff zu verstehen, der eine Funktion des Nervensystems beschreibt, die ebenso Resultat von Anpassung und Evolution ist wie der Wille. Der von Brembs vorgeschlagene Begriff des Willens als biologische Kategorie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, denn er bricht einem Tabu, das die Biologie daran hindert, naturwissenschaftlich EntitĂ€ten geisteswissenschaftlich zu begreifen und diesen so einen naturwissenschaftlichen Inhalt zu verleihen.

 

Anmerkungen:

/1/ z.B. „Die Natur der Naturwissenschaft“, Blog von Josef Honerkamp

/2/ U. Kutschera; „Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie“

/3/ Brembs, B. (2011) Towards a scientific concept of Free Will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates Proc. R. Soc. B 22 March 2011 vol. 278 no. 1707 930-939

 

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Die Wahrnehmung der 5. Dimension

20. Juli 2011 - 09:19 Uhr

Seit einigen Wochen plage ich mich mit der Frage, wie ein Konzept fĂŒr Wahrnehmung beschaffen sein mĂŒsste. Dieses Konzept muss es ermöglichen abzubilden, wie Subjekte mittels ihrer Sinnesorgane psychische Bilder der RealitĂ€t zustande bringen. Alle mir bekannten Wahrnehmungskonzepte sind entweder empiristisch oder konstruktivistisch. Keines leistet das was es soll.

Der Empirismus kommt nicht mit der Autonomie der Sinnesorgane zurecht, die von der modernen Neurophysiologie beschrieben wird, der Konstruktivismus kann nicht darstellen, dass die psychischen Bilder Abbilder der RealitĂ€t sind. Keines dieser Konzepte kann alle drei Variablen – RealitĂ€t, Sinne und Abbilder – in eine logisch widerspruchsfreie Beziehung bringen. Dem Konstruktivismus fehlt die RealitĂ€t, es gibt nur die konstruierte Wirklichkeit, die nicht wahrgenommen sondern konstruiert wird. Der Konstruktivismus braucht also kein Konzept fĂŒr Wahrnehmung.

Dem Empirismus fehlt das moderne VerstÀndnis der Funktionsweise der Sinnesorgane. Er geht davon aus, dass die RealitÀt auf die Sinnesorgane einwirkt und aus diesen Eiwirkungen dann die psychischen Abbilder entstehen wie die Bilder in einem Spiegel. Das Subjekt erhÀlt so eine passive Rolle. Es ist der Ort, in dem etwas geschieht. /1/

Diese Auffassung des Subjekts war nun fĂŒr viele Autoren unbefriedigend. Sie versuchten, die passive Rolle des Subjekts durch allerlei Hilfskonstruktionen aufzubessern. Das ist vor allem in der TĂ€tigkeitstheorie der Fall. Sie erklĂ€rt die psychische Widerspiegelung zu einem aktiven, schöpferischen Prozess. Das Subjekt soll die Widerspiegelung nicht passiv mit sich geschehen lassen, sondern sie aktiv gestalten. Der logische Widerspruch zwischen den Konzepten der „Widerspiegelung“ und „AktivitĂ€t“ wird nicht reflektiert.

Seinen besonderen Mangel zeigt das empiristische Wahrnehmungskonzept, wenn es um die Beschreibung der Wahrnehmung von Werkzeugen und KulturgegenstÀnden geht, d.h. von GegenstÀnden, die eine Funktion oder eine Bedeutung haben.

Aussagen wie „er sieht eine Angel“ oder „er hört ein Wort“ haben in keiner Variante eines empiristischen Wahrnehmungskonzepts einen Sinn. Im Konstruktivismus werden beide nicht wahrgenommen, sondern konstruiert.

Tomasello hat diesen Aspekt der Wahrnehmung experimentell untersucht. Er untersuchte die FĂ€higkeit von Schimpansen und Menschenkindern, wahrnehmbare Aktionen Anderer zu imitieren. Dabei stellte er fest, dass Schimpansen Werkzeuggebrauch nicht adĂ€quat imitieren können. Nur „FĂŒr Menschen ist das Ziel oder die Intention des VorfĂŒhrenden ein zentraler Teil dessen, was sie wahrnehmen“ S.(42) Schimpansen dagegen „konzentrieren … sich bei ihren Beobachtungen auf ZustandsĂ€nderungen (darunter Änderungen der rĂ€umlichen Position) der an der VorfĂŒhrung beteiligten GegenstĂ€nde, wobei die Handlungen des VorfĂŒhrenden wirklich nur als Körperbewegungen erscheinen. Die intentionalen ZustĂ€nde des VorfĂŒhrenden und damit seine Verhaltensmethoden kommen in ihrer Erfahrung einfach nicht vor.“ (S. 42)

„Ein Ziel wahrnehmen“ wie soll das gehen? Diese Formulierung ergibt keinen Sinn, in welches der beiden Wahrnehmungskonzepte man sie auch stellt.

LeontÂŽev hat zur Beschreibung von Wahrnehmungen dieser Art eine weitere Hilfskonstruktion eingefĂŒhrt: die „fĂŒnfte Quasidimension“. Diese Dimension ist die Bedeutung der GegenstĂ€nde, die diese in der menschlichen Gesellschaft erhalten. /2/ Er schreibt: „Auf den Menschen, das Bewußtsein des Menschen zurĂŒckkommend, muß ich noch einen Begriff einfĂŒhren - den Begriff von der fĂŒnften Quasidimension, in der sich dem Menschen die objektive Welt enthĂŒllt. Das ist das „semantische Feld“, das System der Bedeutungen. Die EinfĂŒhrung dieses Begriffs verlangt eine nĂ€here ErlĂ€uterung. Tatsache ist, daß ich, wenn ich einen Gegenstand wahrnehme, diesen nicht nur in seinen rĂ€umlichen Dimensionen und in der Zeit, sondern auch in seiner Bedeutung wahrnehme.“ (S.8)

In dieser Hilfskonstruktion verbirgt sich ein verbreiteter Kategorienfehler: Eine zweistellige, relative Eigenschaft wird als einstellig, absolut abgesehen. Eine Bedeutung kommt einem Gegenstand aber nur in Bezug auf bestimmte Menschen zu. So hat beispielsweise ein stabförmiger Gegenstand fĂŒr einen Menschen, der angeln will eine andere Bedeutung als fĂŒr einen, der einen Pfeil fĂŒr seinen Bogen sucht.

