UexkĂŒll und die Evolutionstheorie
20. Oktober 2010 - 10:14 UhrBei meinen Ăberlegungen stoĂe ich immer wieder auf die âTheoretische Biologieâ von Jacob von UexkĂŒll /1!, eine Arbeit, die in den biologischen Wissenschaften noch immer nicht die Anerkennung gefunden hat, die ihm zukommt.
Es ist die erste â und wie ich meine â auch einzige hinreichend vollstĂ€ndige und in sich schlĂŒssige biologische Theorie, die die Lebewesen konsequent als Subjekte auffasst und dazu ein logisch und terminologisch konsistentes Begriffssystem vorweist. Damit war er im Jahr 1928 den Biologen seiner Zeit weit voraus. Er hatte erkannt, dass das kausalistische Paradigma der Physik und Chemie ungeeignet war, die spezifische Seinsweise der Lebewesen adĂ€quat abzubilden. Er hatte weiter nicht nur erkannt, dass eine wissenschaftliche  Biologie ein prinzipiell anderes ErklĂ€rungsprinzip erforderte, er hat ein solches ErklĂ€rungsprinzip auch ausgearbeitet.
Seine Gedanken wurden jedoch kaum rezipiert, nur sein Umweltbegriff fand Eingang in die wissenschaftliche Biologie. Da dieser jedoch nicht in dem zugehörigen logischen und terminologischen Zusammenhang rezipiert wurde, konnte er auch nur in fragmentarischer (âkastrierterâ) Form angeeignet werden./2/
Das grundlegende Prinzip, welches Leben adĂ€quat erklĂ€ren kann, nannte er âPlanmĂ€Ăigkeitâ. Hinter dieser PlanmĂ€Ăigkeit stand nach UexkĂŒll jedoch nicht irgendein planendes Wesen, so wie es der heutige Gebrauch dieses Wortes nahe legt, er fasste die PlanmĂ€Ăigkeit vielmehr als Naturkraft auf, als dem Leben innewohnende konstitutive Eigenschaft. Am Ende dieses Beitrags wird ein lĂ€ngerer Text zitiert, der das hinreichend belegt.
Heute drĂŒcken wir diese Eigenschaften des Lebendigen die, UexkĂŒll mit dem Wort âPlanmĂ€Ăigkeit â ausdrĂŒckte, mit Termini wie âOrganisationâ oder âInformationâ aus. Diese Kategorien sind aber inzwischen wie die Kategorie des Lebens in den Naturwissenschaften dem kausalistischen Paradigma untergeordnet worden und werden auch auf das Schema Ursache â Wirkung abgebildet. Das fĂŒhrt zwar zu logischen und terminologischen Problemen und WidersprĂŒchen, fĂŒhrt aber nicht zu einem Ăberdenken dieses Paradigmas. In den Geisteswissenschaften werden diese Kategorien als subjektive, geistige Kategorien ohne materielle Eigenschaften abgebildet, so dass Natur- und Geisteswissenschaften weiter aneinander vorbei reden.
Die entscheidende Kategorie in UexkĂŒlls Theorie ist die des Subjekts. Erst wenn die Lebewesen als autonome Subjekte abgebildet werden, können sie in ihrer Besonderheit als Lebewesen verstanden werden. Die Biologie ist in UexkĂŒlls VerstĂ€ndnis die Wissenschaft von den Subjekten.
âDie Physik behauptet, dass die uns umgebende Natur nur der KausalitĂ€t gehorchen. Solche bloĂ kausal geordnete Dinge haben wir âObjekteâ genannt. Im Gegensatz hierzu behauptet die Biologie, daĂ es auĂer der KausalitĂ€t noch eine zweite subjektive Regel gibt, nach der wir die GegenstĂ€nde ordnen â die PlanmĂ€Ăigkeit, die notwendig zur VollstĂ€ndigkeit des Weltbildes hinzugehört.
Wenn das HÀmmerchen eine Klaviersaite trifft und ein Ton erklingt, so ist das eine reine Kausalreihe. Wenn dieser Ton aber einer Melodie angehört, so ist er in eine Tonreihe hineingestellt, die gleichfalls eine Ordnung darstellt, die aber nicht kausaler Natur ist.
