Archiv für März 2008


Lebewesen versus Subjekt

28. März 2008 - 10:55 Uhr

Die Kommentare zu meinem letzten Beitrag veranlassen mich, das Problem des Subjektbegriffs etwas ausführlicher darzustellen. Sowohl in der Umgangssprache wie in den entsprechenden wissenschaftlichen Fachsprachen wird das Wort „Subjektivität“ nur zur Bezeichnung von menschlichen Eigenschaften benutzt. Subjektivität wird an Bewusstsein gebunden und meint im Wesentlichen Selbstbewusstsein. In der Biologie wird Subjektivität - wenn auch mit Vorbehalten – Tieren zuerkannt, die wie beispielsweise die Schimpansen den „Spiegeltest“ bestehen, d.h. sich selbst im Spiegel erkennen. Damit wird aber nur die Fähigkeit nachgewiesen, sich selbst zu sehen und eine optische Vorstellung von sich selbst zu erzeugen. Die optische Wahrnehmung ist aber nur eine Form der Wahrnehmung. Man kann wohl mit einiger Sicherheit annehmen, dass alle Tiere mit einem Nervensystem fähig sind, sich selbst auch mit den anderen Sinnesorganen wahrzunehmen, über die sie verfügen. Auch der Frosch kratzt sich dort, wo es ihn juckt. Wieso sollte er sich also nicht zu taktiler Selbstwahrnehmung und Selbstvorstellung fähig sein? Er muss ja „wissen“, wie es sich dort anfühlen müsste, wo es juckt. Und auch Fliegen putzen sich dort, wo sie Fremdes wahrnehmen. Warum sollte man ihnen also Subjektivität absprechen?

 

Die durch ein Nervensystem vermittelte Selbstwahrnehmung aber nicht nur eine besondere Form der Beziehung von Lebewesen auf sich selbst. Eine andere ist die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und diese ist ein das Leben kennzeichnendes Merkmal aller Lebewesen. Eine vom Exobiology Program der NASA als allgemeine Arbeitsdefinitio­nen von “Leben” benutzten Definition lautet beispielsweise “Leben ist ein sich selbst erhaltendes chemisches System, das zur Darwinschen Evolution fähig ist.” [1] Mit dieser Definition kann außerirdisches Leben erkannt werden, auch wenn es nicht eiweißbasiert ist.

Die Fähigkeit zur Selbsterhaltung erfordert Systeme, die mit funktionellen Komponenten ausgestattet sind, deren Leistungen auf das System selbst gerichtet sind. Sucht man für diese Selbstbezüglichkeit der lebenden Systeme ein geeignetes Wort, bietet sich „Subjektivität“ unmittelbar an. Leben ist also generell durch Subjektivität gekennzeichnet. Eine solche Terminologie bedarf natürlich der Konvention.

Wenn man aber nun nicht annimmt, dass alle Lebewesen Subjekte sind, muss die Subjektivität der Lebewesen im Prozess der Menschwerdung entstanden sein. Die Theorie der Anthropogenese muss also die Frage beantworten, wie aus äffischen Tieren, die nicht Subjekte sind, Subjekte hervorgegangen sind.

Ganz abgesehen davon, dass es nahezu unmöglich erscheint, beispielsweise Schimpansen und Bonobos Subjektivität abzusprechen, folgt aus der Annahme der Evolution der Subjektivität die Frage nach Vorformen der Subjektivität bei nichtmenschlichen Lebewesen. Bindet man die Subjektivität an die Fähigkeit zur optischen Selbstwahrnehmung, bleibt die Frage, warum andere Formen der Selbstwahrnehmung nicht subjektiv sein sollen.

Wie jede Eigenschaft von Lebewesen muss sich auch die Subjektivität allmählich und schrittweise aus niederen Formen entwickelt haben. Das verlegt den möglichen Zeitpunkt der Entstehung des Subjektiven auf eine bestimmte definierbare Etappe der Evolution des Lebens. Welche Etappe wäre da denkbar, z.B. die Entstehung des Nervensystems, die Entstehung der Tiere oder die Entstehung der Vielzeller?

 

Eine konsequente Lösung besteht darin, die Entstehung des Subjektiven an die Entstehung des Lebens zu koppeln. Diese Lösung hat erstmals Leont´ev vorgeschlagen [2]. SeinenGrundgedanken habe ich hier dargestellt. Lebewesen können danach nur als Subjekte entstehen. Leben ist die Seinsweise von Subjekten. Subjektivität entsteht nicht im Verlaufe der biotischen Evolution, sondern entsteht bereits mit der Entstehung des Lebens, im Verlauf der chemischen Evolution. Subjektivität ist nicht Resultat der biotischen Evolution, sondern deren Voraussetzung.

Damit wird ein biologischer Begriff der Subjektivität entwickelt, dessen evolutionäre Entwicklung und Entfaltung rekonstruiert werden kann. Psychische Subjektivität erweist sich dann als spezifische Form der Subjektivität, die an die Entwicklung des Nervensystems gebunden ist, und das Bewusstsein erweist sich als spezifische Form menschlicher Subjektivität.

Solange die Biologie an einem Bild des Lebens festhält, in dem Lebewesen Objekte sind, die allein den Gesetzen der Kausalität unterliegen, kann sie Lebewesen höchstens als reagierende Automaten, nicht aber als sich selbst erhaltende Subjekte verstehen. Dieses Bild aber verhindert ein biologisches Verständnis der tierischen Psyche, wodurch auch das adäquate Verständnis der Spezifik der menschlichen Psyche verhindert wird, die ja aus der tierischen Psyche hervorgegangen sein muss. Die Biologie hat also noch Hausaufgaben zu machen.