Dass die TĂ€tigkeit treibende BedĂŒrfnis beeinflusst natĂŒrlich die Wahrnehmung, der eine „sieht“ schon die Angel, die er herstellen will, der andere den zukĂŒnftigen Pfeil. In einer Tonfolge „hören“ nicht alle Menschen eine oder die gleiche „Melodie“.

Mit dem Konstrukt der 5. Dimension kann zwar das Widerspiegelungskonzept der Wahrnehmung aufrecht erhalten werden, dafĂŒr muss aber das Konstrukt der RealitĂ€t als unabhĂ€ngig vom Menschen existierend aufgegeben werden. Wenn der wahrnehmbaren RealitĂ€t eine Bedeutung zugeschrieben wird, wird sie zu einer relativen EntitĂ€t, zu einer EntitĂ€t, die nur in Bezug zur menschlichen Wahrnehmung existiert und nicht unabhĂ€ngig von dieser. Damit wĂ€ren wir wieder beim Konstruktivismus und das Problem bleibt ungelöst.

Aber es scheint Licht am Horizont: Offensichtlich, kann ein tragfĂ€higes Konzept fĂŒr Wahrnehmung und Erkenntnis nicht im Rahmen der drei Variablen RealitĂ€t – Sinne – psychische Bilder entwickelt werden. Dieser Rahmen wirkt wie ein „Spanischer Stiefel“, der bestimmte Antworten erzwingt.

Es muss wohl ein anderer Rahmen her, ein Rahmen, in dem die Erkenntnis-Variablen mehr Raum finden, Raum, in dem die Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, die ihnen bei der Beschreibung von Wahrnehmung von GegenstÀnden der Kultur und deren Erkenntnis zukommen. Mit der Konstruktion eines solchen Rahmens plage ich mich nun rum.

 /1/ Zu diesem Problem habe schon mehrfach geschrieben: Erkenntnis ohne Wahrnehmung, Reflexionen ĂŒber Konstruktivismus und Die GegenstĂ€ndlichkeit psychischer Bilder

/2/ Auch Tomasello bedient sich dieses Konstrukts. Er schreibt: „Aber die Werkzeuge und Artefakte einer Kultur haben noch eine andere Dimension, die Cole die „ideale“ Dimension nennt.“ (S.194). Auch M. Cole, ein ausgewiesener AnhĂ€nger der Kulturhistorischen Schule, nennt diese Dimension die „FĂŒnfte“.

Literatur:

Leontjew, Alexej (1981): Psychologie des Abbilds. In Forum Kritische Psychologie 9, Argument, Berlin, Seiten 5 bis 19,
Tomasello, Michael (2002): Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main S. 104,
Michael Cole (1998):Cultural psychology: a once and future discipline Harvard University Press,

 

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Wenn die Fliege aber keine Lust hat…

18. Februar 2011 - 11:21 Uhr

Vor einigen Tagen veröffentlichte die SĂŒddeutsche Zeitung ein Interview mit Björn Brembs, in dem es um der freien Willen von Fruchtfliegen geht. Am besten gefiel mir das sogenannte Harvard Law of Animal Behavior: “Unter exakt kontrollierten Versuchsbedingungen macht ein Tier genau das, wozu es gerade Lust hat.” Besser gehtÂŽs nicht!Das wird auch durch die Ergebnisse von Experimenten belegt: Wenn man 100 Fliegen vor eine Lampe setzen, krabbeln ungefĂ€hr 70 Fliegen auf das Licht zu und die anderen 30 davon weg. Testet man diese 30 noch einmal, tritt wieder diese 70-30-Prozent Aufteilung auf. Das ist auch so, wenn man die 79 Lichtkrabbler erneut vor die Lampe setzt. Es kann also keine genetische oder andere Festlegung sein - jede Fliege trifft jedes Mal neu eine Entscheidung.Nun will das natĂŒrlich wissenschaftlich erklĂ€rt werden. Neben der Kategorie Lust und einem diffusen Hintergrundrauschen wird auch der Zufall bemĂŒht.Es zeigt sich wieder einmal, dass die biologischen Wissenschaften noch nicht ĂŒber ein Begriffssystem verfĂŒgen, das es ermöglichen wĂŒrde, Ereignisse wie die beschriebenen hinreichend prĂ€zise abzubilden.

In seinem Paper Towards a scientific concept of Free Will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates setzt sich Brembs mit der aktuellen Diskussion zum Begriff des freien Willens auseinander und kommt zu Ă€hnlichen EinschĂ€tzungen. Besonders bedeutsam scheint mir der Ansatz, den reflextheoretischen Begriff der Reaktion („response“) durch den Begriff der TĂ€tigkeit („action“) zu ersetzen. Dort heißt es:

“Another concept that springs automatically from acknowledging behavioural variability as an adaptive trait is the concept of actions. In contrast to responses, actions are behaviours where it is either impossible to find an eliciting stimulus or where the latency and/or magnitude of the behaviour vary so widely, that the term ‘response’ becomes useless.”

Zur Beschreibung des TĂ€tigen, des Subjekts der TĂ€tigkeit, schlĂ€gt er den Terminus „Selbst“ vor. Dieser Gedanke resultiert wohl daraus, dass Brembs die Frage des Willens aus neurophysiologischer Sicht betrachtet. Der Begriff des Selbst artikuliert einen introspektiven Aspekt und erfordert mindestens eine zweite Betrachtungsebene, von der aus das Individuum sich als Selbst reflektiert. Das geht auch aus den Beispielen hervor, die mangels einer Definition herangezogen werden. Aber gerade das lĂ€sst wieder metaphysische Interpretationen zu, gegen die Brembs expressis verbis argumentiert. Hier hilft nur ein Begriff des Willens, der mit den physikalischen Gesetzen vertrĂ€glich ist.

