Archiv für November 2007


Fantasien

26. November 2007 - 16:40 Uhr

Natürlich, wieder die falschen Zahlen. Nicht ich lag falsch, sondern das Ziehungsgerät, natürlich!

Ich kann nicht einmal sagen, dass ich darüber besonders unglücklich wäre. Es waren doch schöne Tage, an denen ich meiner Fantasie freien Lauf ließ und überlegte, was ich mit dem Geld alles anfinge, wenn ich es denn gewänne! Zuerst …, und dann….

Freilich, das kann ich auch, ohne im Lotto zu spielen, aber mit dem Lottoschein in der Hand werden die Träume irgendwie realistischer! Sie geraten in den Bereich des Möglichen. Was will ich mehr für 5 Euro?

Aber halt! Als wissenschaftlich gebildeter Mensch des 21. Jahrhunderts fällt mir Roth ein. Eigentlich kann ich gar keine Fantasien haben, wenn ich nicht einmal einen eigenen Willen habe. Es sind alles nur feuernde Neurone in meinem Gehirn, die meine Fantasien erzeugen. Und wenn ich jetzt statt auf meinem Sofa in Libets Labor säße, würde ich auch erfahren, wie viele Millisekunden mein Gehirn schneller ist als ich.

Überhaupt, ich sitze gar nicht auf meinem Sofa, sondern mein Ich hockt irgendwo ganz hinten in meinem Großhirn und lacht mich aus! Und wer sitzt da auf meinem Sofa und guckt die Ziehung der Lottozahlen?

Nein, so können die Probleme der Psyche und des Ichs nicht gelöst werden (mehr>>). Da hätte man ja keine Freude mehr am Lotto! Ich denke, das Gehirn ist mein Organ wie meine Beine und Hände. Diese nutze ich nach meinem Willen. Meine Hände bestimmen nicht, was sie schreiben, und mein Gehirn bestimmt nicht, was ich denke - jedenfalls solange ich gesund bin.

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Alles Zufall?

20. November 2007 - 17:08 Uhr

 

Der Jackpot ist wieder einmal voll – 21 Millionen. Ob ich´s wieder mal riskiere?

Ich überlege: was wäre zu tun, um die Ergebnisse der Ziehung vorherzusagen. Eigentlich müsste das doch möglich sein, da bei diesem Geschehen nur ganz einfache Gesetze der Mechanik wirken. Der Weg jeder einzelnen Kugel ist streng kausal determiniert. Beim dem Billard mit den drei Kugeln geht es doch auch. Das ist doch kein Glücksspiel. Na gut, bei mir schon aber nicht bei den Könnern. Da ist der Weg jeder Kugel genau berechnet und voraussagbar. Die Kugeln sind doch keine Subjekte mit einem eigenen Willen!

Man müsste nur von den 49 Kugeln die genauen Parameter der Anfangsbewegung in den Computer eingeben (das ließe sich über genaue Messgeräte auch automatisieren) und dann die Bewegungen der Kugeln berechnen. Wie viele Rechenoperationen sind dazu notwendig? Wie viele Zusammenstöße geschehen in der Sekunde (ca. 25×10 ?). Also müssten in jeder zehntel Sekunde neue Parameter für jede Kugel berechnet werden, um 25 neue Zusammenstöße berechnen zu können. Ich fürchte, mein Computer ist da überfordert. Aber selbst wenn er das könnte, ich könnte die Ergebnisse, die er in dieser Zeit anzeigt, weder wahrnehmen noch denken. Dazu ist mein Denkorgan nicht fähig.

„Zufällig“ nenne ich also alles das, zu dessen Berechnung und Voraussage ich nicht fähig bin, auch wenn das Geschehen selbst prinzipiell berechenbar ist. Zufall ist also die Unberechenbarkeit des Berechenbaren!

So eigenartig es klingt, das Kausalitätsparadigma ist der Vater des Zufalls. Solange auch das wissenschaftliche Denken im Rahmen der Religion stattfand, brauchte man keinen Zufall, ein allmächtiges Wesen bestimmte alles. Aber seit das Trägheitsgesetz Newtons zum Paradigma wissenschaftlichen Denkens überhaupt geworden ist, sind - Descartes folgend - Ereignisse ohne Ursache nicht denkbar. Um nun solche Ereignisse, deren Ursache wir nicht angeben können, logisch widerspruchsfrei in wissenschaftliche Systeme einordnen zu können, wurde das Konzept der zufälligen Ereignisse erfunden. Mit dem Zufall wurde eine Denkfigur konstruiert, mit dem Unerklärtes erklärbar wird. In den verschiedenen Wissenschaften hat der Zufall auch seine eigentümliche Gestalt. So ist es kein Zufall, dass grundlegende Begriffe weit reichender Theorien den Charakter zufälliger Ereignisse haben. In der Biologie sind dies die Mutationen, in der Quantenmechanik werden „hidden variables“ postuliert und in der Systemtheorie emergieren Eigenschaften. Und dass der Mensch schließlich rein zufällig entstanden ist, weiß heute jedes Kind.

