Der freie Wille und die Physik

Physiker und Chemiker haben kein Problem damit, physikalischen oder chemischen Prozessen das PrĂ€dikat „freiwillig“ zuzuschreiben. Psychologen und Neurophysiologen streiten dagegen sogar darĂŒber, ob dieses PrĂ€dikat menschlichen Handlungen zuerkannt werden kann.

Hinter diesem Widerspruch sind einige Probleme verborgen, die meist nicht reflektiert werden, wenn die Formulierung „freier Wille“ benutzt wird.

Ein erstes Problem steckt hinter der „Wer-Frage“. Wer – welche Art von EntitĂ€t - hat die Eigenschaft, die jeweils „freier Wille“ genannt wird? Bei Physikern und Chemikern sind dies Prozesse in isolierten thermodynamischen Systemen, d.h. thermodynamische Systeme, die weder Substanz noch Energie mit der Umgebung austauschen.

Solche Systeme befinden sich gewöhnlich im Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts, d.h. in einem Zustand, in dem ĂŒberhaupt nichts stattfindet, weder freiwillig noch unfreiwillig. Anders aber, wenn in einem isolierten thermodynamischen System ein Zustand des Ungleichgewichts besteht. Dann geht das System „von allein“/1/ („spontan“, „freiwillig“) in ein thermodynamisches Gleichgewicht ĂŒber. Das ist ein Aspekt des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik.

Die Bedeutung des Wortes „freiwillig“ resultiert eben daraus, dass es Prozesse innerhalb eines isolierten Systems bezeichnet, auf die per definitionem keine Ă€ußeren Ursachen wirken. Dieser Umstand der fehlenden Ă€ußeren Ursache zwingt quasi zur Verwendung von Termini wie „freiwillig“, „von allein“ oder „spontan“. Er ist nur in isolierten thermodynamischen Systemen gegeben.

Nun werden Lebewesen seit Bertalanffy gewöhnlich als offene thermodynamische Systeme betrachtet. Das physikalische Konstrukt des offenen thermodynamischen Systems ist also auch das ErklĂ€rungsprinzip fĂŒr Lebewesen, und fĂŒr diese gilt, dass nichts ohne Ă€ußere Ursache geschieht. In offenen thermodynamischen Systemen geschieht nichts von allein, spontan, freiwillig.

Indem nun die Lebewesen diesem ErklĂ€rungsprinzip unterworfen werden, können ihnen allein aus GrĂŒnden der Logik PrĂ€dikate wie „von allein“ oder „freiwillig“ nicht mehr zugeschrieben. Der freie Wille wurde ihnen per definitionem genommen.

Wenn man den Lebewesen nun doch einen (freien, eigenen) Willen zuschreiben will, kann das angewendete ErklĂ€rungsprinzip fĂŒr Lebewesen weder das Konstrukt des isolierten noch das des offenen thermodynamischen Systems sein. Lebewesen mĂŒssen mit einem prinzipiell anderen Prinzip als dem des thermodynamischen Systems erklĂ€rt werden.

Dieses andere Prinzip ist das Konstrukt des Subjekts. Subjekte haben per definitionem einen Willen. Subjekte sind im allgemeinen Sprachgebrauch (und dem vieler Philosophien) mit Eigenschaften wie Selbstbestimmtheit, Autonomie und eben dem freien Willen ausgestattet. Ohne diese Eigenschaften kann ein Individuum nicht Subjekt sein. Dieses Konstrukt wÀre aber nur dann mit den Paradigmata der Physik vertrÀglich, wenn das Subjekt physikalisch nicht mehr also offenes, sondern als isoliertes thermodynamisches System aufgefasst werden könnte.

Die Crux liegt also in der Beziehung der Subjekte zur Umwelt. Die Subjekte mĂŒssen Beziehungen zur Umwelt haben, diese dĂŒrfen aber nicht kausalistischer Natur sein. Die Umwelt darf nicht die Ursache des subjektiven Handelns sein, denn dieses muss selbstbestimmt, autonom sein.