Der grĂ¶ĂŸte Nachteil einer ausschließlich neurophysiologischen Sicht auf den Willen ist aber, dass damit nur mehrzellige Tiere mit einem Nervensystem erfasst werden. Einzellige Tiere und Pflanzen bleiben außen vor. Das aber hat Konsequenzen fĂŒr die Beantwortung der Frage nach der Evolution des Willens. Wenn Pflanzen keinen Willen haben, muss dieser im Verlauf der Evolution mit der Entstehung des Nervensystems entstehen. Das Leben von Pflanzen und das von Tieren könnten dann nicht mehr einheitlich erklĂ€rt werden, was zu schwerwiegenden WidersprĂŒchen in der Theorie des Lebendeigen fĂŒhrt.

NatĂŒrlich stutzt man zunĂ€chst, wenn Pflanzen ein Wille zugeschrieben wird. Das legt sich aber, wenn man das eine oder andere der folgenden Videos betrachtet. Wissenschaftler haben kein Problem damit, Pflanzen Eigenschaften zuzuschreiben, die man gemeinhin nur Tieren zuschreibt.

Was Pflanzen zu sagen haben (DasErste-Mediathek)

Geistreiches aus der Pflanzenwelt (YouTube)

Erlebnis Erde (YouTube)

Die weitere theoretische Arbeit an der Kategorie des Willens ist wichtig fĂŒr die weitere Ausarbeitung einer einheitlichen Theorie des Lebens und letztendlich fĂŒr das VerstĂ€ndnis des freien Willens des Menschen.

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Die ideologischen Fesseln der TĂ€tigkeitstheorie

9. Februar 2011 - 17:04 Uhr

Die TĂ€tigkeitstheorie ist seit ihrer Konstituierung vor inzwischen fast 100 Jahren ein umfassendes wissenschaftliches Konzept mit großer internationaler Ausstrahlung geworden.

FĂŒhrende Köpfe der Entwicklung dieser Theorie waren u.a. Vygotsky, LeontÂŽev und Luria. Sie werden auch heute nicht nur immer angefĂŒhrt, sondern ihre grundlegenden Begriffe und theoretischen Auffassungen werden noch immer unmittelbar genutzt, wenn es gilt, die kulturhistorische Schule und die TĂ€tigkeitstheorie zur methodischen Gestaltung neuer Untersuchungen zu nutzen. FĂŒr mich ist das ein sicheres Zeichen dafĂŒr, dass es seit der Entstehung dieses Konzepts keine verbreitete Weiterentwicklung ihrer theoretischen Grundlagen gegeben hat. Außer meinen Versuchen ist mir nur noch der Ansatz Engeströms bekannt.

Ein Grund dafĂŒr scheint mir der Umstand zu sein, dass die TĂ€tigkeitstheorie weithin als i.e.S. psychologische Theorie aufgefasst und betrieben wird. Dadurch werden der TĂ€tigkeit als ihrer grundlegenden Kategorie Merkmale zugeschrieben, die nur der TĂ€tigkeit solcher Subjekte zukommen, die mit Psyche ausgestattetet sind. Eine weitere Verengung der TĂ€tigkeitstheorie resultiert daraus, dass die Psyche ausschließlich oder ĂŒberwiegend als menschliche Psyche betrachtet wird, wodurch meist nur die menschliche TĂ€tigkeit gemeint ist, auch wenn der Terminus „TĂ€tigkeit“ in seiner allgemeinen Form benutzt wird. Man meint nicht, was man sagt.

Dieses Problem ließe sich durch einen breiten terminologischen Konsens lösen. Bei einem anderen Problem ist das nicht mehr der Fall. Dieses ergibt sich daraus, dass die TĂ€tigkeitstheorie auf dem Konsens entwickelt wurde, den Marxismus als philosophisch-weltanschauliche Grundlage der psychologischen Theorie zu betrachten. Dadurch erhielt die TĂ€tigkeitstheorie eine ideologische Ausrichtung.

Dabei verschwand der Umstand aus dem Fokus des Denkens, dass Erkenntnistheorie (jedenfalls in ihrer marxistischen Auffassung) einen anderen Gegenstand hatte als die primĂ€r psychologisch orientierte TĂ€tigkeitstheorie. Die marxistische Erkenntnistheorie hat zu ihrem Gegenstand die Erkenntnis als gesellschaftliche Erkenntnis, die Erkenntnis der Gesellschaft als Gesamtsubjekt, wĂ€hrend der native Gegenstand der Psychologie die individuelle Erkenntnis ist, das Erkennen des individuellen Subjekts. Die undifferenzierte Übertragung von Eigenschaften von einem Gegenstand auf den anderen fĂŒhrt nicht selten zu Fehlern und logischen WidersprĂŒchen.

In der TĂ€tigkeitstheorie geschieht das, indem die These ĂŒbernommen wird, das Psychischesei die Widerspiegelung der RealitĂ€t.

Die Orientierung am Marxismus fĂŒhrte folgerichtig dazu, das Psychische, d.h. das Individuelle als Widerspiegelung der RealitĂ€t auszufassen, dem Psychischen wird Abbildcharakter zugeschrieben. In diesem ideologischen Rahmen sind jedoch – und das nicht nur in der Psychologie -  nur empiristische Auffassungen ĂŒber Erkenntnis möglich. Konstruktivistische Auffassungen sind mit der Widerspiegelungstheorie logisch unvereinbar.