 

[1] Nach Rauchfuß, Horst (2005): Chemische Evolution, Springer - Verlag, Berlin.Heidelberg.New York

[2] Leontjew, Alexej (1973): Probleme der Entwicklung des Psychischen, Fischer Athenäum

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Zwei Kulturen - zwei Sprachen

9. März 2008 - 18:18 Uhr

In der „GUTEN STUBE“ äußert sich Ferdinand Knauß sehr polemisch über das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Arroganz und Ignoranz einzelner Wissenschaftler helfen zwar nicht, den nach wie vor bestehenden tiefen Graben zwischen diesen zuzuschütten, sind aber nicht dessen Ursache, sondern eher seine Folgen.

 

Eine Ursache für die zwischen ihnen bestehende Sprachlosigkeit dürfte darin liegen, dass Natur- und  Geisteswissenschaften in verschiedenen Welten beheimatet sind, in denen sie sich nur untereinander und in ihrer Sprache unterhalten. Nur gelegentlich treffen sich einzelne mutige Vertreter beider Welten und tauschen Monologe aus, meist ohne den Anderen wirklich zu verstehen. Um einen Dialog zu führen, bräuchten sie eine gemeinsame Sprache. Manche Naturwissenschaftler meinen nun, ihre Sprache, die Sprache der Naturwissenschaft, sei auch dazu geeignet, die Inhalte der Geisteswissenschaften zu beschreiben. Es würde daher reichen, wenn die Geisteswissenschaftler die Sprache der Naturwissenschaften erlernten, dann könnte sie ihre Inhalte ja in „naturwissenschaftlich“ übersetzen. Das jedoch weisen diese empört zurück.

Vielleicht könnten die Naturwissenschaftler ihre Inhalte stattdessen in „geisteswissenschaftlich“ übersetzen? Das aber geht auch nicht, denn in der Sprache der Geisteswissenschaften finden sich keine Termini, in die naturwissenschaftliche Termini wie „Masse“ oder „Energie“ übersetzt werden könnten, haben doch die Gegenstände der Geisteswissenschaften weder Masse noch Energie. Geist und Seele kann man nicht messen und wiegen, und ohne Messen und Wiegen kann man keine Naturwissenschaft betreiben.[1]

 

Wenn beide statt übereinander auch miteinander reden wollen, brauchen sie offensichtlich eine gemeinsame Sprache. Das muss eine dritte Sprache sein, die Termini enthält, in denen beide ihre Inhalte ausdrücken können. So eine Sprache ist beispielsweise die Mathematik, deren Begriffe die Anzahl von Entitäten unabhängig davon abbilden, ob sie eine Masse haben oder nicht. Mit der Zahl „3“ können Atome,  und Galaxien aber auch Ideen oder Seelen gezählt werden. Da gibt es keine Missverständnisse.

Man braucht also Begriffe, die Entitäten unabhängig von ihrer substanziellen Beschaffenheit abbilden. So ein verbindender Begriff ist der Begriff des Systems. Dieser Begriff  kann beliebige Entitäten abbilden, ein System von Atomen ebenso wie ein System von Ideen. Dass die Systemtheorie in ihrem gegenwärtigen Zustand dazu noch nicht ausreichend geeignet ist, ändert daran nichts. Eine auf einem geeigneten Systembegriff  aufbauende Systemtheorie sollte wohl ausgearbeitet werden können.

 

Die Sprache einer solchen Systemtheorie würde es zwar ermöglichen, dass Natur- und Geisteswissenschaftler Monologe formulieren, die der jeweils andere auch versteht, aber sie werden noch immer von verschiedenen Systemen sprechen, wenn auch in einer gemeinsamen Sprache. Die Sprache der Systemtheorie allein ermöglicht noch keinen Dialog. Dazu ist eine Sprache erforderlich, in der Systeme beider Art miteinander verbunden werden können.

Ein dazu geeigneter Begriff ist ein systemtheoretischer Begriff des Subjekts. Das Subjekt muss darin als Kategorie abgebildet werden, die physikalisch messbar ist und zugleich Ideelles hervorbringt. Das ist die native Aufgabe der Biologie. Zumindest die „höheren“ Tiere sind naturwissenschaftlich beschreibbare Systeme, die mittels ihrer Psyche Ideelles hervorbringen. Dazu aber muss die Biologie einen Begriff der Psyche entwickeln, der diese als biologische Funktion von Lebewesen abbildet. Dazu muss die Biologie das Leben als die Seinsweise von Subjekten verstehen. Das ist innerhalb des Paradigmas der Kausalität nicht möglich. Dazu muss man den Willen von Subjekten als messbare Kategorie definieren und neben der kausalen Determination als volitive Determination etablieren, die durch die Tätigkeit der Subjekte realisiert wird. Beiträge dazu habe ich auf meiner Website veröffentlicht.

  

[1] Der aktuelle Stand der Diskussion kann gut in „Gehirn und Geist“ nachgelesen werden. Sie erhielt im Jahr 2004 durch ein „Manifest führender Neurophysiologen“ und eine Antwort von Psychologen neuen Auftrieb. Meinen Standpunkt habe ich auf meiner Website dargelegt (Zum „Manifest“ und zur Antwort der Psychologen)

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