Deshalb ist der Subjektbegriff kein ErklÀrungsprinzip der Biologie und nur selten der Psychologie. Diese Wissenschaften verstehen sich als Naturwissenschaften und als diese haben sie sich dem kausalistischen Paradigma unterworfen, das die Existenz selbstbestimmter EntitÀten nur als isolierte thermodynamische Systeme zulÀsst.

Es ist also erforderlich, eine autonome, selbstbestimmte Konstellation mit einer solchen thermodynamischen Ausstattung zu konstruieren, die im Unterschied zum isolierten thermodynamischen System auch Beziehungen zur Umwelt zulĂ€sst. Da eine solche Konstellation weder ein isoliertes noch ein offenes thermodynamisches System sein kann, muss sie in einem neuen Begriff abgebildet werden. Um mit diesem Begriff einer selbstbestimmten thermodynamischen Konstellation umgehen zu können, ist ein Wort erforderlich. Ein solcher Begriff kann widerspruchsfrei im Wort „Subjekt“ ausgedrĂŒckt werden. Dazu muss aber das Subjekt als physikalische Kategorie definiert werden,

Wie gezeigt werden kann (Litsche 2004), ist ein solcher Begriff des Subjekts geeignet, Eigenschaften wie Autonomie, Selbstbestimmtheit, Wille u.a. als native Eigenschaften bestimmter thermodynamischer Konstellationen zu verstehen.

Ein zweites Problem ist die Frage danach, wodurch sich die Beziehungen von Subjekten zu ihrer Umwelt von den Beziehungen unterscheiden, die zwischen offenen Systemen und deren Umgebung bestehen.

System und Subjekt

Abbildung 1: Offenes thermodynamisches System und Subjekt (grĂŒn Zufluss und Abfluss, L Leistung, T TĂ€tigkeit des Subjekts, E/S Energie/Substanz)

Ein offenes thermodynamisches System hat einen Zufluss und einen Abfluss und ist durch diese ist das thermodynamische GefÀlle der Umgebung eingeordnet. Zufluss und Abfluss bestimmen die Leistung des Systems, alle Werte können gemessen, die Leistung kann aus Parametern der Umgebung berechnet werden. Durch die Gestaltung von Zufluss und Abfluss kann die Leistung manipuliert werden, das System ist fremdbestimmt.

Das Subjekt vollzieht aus seinem Willen heraus eine TĂ€tigkeit, durch die es Substanz oder Energie auch gegen ein GefĂ€lle der Umwelt aufnimmt. Die Parameter der Umwelt können gemessen, die TĂ€tigkeit kann aber nicht aber aus Parametern der Umwelt berechnet (vorher gesagt) werden. Bei VerĂ€nderung der Parameter der Umwelt verĂ€ndert das Subjekt seine TĂ€tigkeit in selbstbestimmter Weise, es „reagiert“ autonom. Die Reaktionen können nur aus der Beobachtung des Subjekts vorhergesagt (berechnet) werden, nicht aus den VerĂ€nderungen der Umwelt.

Pflanzen können beispielsweise Wasser auch aus sehr trockenen Böden gegen ein osmotisches GefĂ€lle jaaufnehmen und dieses gegen die Schwerkraft transportieren. Die Menge des Speichels von Pawlows Hund kann nicht aus der Masse der Klingel berechnet werden, die den Speichelfluss auslöst. Das unterscheidet aber thermodynamische Systeme vom Subjekt. Das Subjekt realisiert thermodynamische Prozesse, die gegen ein GefĂ€lle verlaufen, „bergauf“.

Über Subjekte und offene thermodynamische Konstellationen kann man problemlos reden, solange man sie als „black box“ betrachtet und nicht nach der physikalischen Struktur des Subjekts fragt. In allen mir bekannten frĂŒheren Versuchen konnte das Problem der Organisation von physikalischen Prozessen gegen das GefĂ€lle („bergauf“) nicht ohne die Hilfe von KrĂ€ften wie der Entelechie oder einer vis vitalis gelöst werden. Wo in der Psychologie Subjekte vorkommen, sind sie masselose Wesen und die Psychologie wird zur „Psychologie ohne Hirnforschung“ /3/.