Damit sind allmächtige Wesen natürlich nicht aus dem Denken verschwunden, im Gegenteil, sie haben sich vermehrt. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der „intelligente Designer“ geboren. Aber diese Wesen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Heute sind auch sie in die Fänge des Kausalitätsparadigmas gefallen. Erst wenn wir keine physikalische Ursache mehr angeben können, kommen sie zum Zuge, als zwar letzte - aber doch als Ursache.

Ãœbrigens: Wie intelligent muss eigentlich der Designer des intelligenten Designers sein?

Ist schon spannend, wohin die Gedanken über einen erhofften Lottogewinn einen so führen können. Mag der Zufall also weiter wirken, denn wer würde schon Lotto spielen, wenn die Ergebnisse berechnet werden könnten? Ach was, ich riskier´s!

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Fliegen mit eigenem Willen

19. November 2007 - 09:29 Uhr

Neulich beendete Frieda meinen Mittagsschlaf. Frieda ist unsere Stubenfliege, die eigentlich jetzt ihre Winterruhe halten müsste. „Warum“, so fragte ich mich, „warum nur musste Frieda ausgerechnet jetzt ihre Winterruhe unterbrechen und mich in meinem wohlverdienten Schlaf stören?“ Indem ich über diese Frage nachsann, stellte ich fest, dass mich die Gewohnheiten meines alltäglichen Denkens wieder in die spanischen Stiefel des Kausalitätsparadigmas gelockt hatten. Für alles musste es ja eine erkennbare Ursache geben. Dass Frieda vielleicht einfach Lust zu einem Ausflug hatte, schien mir keine wirkliche Erklärung zu sein.
Da fiel mir eine Nachricht ein, die ich vor einiger Zeit in „Spektrumdirekt“ gelesen hatte. Björn Brembs u.a. wollten wissen, wie Taufliegen (Drosophila melanogaster) ihren Flug steuern, wenn ihre Umwelt ihnen keine Reize zukommen lässt. Schon die Fragestellung ist ein verhaltensbiologisches Sakrileg, eine Reaktion ohne Reiz, wie soll das gehen?
Die dunkelbäuchigen Tauliebhaber wussten offenbar, was sie „wollten“. Sie flogen nicht einfach stur geradeaus und taumelten auch nicht dem Zufälligkeitsparadigma folgend hin und her. Nein, sie gingen vor wie sinnvoll suchende. Ein Suchender überwindet auf geradem Wege Distanzen über offenes Gelände, um dann an viel versprechenden Orten unter schnellen Richtungswechseln die dort möglichen Verstecke zu finden. Lange und kurze Strecken wechseln sich als regelmäßig ab. Genau diese Muster erkannte Brembs auch im Flug der Insekten. Taufliegen müssen also in der Lage sein, auch ohne äußere Reize spontane „Entscheidungen“ zu treffen. (Volltext)
Ob man diese Fähigkeit „freier Wille“ nennen mag, hängt davon ab, wie man den Terminus „freier Wille“ definiert und ist letztlich eine Frage der Konvention. Offensichtlich ist aber, dass man dieses Verhalten nicht auf das Reiz- Reaktion- Modell abbilden kann. Es ist mit diesem unverträglich. Zeigt das Experiment nur eine in diesem Paradigma noch unerklärbare Anomalie oder gehört es schon zur Vorhut eines umfassenderen Paradigmenwechsels?
Das Reiz – Reaktion- Modell ist die verhaltensbiologische Verkleidung des Kausalitätsparadigmas, das in seiner „reinen“ Form „Behaviorismus“ genannt wird. Dieses Modell ist logisch widerspruchsfrei mit dem Kausalitätsparadigma verträglich, weshalb es auch nahezu allen verhaltensbiologischen Schulen zugrunde liegt, auch wenn sie sich vom Behaviorismus abzugrenzen versuchen. Allein durch die Benutzung der Termini „Reiz“ und „Reaktion“ hat man sich die spanischen Stiefel des Behaviorismus angezogen, auch wenn man die eine oder andere Druckstelle vermieden hat.
Ich jedenfalls gestehe nun meiner Frieda ihren eigenen Willen zu und überlege, wie ich nun mit ihr umgehe.

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