Andererseits ist die Kategorie der Praxis  eine weitere tragende Komponente der marxistischen Erkenntnistheorie. „Praxis“ ist im Marxismus nur als gesellschaftliche Kategorie denkbar, nicht aber als individuelle. Zum anderen ist diese  Kategorie ist zutiefst konstruktivistisch, betont sie doch das Primat des Subjekts, wie es ganz prĂ€gnant in der ersten Feuerbachthese zum Ausdruck kommt. Auch das Sinnliche hat bei Marx und Engels keinen sensualistischen Charakter, wie das in der Psychologie gewöhnlich ĂŒblich ist.

Nun ist die Kategorie der TĂ€tigkeit wie die der Praxis nur konstruktivistisch denkbar, als Kategorie, in der ein autonomes Subjekt seine TĂ€tigkeit aktiv gestaltet und seine BedĂŒrfnisse befriedigt. Nicht die Einwirkungen der Umwelt bestimmen und gestalten die TĂ€tigkeit, sondern das autonome Subjekt. (TĂ€tigkeit ist nicht als Reaktion auf physikalische oder chemische „Reize“ verstehbar. Dieser Standpunkt wird neuerdings auch von Neurophysiologen z.B. Björn Brembs vertreten).

Zur Zeit der Entstehung der TĂ€tigkeitstheorie war der Konstruktivismus aber noch weit von seiner Etablierung als ernsthaftes erkenntnis- und wissenschaftstheoretisches Konzept entfernt. Die Auffassungen ihrer VorlĂ€ufer (Mach u.a.) waren von Lenin in „Materialismus und Empiriokritizismus“ vom Standpunkt des Marxismus als „feindlich“ charakterisiert worden und fielen so unter das ideologische Verdikt.

Die Psychologie der TĂ€tigkeitstheorie versuchte, diesen Widerspruch durch verschiedene Hilfkonstruktionen zu lösen, durch die sie der Widerspiegelung einen aktiven, schöpferischen Charakter zuschrieb, ein subjektives Moment. Damit aber implementierte sie die WidersprĂŒche ihrer philosophischen Grundlage in ihre Wissenschaft.

Das gilt auch fĂŒr den Ansatz Rubinsteins, der in den Prozess der Widerspiegelung eine subjektive Brechung implementierte. Anochin dagegen entwickelte die Hilfskonstruktion der „vorgreifenden Widerspiegelung“. Das Widerspiegelungskonzept prinzipiell als Konzept des Psychischen aufzugeben wurde nur von Vygotsky  in der „Krise der Psychologie“ versucht.

Man kann einem Begriff nicht nachtrĂ€glich Eigenschaften zuschreiben, die zuvor per definitionem ausgeschlossen worden sind, ohne sich in unlösbare WidersprĂŒche zu verwickeln. Vygotsky hat das bereits vor ĂŒber 80 Jahren in seiner „Krise der Psychologie“ dargelegt. Er schreibt:

„Die Psychologie möchte eine Naturwissenschaft von nichtnatĂŒrlichen Erscheinungen sein. Mit der Naturwis­senschaft verbindet sie ein rein negativer Zug, die Ablehnung der Metaphysik, jedoch nicht ein einziger positiver.“ (S190)

Und weiter:

 „Der Begriff empirische Psychologie enthĂ€lt folglich einen unlösbaren methodologischen Widerspruch: Es handelt sich hier um eine Naturwissenschaft von nichtnatĂŒrlichen Dingen, um die Tendenz, mit der Methode der Naturwissenschaften ein ihnen polar entgegengesetztes Wissenssystem zu entwickeln, das aus polar entgegengesetzten PrĂ€missen hervorgeht. Eben das wirkte sich verderblich auf die methodologische Konstruktion der empirischen Psychologie aus und brach ihr das Genick.“ (S.192) Dieser Widerspruch ist auch in der philosophischen Grundlage der TĂ€tigkeitstheorie verankert und verhindert bis heute ihre Weiterentwicklung als Theorie. 

In einer seiner letzten Arbeiten stellt LeontÂŽev (1975) dazu fest:

„Und bezeichnend ist, wie die maßgebendsten Autoren eingestehen, daß es derzeit keine ĂŒberzeu­gende allgemeine Theorie der Wahrnehmung gibt, die geeignet wĂ€re, die angehĂ€uften Kenntnisse zu erfassen und ein konzeptuelles System zu entwerfen, das den Forderungen der dialektisch-materialistischen Methodologie entspricht. … Im Ergebnis triumphiert in Übersichtsarbeiten, die fĂŒr sich in An­spruch nehmen, das Problem umfassend zu behandeln, offene Eklek­tik.“  (LeontÂŽev 1981, S.6)

Dass diese Beschreibung auch heute noch und nicht nur fĂŒr marxistisch orientierte Psychologien zutrifft, kann  man einer „Standortbestimmung“ entnehmen, die von einer Reihe fĂŒhrender deutscher Psychologen 2005 publiziert wurde.

LeontŽev hat erst in seinen letzten Arbeiten zur Wahrnehmung konstruktivistische AnsÀtze entwickelt, ohne sich jedoch  jedoch prinzipiell mit deren  philosophischen Aspekten auseinanderzusetzen. So verharrt die TÀtigkeitstheorie dreifach gefesselt:

·         Sie wird ĂŒberwiegend als psychologische Theorie betrachtet und durch die Auffassung der Psychologie als Naturwissenschaft in deren Paradigmensystem gezwĂ€ngt.

·         Zu dieser Auffassung wird sie durch ihre ideologische Bindung an den Marxismus gedrÀngt, wobei sie unkritisch Erkenntnis der Gesellschaft als Ganzes und individuelle Erkenntnis methodisch identifiziert. Das verhindert, dass das Individuum in seiner spezifischen individuellen QualitÀt gefasst wird.

·         Das Postulat, das Psychische als Widerspiegelung aufzufassen verhindert, dass konstruktivistische Gedanken aufgegriffen werden, ein Denkverbot, das durch die leninistische Fassung dieses Begriffs verschÀrft wurde.