Wie dem auch sei, um die Natur des (eigenen) Willens zu bestimmen ohne in WidersprĂŒche mit den Paradigmata der Physik zu geraten, muss eine Konstellation von thermodynamischen bergab wirkenden Prozessen konstruiert werden, durch deren Zusammenwirken letztlich die bergauf wirkende TĂ€tigkeit der Subjekte entsteht /6/. Ohne ein solches Konstrukt bleibt jede Definition des Willens außerhalb der Physik.

Diese physikalische Grundlage eines Subjektbegriffs fehlt den verbreiteten neurophysiologischen Erörterungen der Kategorie des (freien) Willens. Das fĂŒhrt entweder auf der einen Seite dazu, die Existenz eines freien Willens ĂŒberhaupt zu bestreiten und deshalb folgerichtig auch dem Menschen den Willen und damit die FĂ€higkeit der Selbstbestimmtheit abzusprechen. Die andere Art des Herangehens fĂŒhrt dazu, die Kategorie des Willens außerhalb der Physik anzusiedeln und kommt folgerichtig in letzter Konsequenz zu einer Psyche ohne Gehirn. Die Diskussion um das Manifest fĂŒhrender deutscher Neurophysiologen/4/ und die Antwort einiger Psychologen /5/ in der Zeitschrift „Gehirn und Geist“ ist dafĂŒr hinreichend Beleg.

Andere Autoren suchen den Ausweg in quantenmechanischen Prozessen, die sich in der Tiefe neurophysiologischer EntitĂ€ten abspielen sollen und deren zufĂ€lliger Charakter die Grundlage fĂŒr die Freiheit von Entscheidungen sein soll. Ohne dieser Argumentation in einzelnen nachzugehen lĂ€sst sich einwenden, dass diese Auffassung unreflektiert Autonomie, Selbstbestimmtheit, Willen usw. – kurz die SubjektivitĂ€t allen Lebewesen abspricht, die nicht ĂŒber ein Nervensystem verfĂŒgen, also nicht nur den Einzellern sondern beispielsweise auch allen höheren Pflanzen. Dieser Zuschreibung sollte zumindest nachvollziehbar begrĂŒndet werden, denn sie betrifft letztlich die Einheit der biologischen Wissenschaft als der Wissenschaft von allen Lebewesen.

Björn Brembs gehört zu den wenigen Neurophysiologen, die die Frage nach einem freien Willen mittels ernsthafter Experimente untersuchen. Nun hat er angekĂŒndigt, dass er sich auch zum Begriff des freien Willens explizit Ă€ußern will. Ich bin gespannt, wie er diese Probleme angeht.

   

/1/ Kluge, Gerhard; Neugebauer, Gernot (1994): Grundlagen der Thermodynamik, Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg Berlin Oxford (S.68ff.)

/2/ Litsche, Georg A. (2004): Theoretische Anthropologie, Lehmanns Media-LOB, Berlin

/3/ Wissenschaft im Zwiespalt. StreitgesprĂ€ch. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 64/4/ Das Manifest (2004) Elf fĂŒhrende Neurowissenschaftler ĂŒber Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung. Gehirn & Geist, Heft 6/2004, S.31-37/5/ Psychologie im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 56-60/6/ Litsche, Georg (2010) Subjekt und System E-Journal der Website ICHS - International Cultural-historical Human Sciences S.66ff 

Weitere BeitrÀge zum Thema:

Meine Website „Subjekte“:

Subjekt - System - Information
Warum die Psychologie das Gehirn nicht findet
Warum die Neurophysiologie den Geist nicht findet

Mein Blog „Wille versus KausalitĂ€t“

Der tut nix, der will bloß spielen
Freier Wille
Das ErkenntnisbedĂŒrfnis und unsere Erkenntnis

 

