Kategorie: Kausalismus


Ein hinderliches Vorurteil der Physik

28. Januar 2012 - 15:00 Uhr

In seinem Blog „Die Natur der Naturwissenschaft” hat Honerkamp einen lesenswerten Beitrag über Vorurteile und Vorwissen in der Physik geschrieben. Darin geht es u.a. darum, welche Bedeutung Vorurteile und Vorwissen für die Bewertung von experimentellen Daten haben.

In den Wissenschaften wird das Vorurteil gewöhnlich „Paradigma” genannt, das die Wissenschaftler eines Faches oder einer wissenschaftlichen Schule eint. Dieses wissenschaftliche Vorurteil hilft nicht nur bei der Bewertung experimentellen Daten, sondern hat auch großen - oft bestimmenden - Einfluss darauf, welche Experimente überhaupt gemacht und welche Daten gewonnen werden können.

Eines der stärksten Vorurteile der Physik ist die Auffassung, das jedes Ereignis eine Ursache haben müsse, aus dem man dieses Ereignis vorher sehen und berechnen könne. In diesem Paradigma dachte wohl Newton, als er die Schwerkraft entdeckte.

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Wie kolportiert wird, lag Newton unter einem Apfelbaum, als sich plötzlich einer löste und im auf den Kopf fiel. Erst wenn man denkt, dass nichts ohne Ursache geschieht, stellt sich die Frage, was denn die Ursache für diese Bewegung des Apfels ist. Mit dem Konzept der Schwerkraft kann diese Frage logisch widerspruchsfrei beantwortet werden.

Die Frage aber, warum sich ein Vogel, der auf dem Ast sitzt, an dem der Apfel hing, plötzlich und von allein in die Luft erhebt und entgegen der Schwerkraft davon fliegt, ist in diesem Paradigma nicht zu beantworten. Die Antwort „weil er das tun will” hat im kausalistischen Paradigma keinen Platz, der Wille ist - noch - keine Kategorie der Physik.

So wertvoll das Kausalitätsparadigma in der Physik auch sein mag, in anderen Wissenschaften gilt es nicht. Hemmend wirkt aber, dass dieses Paradigma zum Kriterium von Wissenschaftlichkeit und besonders der Naturwissen­schaften schlechthin gemacht wurde. Seine Anwendung auch auf die Geisteswissenschaften führt dazu, dasss die Geisteswissenschaften manchen Naturwissenschaftlern suspekt erscheinen, wenn sie nicht gar als „Verbalwissenschaften” zu Wissenschaften 2. Klasse degradiert werden. 

Die Biologie - und in ihrem Gefolge die Psychologie - wollen sich selbst als Naturwissenschaften begreifen. Um Vorgänge, wie das Fortfliegen des Vogels beschreiben zu können, haben sie das Konzept des Verhaltens entwickelt, in dem die Kategorien „Reiz” und „Reaktion” die Leerstellen von Ursache und Wirkung besetzen, womit sie es sich unter den wärmenden Fittiche der Physik bequem gemacht haben. Das aber ist trügerisch: Der Zusammenhang Reiz - Reaktion ist nicht physikalisch, sondern informationell, und keine Reaktion kann aus den physikalischen Parametern des Reizes berechnet werden. Damit hat die Biologie sich ebenso wie die Physik der Aufgabe entledigt, eine physikalische Kategorie des Willens zu entwickeln.

Diese Aufgabe wurde bereits von Schrödinger im Jahre 1944 weitsichtig formuliert:

„Man wird nicht erwarten, daß zwei vollständig voneinander verschiedene Mechanismen die gleiche Art von Gesetzlichkeit hervorbringen - man wird schließlich auch nicht erwarten, daß der eigene Hausschlüssel auch zur Türe des Nachbarn paßt.

Die Schwierigkeit, den Lebensvorgang mit Hilfe der gewöhnlichen physikalischen Gesetze zu deuten, braucht uns deswegen nicht zu entmutigen. Die Einsicht in die Struktur der lebenden Substanz, die wir gewonnen haben, läßt ja nichts anderes erwarten. Wir müssen bereit sein, hier physikalische Gesetze einer ganz neuen Art am Werk zu finden. Oder sollten wir lieber von einem nichtphysikalischen, um nicht zu sagen überphysikalischen Gesetz sprechen?” /1/

Es ist also an der Zeit, ein physikalisches Konzept des Willens zu entwickeln, in dem biotische Aktionen begrifflich und terminologisch widerspruchsfrei beschrieben werden können.Aber auch diese Begriffe ermöglichen es nicht, die Kategorie des Willens physikalisch zu fassen. Der Begriff des offenen thermodynamischen Systems ermöglicht beschreibt nur Prozesse, die in Richtung des thermodynamischen Gefälles, „bergab” verlaufen. Damit können ohne Zweifel viele biologische Teilprozesse abgebildet werden, aber nicht die Seinsweise von Lebewesen als Ganze. Sie vollziehen Prozesse, die gegen das Gefälle verlaufen, „bergauf“. Das Wachstum, ohne das Leben nicht möglich ist, kann nur als Ergebnis von Prozessen gedacht werden, die „bergauf” ablaufen. Solche Prozesse sind aber innerhalb der physikalischen Paradigmata der Thermodynamik nicht beschreibbar.