·         Schließlich ist der marxistische Begriff der gesellschaftlichen Erkenntnis nicht auf die Psyche anwendbar, Psyche ist nativ individuell.

Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung: Meine wissenschaftliche Entwicklung vollzog sich im Paradigma der marxistischen Erkenntnistheorie. Es war nicht leicht, sich von diesen philosophischen Voraussetzungen zu befreien und zu erkennen, dass sie im wissenschaftlichen Denken zu Fesseln geworden waren – so wichtig sie auch im tĂ€glichen Leben sein mögen.

 Literatur: 

Psychologie im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 56-60,

Anochin, Pjtor Kusmitsch (1978): BeitrÀge zur allgemeinen Theorie des funktionellen Systems, Gustav Fischer Verlag, Jena,

Brembs, Björn (2010): Towards a scientific concept of Free Will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates. Proceedings of the Royal Society B,

Engeström, Yrjö (1999): Lernen durch Expansion, BdWi-Verlag, Marburg,

Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie, Campus Verlag, Frankfurt-New York (S. 68ff.)

Lenin, W. I. (1947): Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen ĂŒber eine reaktionĂ€re Philosophie. Verlag fĂŒr fremdsprachige Literatur, Moskau,

Leontjew, Alexej (1975): Psychologie des Abbilds. In Forum Kritische Psychologie 9 (1981), Seiten 5 bis 19,

Vygotskij, Lev, S. (2003): Die Krise der Psychologie in ihrer historischen Bedeutung. In AusgewÀhlte Schriften Band I, Seiten 57 bis 278,

Wittich, Dieter; GĂ¶ĂŸler, Klaus; Wagner, Kurt (1980): Marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin.

 Die erste Feuerbachthese:

„Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus - den Feuerbachschen mit eingerechnet - ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche TĂ€tigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher geschah es, daß die tĂ€tige Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus natĂŒrlich die wirkliche, sinnliche TĂ€tigkeit als solche nicht kennt. Feuerbach will sinnliche, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte; aber er faßt die menschliche TĂ€tigkeit selbst nicht als gegenstĂ€ndliche TĂ€tigkeit. Er betrachtet daher im “Wesen des Christenthums” nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, wĂ€hrend die Praxis nur in ihrer schmutzig-jĂŒdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der “revolutionĂ€ren”, der praktisch-kritischen TĂ€tigkeit.“ (Marx-Engels Werke, Band 3, Seite 533 ff. Dietz Verlag Berlin, 1969)

 

 

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Der freie Wille und die Physik

24. August 2010 - 15:55 Uhr

Physiker und Chemiker haben kein Problem damit, physikalischen oder chemischen Prozessen das PrĂ€dikat „freiwillig“ zuzuschreiben. Psychologen und Neurophysiologen streiten dagegen sogar darĂŒber, ob dieses PrĂ€dikat menschlichen Handlungen zuerkannt werden kann.

Hinter diesem Widerspruch sind einige Probleme verborgen, die meist nicht reflektiert werden, wenn die Formulierung „freier Wille“ benutzt wird.

Ein erstes Problem steckt hinter der „Wer-Frage“. Wer – welche Art von EntitĂ€t - hat die Eigenschaft, die jeweils „freier Wille“ genannt wird? Bei Physikern und Chemikern sind dies Prozesse in isolierten thermodynamischen Systemen, d.h. thermodynamische Systeme, die weder Substanz noch Energie mit der Umgebung austauschen.

Solche Systeme befinden sich gewöhnlich im Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts, d.h. in einem Zustand, in dem ĂŒberhaupt nichts stattfindet, weder freiwillig noch unfreiwillig. Anders aber, wenn in einem isolierten thermodynamischen System ein Zustand des Ungleichgewichts besteht. Dann geht das System „von allein“/1/ („spontan“, „freiwillig“) in ein thermodynamisches Gleichgewicht ĂŒber. Das ist ein Aspekt des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik.

Die Bedeutung des Wortes „freiwillig“ resultiert eben daraus, dass es Prozesse innerhalb eines isolierten Systems bezeichnet, auf die per definitionem keine Ă€ußeren Ursachen wirken. Dieser Umstand der fehlenden Ă€ußeren Ursache zwingt quasi zur Verwendung von Termini wie „freiwillig“, „von allein“ oder „spontan“. Er ist nur in isolierten thermodynamischen Systemen gegeben.

Nun werden Lebewesen seit Bertalanffy gewöhnlich als offene thermodynamische Systeme betrachtet. Das physikalische Konstrukt des offenen thermodynamischen Systems ist also auch das ErklĂ€rungsprinzip fĂŒr Lebewesen, und fĂŒr diese gilt, dass nichts ohne Ă€ußere Ursache geschieht. In offenen thermodynamischen Systemen geschieht nichts von allein, spontan, freiwillig.

Indem nun die Lebewesen diesem ErklĂ€rungsprinzip unterworfen werden, können ihnen allein aus GrĂŒnden der Logik PrĂ€dikate wie „von allein“ oder „freiwillig“ nicht mehr zugeschrieben. Der freie Wille wurde ihnen per definitionem genommen.

Wenn man den Lebewesen nun doch einen (freien, eigenen) Willen zuschreiben will, kann das angewendete ErklĂ€rungsprinzip fĂŒr Lebewesen weder das Konstrukt des isolierten noch das des offenen thermodynamischen Systems sein. Lebewesen mĂŒssen mit einem prinzipiell anderen Prinzip als dem des thermodynamischen Systems erklĂ€rt werden.

Dieses andere Prinzip ist das Konstrukt des Subjekts. Subjekte haben per definitionem einen Willen. Subjekte sind im allgemeinen Sprachgebrauch (und dem vieler Philosophien) mit Eigenschaften wie Selbstbestimmtheit, Autonomie und eben dem freien Willen ausgestattet. Ohne diese Eigenschaften kann ein Individuum nicht Subjekt sein. Dieses Konstrukt wÀre aber nur dann mit den Paradigmata der Physik vertrÀglich, wenn das Subjekt physikalisch nicht mehr also offenes, sondern als isoliertes thermodynamisches System aufgefasst werden könnte.