Wir wollen nun diejenigen Objekte, deren Bauart durch bloĂe KausalitĂ€t nicht zu verstehen ist, weil bei ihnen die Teile zum Ganzen im gleichen VerhĂ€ltnis stehen wie die Töne zur Melodie, âGegenstĂ€ndeâ nennen.
Objekte und GegenstĂ€nde bestehen beide aus Stoff, aber im Objekt gibt es keine andere Anordnung der Stoffteile, als sie die Struktur des Stoffes mit sich bringt. Im Gegenstand gibt es auĂerdem ein GefĂŒge, das die Teile zu einem planvollen Ganzen verbindet.
ĂuĂerlich unterscheiden sich Objekte und GegenstĂ€nde gar nicht voneinander.â (Theoretische Biologie, S.83f.)
In UexkĂŒlls VerstĂ€ndnis wird nun die Umwelt der Lebewesen nicht von den Objekten sondern von den GegenstĂ€nden gebildet. Zur Umwelt wird eine Umgebung erst durch ein Subjekt, erst das Subjekt macht die Umwelt.
âJetzt wissen wir, daĂ es nicht bloĂ einen Raum und eine Zeit gibt, sondern ebenso viele RĂ€ume und Zeiten wie es Subjekte gibt, da jedes Subjekt von seiner eigenen Umwelt umschlossen ist, die ihren Raum und ihre Zeit besitzt. Jede dieser abertausend Umwelten bietet den Sinnesempfindungen eine neue Möglichkeit sich zu entfalten. Dies ist dritte Mannigfaltigkeit â die Mannigfaltigkeit der Umwelten.
…
Damit stoĂen wir auf den neuen Naturfaktor â den Plan, dessen Erforschung zur Hauptaufgabe der Biologie geworden ist. Noch stecken wir in den ersten AnfĂ€ngen, und können keine ausreichende Beschreibung dieses Faktors geben.â (Theoretische Biologie, S. 232f.)
In diesem Kontext wird nun verstĂ€ndlich, warum UexkĂŒll die Evolutionstheorie ablehnte. Im Paradigma dieser Theorie ist die Umwelt ein von den Lebewesen unabhĂ€ngiger âFaktorâ, der auf die Lebewesen einwirkt und an den sie durch Mutation und Auslese angepasst werden, wodurch die Evolution zustande kommen soll. Im ErklĂ€rungsprinzip UexkĂŒlls ist die Umwelt dagegen ein Produkt des autonomen Subjekts, das nichts im Subjekt bewirken kann, auch keine Evolution.
Der Denkfehler, der diesem Schluss zugrunde liegt, ist die Gleichsetzung des Naturprozesses âEvolutionâ mit der Theorie âDarwinismusâ, die diesen Naturprozess erklĂ€rt. Seiner Denkweise hĂ€tte es eigentlich entsprochen zu versuchen, den Naturprozess âEvolutionâ auch mit seinem Prinzip der PlanmĂ€Ăigkeit des Lebendigen zu erklĂ€ren, wie er dies mit allen anderen Naturprozessen versucht hat.
Dieser Fehlschluss wirkte sich nun verhĂ€ngnisvoll auf das Schicksal seiner Theorie aus. Er war wohl die entscheidende Ursache fĂŒr die ausbleibende Rezeption der Theorie UexkĂŒlls. Im Jahre 1920 hatte die Evolutionstheorie Darwins  in den kausalistischen Naturwissenschaften den Status eines allgemein gĂŒltigen Paradigmas erreicht, das von keinem Naturwissenschaftler, der ernst genommen werden wollte, angezweifelt werden durfte. Das verbitterte UexkĂŒll stark, wie die folgende Stelle aus der Theoretischen Biologie zeigt:
âDer Darwinismus, dessen logische Folgerichtigkeit ebensoviel zu wĂŒnschen lĂ€Ăt wie die Richtigkeit der Tatsachen, auf die er sich stĂŒtzt, ist mehr eine Religion als eine Wissenschaft. Deshalb prallen alle GegengrĂŒnde an ihm wirkungslos ab; er ist weiter nichts als die Verkörperung des Willensimpulses, die PlanmĂ€Ăigkeit auf jede Weise aus der Natur loszuwerden.â (Theoretische Biologie, S197.)