Kategorie: Allgemein, Erkenntnis, Freier Wille, Kausalismus, Subjekte

13 Reaktionen zu “Der freie Wille und die Physik”

  1. TomGard

    Lieber Georg,
    wenn ich in Ihrem Schaubild zum “zweiten Problem” das thermodynamische System als “dissipative Struktur” setze
    (und ich habe zu bekennen, als Nichtfachmann nur eine unzureichende Vorstellung davon zu haben, da mir die Mathematik dazu abgeht ;), dann entsprĂ€che das rechte Schaubild zum “Subjekt” einem oszillierenden System mit den ZustĂ€nden “tĂ€tig” und “inaktiv”.
    Die StabilitĂ€tsbedingungen der zwei ZustĂ€nde ergĂ€ben sich aus den StoffflĂŒssen und vermittels dem VerhĂ€ltnis der jeweiligen StofflĂŒsse könnte die TĂ€tigkeit aus Umweltparametern vorhersagbar sein. Die “KreativitĂ€t”, von der Sie in Litsche 2004 sprechen, wĂŒrde nach StabilitĂ€tsbedingungen selektiert - wohl nach dem Muster von Symmetriebrechungen, falls ich das recht verstanden habe.
    Anders sĂ€he dann die Sache aus, wenn ein Subjekt 2.Ordnung hinzutrĂ€te, dessen StofflĂŒsse und TĂ€tigkeit auf des Subjekt 1. Ordnung bezogen sind, und zusĂ€tzlich von anderer Art, als diejenigen des Sub1. Es entstĂŒnde in den StofflĂŒssen und TĂ€tigkeiten eine informationelle Beziehung zwischen Umwelt und dem geordneten Subjekt. Die “KreativitĂ€t” des Gesamtsubjektes wĂ€re entsprechend bedingt abgekoppelt von der Thermodynamik der dissipativen Struktur, ihr Gegenstand wĂ€re nicht mehr ein UmweltbedĂŒrfnis, sondern ein SelbstorganisationsbedĂŒrfnis.
    Was sagen Sie dazu?

    Herzlichste GrĂŒĂŸe
    Thomas GrĂŒn

  2. TomGard

    Oops, eben erst schaute ich in “Subjekt und System” ‘rein, da werde ich beim wiederholten Lesen wohl meine Antworten finden ;-)
    lg

  3. Georg

    Hallo Herr Blau,
    vielen Dank fĂŒr den Kommentar, dessen Inhalt wieder mehrere Artikel erforderte.
    Hier nur Folgendes:
    Inzwischen benutze ich den Terminus „System“ nicht mehr zur Bezeichnung von Subjekten. Subjekte können nicht als Systeme erklĂ€rt werden. Hier bin ich inzwischen weiter als in „Subjekt und System“. Genaueres gibt es hier.
    Was die StoffflĂŒsse betrifft: das Subjekt transportiert Stoffe aktiv, sie fließen nicht. Wenn ich dies nur quantitativ als Stofffluss analysiere, ist das Subjekt weggedacht.
    AusfĂŒhrlich will ich dieses Problem im Projekt „Subjekt, System, Information“ erörtern, fĂŒr das der genannte Link der erste Abschnitt ist. Es ziert sich noch, ich hoffe aber noch dieses Jahr „fertig“ zu werden.
    Subjekte als oszillierende Konstellationen aufzufassen, ist wohl zutreffend. Das Schwingen entsteht durch die Selbststeuerung und ist der Beginn der Digitalisierung der Information. Dazu spÀter mehr.
    Freundlichst
    G.L.

  4. Ingo-Wolf Kittel

    meine zuschrift online zu stellen haben sie sich offenbar nicht getraut - interessant; ins system geflosson war sie jedenfalls, wie der rĂŒckfluss m/eines tests mir gezeigt hatte. - die flĂŒsse der stoffe durch die schwingenden oszillationen ihrer konstellation haben ‘weiter’ gefĂŒhrt? wohlan denn; oszillationen braucht man ‘viel glĂŒck’ dazu und damit gutes gelingen sicher nicht zu wĂŒnschen. bg iwk

  5. Georg

    @ Kittel
    Ich weiß nicht, von welcher Zuschrift sie sprechen- und den Rest verstehe ich auch nicht.
    G.L.

  6. TomGard

    Lieber Georg,
    ich denke, ich verstehe Dein Motiv, den Begriff “Konstellation” gegen den Systembegriff zu setzen. Doch ich kann dem Text, den Du mir verlinkt hast, nicht entnehmen, was er zur KlĂ€rung des Subjektbegriffes leisten soll und halte die EinfĂŒhrung des Zweckbegriffes im Gegenteil fĂŒr irrefĂŒhrend.