Die Crux liegt also in der Beziehung der Subjekte zur Umwelt. Die Subjekte mĂŒssen Beziehungen zur Umwelt haben, diese dĂŒrfen aber nicht kausalistischer Natur sein. Die Umwelt darf nicht die Ursache des subjektiven Handelns sein, denn dieses muss selbstbestimmt, autonom sein.

Deshalb ist der Subjektbegriff kein ErklÀrungsprinzip der Biologie und nur selten der Psychologie. Diese Wissenschaften verstehen sich als Naturwissenschaften und als diese haben sie sich dem kausalistischen Paradigma unterworfen, das die Existenz selbstbestimmter EntitÀten nur als isolierte thermodynamische Systeme zulÀsst.

Es ist also erforderlich, eine autonome, selbstbestimmte Konstellation mit einer solchen thermodynamischen Ausstattung zu konstruieren, die im Unterschied zum isolierten thermodynamischen System auch Beziehungen zur Umwelt zulĂ€sst. Da eine solche Konstellation weder ein isoliertes noch ein offenes thermodynamisches System sein kann, muss sie in einem neuen Begriff abgebildet werden. Um mit diesem Begriff einer selbstbestimmten thermodynamischen Konstellation umgehen zu können, ist ein Wort erforderlich. Ein solcher Begriff kann widerspruchsfrei im Wort „Subjekt“ ausgedrĂŒckt werden. Dazu muss aber das Subjekt als physikalische Kategorie definiert werden,

Wie gezeigt werden kann (Litsche 2004), ist ein solcher Begriff des Subjekts geeignet, Eigenschaften wie Autonomie, Selbstbestimmtheit, Wille u.a. als native Eigenschaften bestimmter thermodynamischer Konstellationen zu verstehen.

Ein zweites Problem ist die Frage danach, wodurch sich die Beziehungen von Subjekten zu ihrer Umwelt von den Beziehungen unterscheiden, die zwischen offenen Systemen und deren Umgebung bestehen.

System und Subjekt

Abbildung 1: Offenes thermodynamisches System und Subjekt (grĂŒn Zufluss und Abfluss, L Leistung, T TĂ€tigkeit des Subjekts, E/S Energie/Substanz)

Ein offenes thermodynamisches System hat einen Zufluss und einen Abfluss und ist durch diese ist das thermodynamische GefÀlle der Umgebung eingeordnet. Zufluss und Abfluss bestimmen die Leistung des Systems, alle Werte können gemessen, die Leistung kann aus Parametern der Umgebung berechnet werden. Durch die Gestaltung von Zufluss und Abfluss kann die Leistung manipuliert werden, das System ist fremdbestimmt.

Das Subjekt vollzieht aus seinem Willen heraus eine TĂ€tigkeit, durch die es Substanz oder Energie auch gegen ein GefĂ€lle der Umwelt aufnimmt. Die Parameter der Umwelt können gemessen, die TĂ€tigkeit kann aber nicht aber aus Parametern der Umwelt berechnet (vorher gesagt) werden. Bei VerĂ€nderung der Parameter der Umwelt verĂ€ndert das Subjekt seine TĂ€tigkeit in selbstbestimmter Weise, es „reagiert“ autonom. Die Reaktionen können nur aus der Beobachtung des Subjekts vorhergesagt (berechnet) werden, nicht aus den VerĂ€nderungen der Umwelt.

Pflanzen können beispielsweise Wasser auch aus sehr trockenen Böden gegen ein osmotisches GefĂ€lle jaaufnehmen und dieses gegen die Schwerkraft transportieren. Die Menge des Speichels von Pawlows Hund kann nicht aus der Masse der Klingel berechnet werden, die den Speichelfluss auslöst. Das unterscheidet aber thermodynamische Systeme vom Subjekt. Das Subjekt realisiert thermodynamische Prozesse, die gegen ein GefĂ€lle verlaufen, „bergauf“.

Über Subjekte und offene thermodynamische Konstellationen kann man problemlos reden, solange man sie als „black box“ betrachtet und nicht nach der physikalischen Struktur des Subjekts fragt. In allen mir bekannten frĂŒheren Versuchen konnte das Problem der Organisation von physikalischen Prozessen gegen das GefĂ€lle („bergauf“) nicht ohne die Hilfe von KrĂ€ften wie der Entelechie oder einer vis vitalis gelöst werden. Wo in der Psychologie Subjekte vorkommen, sind sie masselose Wesen und die Psychologie wird zur „Psychologie ohne Hirnforschung“ /3/.

Wie dem auch sei, um die Natur des (eigenen) Willens zu bestimmen ohne in WidersprĂŒche mit den Paradigmata der Physik zu geraten, muss eine Konstellation von thermodynamischen bergab wirkenden Prozessen konstruiert werden, durch deren Zusammenwirken letztlich die bergauf wirkende TĂ€tigkeit der Subjekte entsteht /6/. Ohne ein solches Konstrukt bleibt jede Definition des Willens außerhalb der Physik.

Diese physikalische Grundlage eines Subjektbegriffs fehlt den verbreiteten neurophysiologischen Erörterungen der Kategorie des (freien) Willens. Das fĂŒhrt entweder auf der einen Seite dazu, die Existenz eines freien Willens ĂŒberhaupt zu bestreiten und deshalb folgerichtig auch dem Menschen den Willen und damit die FĂ€higkeit der Selbstbestimmtheit abzusprechen. Die andere Art des Herangehens fĂŒhrt dazu, die Kategorie des Willens außerhalb der Physik anzusiedeln und kommt folgerichtig in letzter Konsequenz zu einer Psyche ohne Gehirn. Die Diskussion um das Manifest fĂŒhrender deutscher Neurophysiologen/4/ und die Antwort einiger Psychologen /5/ in der Zeitschrift „Gehirn und Geist“ ist dafĂŒr hinreichend Beleg.