Bis auf den heutigen Tag ist die Gleichsetzung von Gegenstand und Theorie weit verbreitet. Wer am Darwinismus zweifelt, dem wird meist gleich unterstellt, er bestreite den Fakt der Evolution. Das erschwert die Diskussion um die Weiterentwicklung der Theorie der Evolution. So verharrt diese Theorie in den Fesseln kausalistischen Denkens, und das Licht, das sie nach einem Wort Dobshanzkys auf alle Bereiche der Biologie werfen könnte, bleibt morgengrau.
*
Das folgende lĂ€ngere Zitat aus der âTheoretischen Biologieâ soll noch einmal deutlich machen, wie UexkĂŒll den Begriff er âPlanmĂ€Ăigkeit â verstand und warum das Argument, PlanmĂ€Ăigkeit erfordere einen externen Planer in Bezug auf UexkĂŒll auch heute noch unzutreffend ist.
âDie auĂerordentlichen Schwierigkeiten, die die Biologie zu ĂŒberÂwinden hat, um die Anerkennung der PlanmĂ€Ăigkeit als Naturmacht zu erzwingen, stammen aus der landlĂ€ufigen Alternative: Leib â Seele, mit der man alle Möglichkeiten der lebenden Natur erschöpft zu haben meint. Man vergiĂt dabei, daĂ sowohl Seele wie Leib planvoll sind, und planmĂ€Ăig miteinander zusammenhĂ€ngen, Es gibt also noch ein Drittes, das weder aus der Seele noch aus dem Leibe abgeleitet werden kam. Wenn man die Lehre von der Seele Psychologie und die Lehre vom Leibe Physiologie nennt, so fehlt noch die Lehre vom Dritten, das sowohl Leib wie Seele in sich schlieĂt, nĂ€mlich die Lehre von der PlanmĂ€Ăigkeit alles Lebendigen - die Biologie.
Auch diese AusdrĂŒcke decken den Tatbestand nicht völlig. Wie wir bei der Entstehung der Lebewesen feststellen konnten, nehmen diÂe indifferenten Zellautonome bei jeder neueinsetzenden Sprossung einen fremden Plan auf, der vorher in ihnen nicht vorhanden war. Aber dieser Plan wirkt sich in ihnen autonom aus, was bei den Maschinen nicht der Fall ist. Er wird also zum EigenpIan und bleibt kein Fremdplan, die die Maschinenteile einmalig ineinanderfĂŒgt, der aber weder den Betrieb aufrecht zu erhalten, noch SchĂ€den auszubessern vermag. Eine MaÂschine ist, wenn sie einmal vom Lebewesen Mensch erbaut wurde, restlos Stoff und gehorcht nur noch der KausalitĂ€t. Sie ist daher tot und bedarf zur Aufrechterhaltung ihrer PlanmĂ€Ăigkeit eines lebenden Betriebsleiters.â (Theoretische Biologie, S198ff.)
Ob das Wort âPlanmĂ€Ăigkeit â damals wie heute ein geeigneter Terminus fĂŒr den gemeinten Sachverhalt ist, sei dahin gestellt. Viele seiner Gedanken finden wir heute in der Systemtheorie, in der der von UexkĂŒll gemeinte Sachverhalt mit anderen Termini bezeichnet wird. Aber Fragen nach der âOrganisationâ der Evolution, nach ihrer âStrukturâ bleiben nach wie vor ungestellt.
/1/ Jacob von UexkĂŒll: Theoretische Biologie. Verlag von Julius Springer, Berli, 1928.
/2/ Eine gute Darstellung der Verwendung des Terminus âUmweltâ findet man in âWikipediaâ
25 Kommentare » | Erkenntnis, Evolution, Kausalismus, Subjekte