    Ein einfaches Beispiel mag demonstrieren, wie der Zweckbegriff vom BedĂŒrfnis abgeleitet ist.
    Der einschlĂ€gige Laboraffe bekommt eine Banane hingehĂ€ngt, nach der er mit einem bereitliegenden, zu kurzen Stab vergeblich angelt. Viele Affen sind imstande, das Hindernis mittels VerlĂ€ngerung des Stabes zu ĂŒberwinden und schauen sich nach geeigneten Mitteln um. Die Banane zu essen ist das BedĂŒrfnis, sie zu erlangen das Ziel, der Modus der Erlangung ist die Zielsetzung. Die Werkzeugherstellung ist statt auf das Ziel auf die Zielsetzung bezogen, sie folgt einer zweckmĂ€ĂŸigen Vorstellung.
    Ist Zweckbestimmung ein terminus technicus der Werkzeugherstellung, ist sie kein PrimĂ€rbegriff der SubjektivitĂ€t, im Sinne eines Vermittlungsbegriffes fĂŒr den Übergang zur entropischen Wende.

    Das gilt erst recht fĂŒr den kantischen Imperativ, ein Individuum (!) solle, dĂŒrfe nur Selbstzweck sein, der, nebenbei bemerkt, ein ideologischer Schmarrn ist, auf den nur ein onanierender Hagestolz kommt (ich mag den Kerl halt nicht).

    Das BedĂŒrfnis in der Bestimmung, die Du in Litsche 04 gabst, setzt die GegenstĂ€ndlichkeit eines Subjektes mittels Selektion einer Umwelt. Wenn wir den Vorgang geschichtlich setzen, heißt das, das BedĂŒrfnis selektiert einen Ausschnitt der StabilitĂ€tsbedingungen einer dissipativen Struktur.

    Symbolisieren wir uns die dissipative Struktur als eine Schleife in einer Linie, welche das thermodynamische GefÀlle darstellt, so haben ihre StabilitÀtsbedingungen ein selbstÀndiges Dasein in den internen Schleifenbedingungen, beispielsweise in Amplitude und Frequenz einer Schwingung.
    Diese SelbstĂ€ndigkeit wird sicher im Einzelfall so weit reichen, daß der Output der Schleife sekundĂ€re Schwingungen im thermodynamischen Medium verursachen kann, welche die StabilitĂ€tsbedingungen gegen Störungen abdĂ€mpfen, also die Ausgangsstruktur der Schleife erweitern.

    Eine Existenz, im Sinne eines abgeschlossenen Daseins bekommen die Schleifenbedingungen im Stoffwechsel eines reaktiven BlÀschens.
    Das von einem reaktiven BlĂ€schen gesetzte BedĂŒrfnis existiert doppelt, einerseits in seinen GegenstĂ€nden, andererseits der Organik dieser GegenstĂ€nde, doch das reicht m.E. nicht hin, ein Subjekt eindeutig aus der Gegenstandsbeziehung auszuheben, weil das PrĂ€dikat “Subjekt-sein” zwar einzelnen Phasen und ZustĂ€nden der StabilitĂ€tsbeziehung BlĂ€schen-Umwelt zukommt, aber nicht einer “Zustandsgleichung”. Das BlĂ€schen ist nach wie vor Bestandteil eines thermodynamischen Fließgleichgewichtes. Dies könnte man als ein “organisches Milieu” charakterisieren, dessen Zustandsgleichungen faktoriell in zwei unabhĂ€ngige Klassen fallen, nĂ€mlich eine entropische und eine gegenentropische, Ă€hnlich zweier Raumdimensionen, deren VerknĂŒpfung auf inkommensurable GrĂ¶ĂŸen fĂŒhrt.
    Dies Ă€ndert sich m.E., wie im 1.Brief angedeutet, mit BedĂŒrfnissen 2ter, vielleicht auch erst 3ter Ordnung (nĂ€mlich einer VerknĂŒpfungsebene zwischen 1ter und 2ter Ordnung).
    Die Gliederung des BlĂ€schens (und sei es in Organellen) gibt einer Erweiterung der Ausgangsstruktur, die im Falle dissipativer Strukturen ein Produkt zufĂ€lliger, dann erhaltener Resonnanz ist, einen Prozesscharakter. Resonnanz wird notwendiges Attribut der Produkte des internen Zusammenhangs der Kompartimente in der geschlossenen Struktur. Dies Produkt wird vergegenstĂ€ndlicht in den Resorbern und Exkretoren. Zusatzorgane, die TeilvorgĂ€nge des Stoffwechsels zum Gegenstand haben, nicht mehr die GegenstĂ€nde des Stoffwechsels selbst, entspringen internen BedĂŒrfnissen, deren Gegenstand interne ResonnanzvorgĂ€nge sind, die mittels der Zusatzorgane “entĂ€ußert” werden. Das Dasein der (von mir aus) Konstellation, das nun Lebensprozess eines Organismus wĂ€re, bekommt einen leiblichen und außerleiblichen Bestandteil. Diesen Ausdruck rechtfertige ich damit, daß der außerleibliche Teil nicht mehr Gegenstand einzelner BedĂŒrfnisse, sondern Produkt des innerleiblichen Zusammenhangs und damit angeeignetes Produkt ist.
    Auf diese Weise ist der Organismus Subjekt nicht “seiner selbst”, sondern seiner Lebensbedingungen.