Andere Autoren suchen den Ausweg in quantenmechanischen Prozessen, die sich in der Tiefe neurophysiologischer EntitĂ€ten abspielen sollen und deren zufĂ€lliger Charakter die Grundlage fĂŒr die Freiheit von Entscheidungen sein soll. Ohne dieser Argumentation in einzelnen nachzugehen lĂ€sst sich einwenden, dass diese Auffassung unreflektiert Autonomie, Selbstbestimmtheit, Willen usw. – kurz die SubjektivitĂ€t allen Lebewesen abspricht, die nicht ĂŒber ein Nervensystem verfĂŒgen, also nicht nur den Einzellern sondern beispielsweise auch allen höheren Pflanzen. Dieser Zuschreibung sollte zumindest nachvollziehbar begrĂŒndet werden, denn sie betrifft letztlich die Einheit der biologischen Wissenschaft als der Wissenschaft von allen Lebewesen.

Björn Brembs gehört zu den wenigen Neurophysiologen, die die Frage nach einem freien Willen mittels ernsthafter Experimente untersuchen. Nun hat er angekĂŒndigt, dass er sich auch zum Begriff des freien Willens explizit Ă€ußern will. Ich bin gespannt, wie er diese Probleme angeht.

   

/1/ Kluge, Gerhard; Neugebauer, Gernot (1994): Grundlagen der Thermodynamik, Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg Berlin Oxford (S.68ff.)

/2/ Litsche, Georg A. (2004): Theoretische Anthropologie, Lehmanns Media-LOB, Berlin

/3/ Wissenschaft im Zwiespalt. StreitgesprĂ€ch. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 64/4/ Das Manifest (2004) Elf fĂŒhrende Neurowissenschaftler ĂŒber Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung. Gehirn & Geist, Heft 6/2004, S.31-37/5/ Psychologie im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 56-60/6/ Litsche, Georg (2010) Subjekt und System E-Journal der Website ICHS - International Cultural-historical Human Sciences S.66ff 

Weitere BeitrÀge zum Thema:

Meine Website „Subjekte“:

Subjekt - System - Information
Warum die Psychologie das Gehirn nicht findet
Warum die Neurophysiologie den Geist nicht findet

Mein Blog „Wille versus KausalitĂ€t“

Der tut nix, der will bloß spielen
Freier Wille
Das ErkenntnisbedĂŒrfnis und unsere Erkenntnis

 

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Erkenntnistheorie, wie hÀltst duŽs mit der Evolution?

28. Januar 2010 - 16:12 Uhr

Dem aufmerksamen Leser meines Blogs wird nicht entgangen sein, dass ich mich zurzeit verstÀrkt mit erkenntnistheoretischen Problemen befasse. Beim Vergleich verschiedener erkenntnistheoretischer AnsÀtze fiel mir auf, dass viele davon ausgehen, dass die menschliche Erkenntnis ein Resultat der Evolution ist. Das erschien mir solange nicht bemerkenswert, bis ich untersuchte, welche Rolle die These von der Evolution der Erkenntnis in der logischen Struktur der jeweiligen Erkenntnistheorie spielte.

Ich ersetzte die These, dass die menschliche Erkenntnis im Verlauf der Evolution entstanden ist durch die gegenteilige These und fragte mich, wie sich die jeweilige Erkenntnistheorie verĂ€ndern wĂŒrde, wenn man von einer kreationistischen Annahme ausginge und annĂ€hme, dass menschliche Erkenntnis geschaffen worden sei.

Zuerst prĂŒfte ich meine erkenntnistheoretische Herkunft, die Erkenntnistheorie des Marxismus. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass die grundlegenden Aussagen der marxistischen Erkenntnistheorie auch mit kreationistischen Voraussetzungen vertrĂ€glich sind. Das war mir bisher noch nie aufgefallen. FĂŒr mich war – und ist – die Evolutionstheorie eine der essentiellen →PrĂ€missen meines Denkens, und deshalb hatte ich die Evolutionstheorie auch fĂŒr eine essentielle PrĂ€misse der Erkenntnistheorie gehalten, die ich mir im Verlauf der Entwicklung meines wissenschaftlichen Denkens angeeignet hatte.

Erst als ich bewusst darĂŒber nachdachte, wurde mir klar, dass die Evolutionstheorie nicht essentiell fĂŒr die marxistische Erkenntnistheorie ist, auch wenn sie von sich das Gegenteil behauptet.

Danach prĂŒfte ich andere mir bekannte Theorien der Erkenntnis und stellte fest, dass auch sie keine bestimmte Theorie der Entstehung der Erkenntnis erforderten, sondern mit unterschiedlichen Annahmen ĂŒber die Entstehung ihres Gegenstandes vertrĂ€glich sind.

Der Grund fĂŒr diesen Sachverhalt liegt wohl im SelbstverstĂ€ndnis der Erkenntnistheorie als philosophischer Disziplin. Das bedingt, dass der Gegenstand einer Erkenntnistheorie aus der Philosophie abgeleitet wird, als deren Bestandteil die Erkenntnistheorie entwickelt wird.

FrĂŒher dachte ich, dass eine Philosophie, welche wie der Marxismus die Evolutionstheorie zu ihren essentiellen Grundlagen zĂ€hlt, dies nolens volens auf ihre Bestandteile ĂŒbertrĂ€gt. Erst allmĂ€hlich begann ich zu begreifen, dass keine Philosophie eine wissenschaftliche Theorie zu ihren essentiellen Grundlagen zĂ€hlt, weil das dem Wesen der Philosophie widersprechen wĂŒrde. Philosophie befasst sich (u.a.) mit den allgemeinen Grundlagen aller Wissenschaft und ist deshalb vertrĂ€glich mit jeder wissenschaftlichen Theorie. Philosophie begrĂŒndet sich nicht wissenschaftlich, sie begrĂŒndet vielmehr Wissenschaft philosophisch. Dem widerspricht nicht, wenn Philosophie mit Wissenschaft vertrĂ€glich sein will. Deshalb sieht auch die Theologie vielfach keinen unĂŒberbrĂŒckbaren Gegensatz zur Evolutionstheorie.