    Ich will hinzu fĂŒgen, daß ich das Subjekt an der Stelle noch nicht fĂŒr “fertig” halte. Es wird vollendet, wenn vervielfĂ€ltigung bzw Vermehrung zum Zweck eines Gesamtsubjektes wird. Hier wĂ€re der Zweckbegriff wohl angemessen, hinreichend konkret.

    Resonnanz wĂ€re der SchlĂŒsselbegriff fĂŒr den Übergang aus der Physik, nĂ€mlich vermittels einer prozessierenden Umkehrung ihrer Richtung vermittels der organischen Gliederung.
    vG
    Tom

  7. Georg

    Hallo Tom,
    vielen Dank fĂŒr Deine lange Zuschrift, auf die ich natĂŒrlich im einzelnen eingehen kann, dafĂŒr ist ein Blog kein geeignetes Medium, zumal es – wie mir scheint – vielfach um die KlĂ€rung von MissverstĂ€ndnissen gehen mĂŒsste, die mehrfaches Nachfragen und Antworten erforderte.
    Zwei– nach wie vor im Fluss befindlichen - Gedanken möchte ich doch Ă€ußern.
    Erstens:
    Bis vor kurzem habe ich versucht, den Subjektbegriff aus dem Systembegriff abzuleiten (die Begriffe, nicht die Dinge, die sie abbilden!). Die Krise, in die meine Gedanken dabei geraten sind, wurde mir bewusst, als ich nach einiger Zeit meinen letzten Text „Subjekt und System“ (im E-Journal der Website ICHS) mit dem putzigen Versuch, beide auseinander abzuleiten, wieder las.
    Der Grund liegt in dem allgemein verbreiteten und auch von mir nicht bemerkten Fehler des Systembegriffs, diesen durch zwei Merkmale zu bestimmen, nĂ€mlich als aus zusammenhĂ€ngenden Teilen bestehend und als Ganzes, das mehr ist als die Summe dieser Teile, wobei als dieses Mehr verbreitet als die eine oder andere menschliche „Zutat“ bestimmt wird, Typisch dafĂŒr ist die Fassung des
    Systembegriffs in Wikipedia
    , die wohl als klassischer Ausdruck umgangssprachlichen Wissen angesehen werden kann.
    Alle daraus abgeleiteten Begriffe „erben“ diese Merkmale, und die sind mit einem Subjektbegriff, der durch Merkmale wie Autonomie, Selbsterhaltung, selbstbestimmt usw. gekennzeichnet ist, logisch nicht vertrĂ€glich.
    Um die beiden Merkmale des Systembegriffs getrennt „handeln“ zu können, eignet sich der umgangssprachliche Begriff der Konstellation. „System“ ist dann eine Konstellation mit einer menschlichen Zutat. Dann wird die Formulierung „lebendes System“ nur denkbar fĂŒr kĂŒnstliches Leben. Lebende Systeme sind dann auch keine Subjekte.
    Zweitens:
    Termini wie „System“, „Subjekt“, „BlĂ€schen“ usw. sind theoretische Begriffe, d.h. sie bezeichnen nichts in der physikalischen RealitĂ€t sondern sind ErklĂ€rungsprinzipien fĂŒr diese. Dadurch unterscheiden sie sich von Begriffen wie „Lebewesen“, „Koazervat“ usw. letztere haben physikalische Eigenschaften wie Masse und Volumen, ein System oder ein Subjekt sind ohne Masse und Volumen. Das ist wie der Unterschied zwischen Menge und Zahl. 3 Elefanten haben eine Masse, die Zahl „3“ nicht. Leben ist die Seinsweise von Subjekten.
    Lebewesen sind die einzigen unserer Erfahrung zugÀnglichen Subjekte, ob es auf anderen Himmelskörpern andere Subjekte gibt, wissen wir nicht. Ich habe den Verdacht, wir bemerkten sie im All garnicht, weil wir nicht Subjekte, sondern irdisches Leben suchen.
    Wenn wir also sagen, dass der Mensch ein Subjekt sei, meinen wir, dass er als Subjekt, d.h. als TrÀger von Autonomie Selbstbestimmtheit usw. zu erklÀren ist. Wenn wir sagen, der Mensch sei ein Lebewesen, dann meinen wir, dass er atmet, sich ernÀhrt usw.
    Zum Schluss noch eine Frage, welchen Begriff von
    Resonanz
    meinst Du?
    Bis denne“
    G.L.