Philosophien unterwerfen sich keiner wissenschaftlichen Theorie, indem sie aus einer solchen abgeleitet werden. Wissenschaftliche Theorien sind zwar aus Philosophien ableitbar, nicht aber umgekehrt. Diese Beziehung ist implikativ, also von der Art wenn → dann, was heißt, dass die vorausgesetzte Philosophie auch dann wahr ist, wenn die abgeleitete wissenschaftliche Theorie falsch ist.

Eine philosophische Erkenntnistheorie kann daher die Frage nach der Entstehung der menschlichen Erkenntnis nicht als wissenschaftliches Problem stellen und daher auch nicht lösen. Sie beginnt mit einer philosophischen Antwort auf ein philosophisches Problem.

Die Evolutionstheorie kann nur dann eine essentielle Voraussetzung einer Erkenntnistheorie werden, wenn die Erkenntnistheorie aus der Evolutionstheorie abgleitet wird. Meine Erwartung, dies in der evolutionĂ€ren Erkenntnistheorie zu finden, wurde jedoch enttĂ€uscht. Das liegt schon in ihrem Ansatz. Konrad Lorenz, der wohl die erste evolutionstheoretisch hinreichend ausgearbeitete evolutionĂ€re Erkenntnistheorie vorgelegt hat, nennt seine Schrift „Die RĂŒckseite des Spiegels“ im Untertitel „Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens“, und das erste Kapitel hat den Titel „Das Leben als Erkenntnisvorgang“.

Mit der Qualifizierung des Erkenntnisprozesses als biotischer Prozess wird der Erkenntnisprozess aber seiner kulturellen und damit spezifisch menschlichen QualitÀt beraubt. Was untersucht wird, ist nicht der menschliche Erkenntnisprozess, sondern der biotisch-psychische Prozess der Entstehung psychischer Abbilder, wie sie auch von Tieren mit einem Zentralnervensystem gebildet werden. Die Frage nach der Spezifik des menschlichen Erkennens wird in diesem Kontext nur eliminiert, ist auch in diesem Kontext nicht formulierbar und muss deshalb unbeantwortet bleiben.

Der Grund fĂŒr die fehlende Antwort auf die Frage nach der Entstehung der menschlichen Erkenntnis ist die Struktur der Evolutionstheorie selbst. Sie ist als naturwissenschaftliche Theorie im kausalistischen Paradigma der Naturwissenschaften angesiedelt und kann die Grenze des biologischen VerstĂ€ndnisses nicht ĂŒberschreiten. Mit der Entstehung des Menschen hat die Evolution diese Grenze aber ĂŒberschritten. Die Entstehung der menschlichen Erkenntnis kann im traditionellen naturwissenschaftlichen VerstĂ€ndnis nicht erklĂ€rt werden. Es bedarf also eines neuen VerstĂ€ndnisses der Evolution, um die evolutionĂ€re Entstehung des Menschen zu verstehen.

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Wer betrĂŒgt wen?

22. Oktober 2009 - 09:44 Uhr

Neulich (3.10.09) sah ich im Fernsehen (NDR) ein Experiment, in dem die Wissenschaftler sich bemĂŒhten, den menschlichen Geruchssinn zu untersuchen. Sie ließen die Versuchspersonen mit der abgebildeten Apparatur drei Mal den gleichen Kaffeeduft riechen, wobei sie vorgaben, jeder Kaffee sei in einer anderen Kaffeemaschine erzeugt worden. Die Versuchspersonen kamen zu dem vorhersehbaren Ergebnis, dass der Kaffee aus der teuren, modernen Kaffeemaschine am besten röche, der aus der billigsten am schlechtesten.

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Bildquelle

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse wurde gesagt, dass die Sinne offensichtlich den Verstand betrögen und ihm Informationen vorspielten, die es in der experimentell erzeugten RealitÀt so nicht gab.

Der erkenntnistheoretische Hintergrund dieser „wissenschaftlichen“ Untersuchung ist offensichtlich und unreflektiert das empiristische Konzept der Wahrnehmung. Die Autoren haben offensichtlich die erkenntnistheoretische Diskussion der letzten 50 Jahre und die dieser zugrunde liegenden Ergebnisse der Wahrnehmungsforschung einfach nicht zur Kenntnis genommen. Jeder auch nur oberflĂ€chlich mit den modernen Ideen zum Thema vertraute Leser kann diese Konstruktion leicht auseinander nehmen.

Da die Versuchspersonen ja vorher wissen mussten, welchen Kaffeeduft sie prĂŒfen, haben sie dieses gedankliche Bild den wahrgenommenen Stoffen als Information aufmoduliert und so zum “Duft” gemacht. Das „prĂŒfende“ Subjekt hat mit seinem Verstand hat die Information erzeugt, die dann von den DĂŒften als TrĂ€ger dieser Information ĂŒber die Nase aufgenommen wurde. Der Duft selbst ist dafĂŒr relativ unbedeutend. Erst der Verstand bestimmt, wie ein Stoff riecht.

Nicht die Sinne haben also den Verstand betrogen, sondern höchstens umgekehrt.

Der Sinn solcher „Untersuchungen“ liegt auf der Hand: Wie sollte man sonst Werbung organisieren? Vielleich ĂŒber den Verstand? Da kann man den mĂŒndigen Verbraucher nicht „wissenschaftlich begrĂŒndet“ manipulieren und zu entmĂŒndigen versuchen. Der denkende Verbraucher - eine Horrorvostellung fĂŒr Werbung.

 

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