  8. TomGard

    Hallo Georg,

    verzeih, daß ich mich so lang nicht gemeldet hab. Ich hoffe sehr, es geht Dir gut.

    Du hattest mich mit der Frage nach meinem Resonnanzbegriff ganz schön in Verlegenheit gebracht. Ich hĂ€tte gestehen mĂŒssen, ihn sehr naiv einer halbverstandenen Rezeption von Friedrich Cramers “Symphonie des Lebendigen” entnommen zu haben.

    Ich bin da “dran”.
    Versuchsweise bescheibe ich Resonnanz heute kurz als das, was mit einer Zustandsgleichung beschrieben wird. Mindestens zwei VorgĂ€nge, die linear zu beschreiben sind, und jeweils Phasen aufweisen, die als zirkulĂ€re VerknĂŒpfung beider zu beschreiben sind, also als der “eingeschwungene Zustand”, steady state, wie er elementar in der akustischen Resonnanz vorliegt. In nichtlinearen VorgĂ€ngen gibt es dann steadystate “Keimformen” und damit lande ich, soviel ich global weiß, bei den Julia-Mengen … und muß aussteigen.

    Es ist ein Kreuz, mit einem begrenzten mathematischen Verstand leben zu mĂŒssen ;-)

    lg
    Thomas

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  11. TomGard

    GrĂŒĂŸ Dich, Georg
    Kennst Du Lukes et al 2011 “How a Neutral Evolutionary Ratchet Can Build Cellular Complexity”?
    https://docs.google.com/file/d/1UUzjkp36iaZmQZfPwbmBSsfCzslGNEU4tlFy-WIOMQmHt_reO4xIaEGxQZU6/edit?hl=en_US&pli=1

    Mir scheint nach einer vorerst sehr flĂŒchtigen LektĂŒre, der vorgestellte Beschreibungsrahmen schließt ein Großteil der “LĂŒcke” im Übergang von “AktivitĂ€t” und “TĂ€tigkeit”, an dem ich mich weiter oben in abstrakten Figuren abgearbeitet habe, wenn man ihn anhand Deiner Gliederung der AktivitĂ€t der zellularen Subjekte vermittels ihrer ReprĂ€sentanz in einem mehrzelligen Gesamtsubjekt weiter denkt.

    Ich fĂ€nd’s klasse, wenn Du das Papier in Deine Terminologie ĂŒbersetztest - oder liegt Dir das grad zu weit ab?

    lg
    Thomas

  12. TomGard

    PS: Noch nicht gelesen, aber zum selben Thema von einem Kopf, dem ich jede Menge zutraue:

    http://skepticwonder.fieldofscience.com/2011/05/sticky-proteins-complexity-drama-and.html

  13. Georg

    Richtig
    G.L.


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