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Abbildung 1: Aktion und Reaktion, E Ereignis, U Ursache. Für die Reaktion gilt: E=f(U)

Es ist also erforderlich, dieses Vorurteil zu überwinden und thermodynamische Systeme zu konstruieren, die bergauf funktionieren und dadurch nicht nur zu Reaktionen, sondern auch zu Aktionen fähig sind. Aktionen sind per definitionem  physikalische Ereignisse, die von selbst, spontan, ablaufen und sich nicht aus einer Einwirkung vorher sagen oder berechnen lassen. Für sie muss ein anderes physikalisches Konzept entwickelt werden.

Mit diesem Problem plage ich mich seit über 10 Jahren. Wie weit ich dabei gekommen bin, kann man auf meiner Website nachlesen.

Literatur:

Schrödinger, Erwin (2001): Was ist Leben ? Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet, Piper & Co.Verlag, München, Zürich, S. 138.

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Tabubrüche in der Biologie

27. Dezember 2011 - 17:19 Uhr

Das Klagen über die Trennung der Natur- und Geisteswissenschaften hält an /1/, ernsthafte Versuche zu ihrer Überwindung sind Mangelware. Woran liegt´s?

Es ist ja nicht so, dass die Parteien einander nicht zur Kenntnis nähmen, sonst könnten sie ja ihre Getrenntheit nicht beklagen. Es fehlt auch nicht an Versuchen, die Denkergebnisse der jeweils anderen Seite nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese auch mit dem eigenen Denken zu verwinden, ja zu integrieren.

Die Versuche bleiben aber auf der Strecke, und das liegt zum einen daran, dass sie vom jeweils Anderen nicht rezipiert wurden, aber auch daran, dass entscheidende Begriffe und Termini von Natur- und Geisteswissenschaften dazu nicht geeignet sind. Sie wurden dazu nicht gemacht.

Wo liegt das Problem?

Die Naturwissenschaften verweisen – und das zu Recht – darauf, dass den grundlegenden Begriffen der Geisteswissenschaften Merkmale fehlen, ohne die die Naturwissenschaften nicht auskommen können, die für die Naturwissenschaften essentiell sind. Solche Merkmale sind beispielsweise Masse oder Energie. Psyche und Geist könne man nicht wiegen.

Das allein wäre schon hinderlich genug für gegenseitiges Verständnis. Erschwert wird die Lage dadurch, dass diese Merkmale nicht nur dem naturwissenschaftlichen Paradigma zugeschrieben werden, sondern vielfach als paradigmatisch für Wissenschaft schlichthin ausgegeben werden, wodurch den Geisteswissenschaften der Status der Wissenschaftlichkeit überhaupt abgesprochen wird. (Kutschera /2/) Das ist kein erfolgversprechendes Gesprächsklima.

Dessen ungeachtet gibt es die verschiedensten Bemühungen, jeweils moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse in geisteswissenschaftliche Gedankensysteme einzugliedern und diese so auf eine (natur)wissenschaftliche Basis zu stellen. Dabei bleiben nicht selten die geisteswissenschaftlichen Kategorien auf der Strecke. Seele oder freier Wille erscheinen als Illusion. (Roth, Gazzanniga)

Bemerkenswert, wenn auch selten, sind Versuche von Naturwissenschaftlern, geisteswissenschaftliche Termini zur Darstellung naturwissenschaftlicher Befunde zu benutzen. Brembs beschreibt zunächst experimentelle Befunde spontaner Bewegungen bei Fliegen und erörtert auf dieser Grundlage die Frage, ob man diese Befunde mit geisteswissenschaftlichen Termini wie „freier Wille“ bezeichnen kann. Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis:

„I no longer agree that “’free will’ is (like ‘life’ and ‘love’) one of those culturally useful notions that become meaningless when we try to make them ’scientific’.” (Ball 2007). The scientific understanding of common concepts enrich our lives, they do not impoverish them, as some have argued (Weigmann 2005). This is why scientists have and will continue to try and understand these concepts scientifically or at least see where and how far such attempts will lead them. It is not uncommon in science to use common terms and later realize that the familiar, intuitive understanding of these terms may not be all that accurate. Initially, we thought atoms were indivisible. Today we don’t know how far we can divide matter. Initially, we thought species were groups of organisms that could be distinguished from each other by anatomical traits. Today, biologists use a wide variety of species definitions. Initially, we thought free will was a metaphysical entity. Today, I am joining a growing list of colleagues who are suggesting it is a quantitative, biological trait, a natural product of physical laws and biological evolution, a function of brains, maybe their most important one.” /3/

Die Initiative geht also von einer Naturwissenschaft aus, die einem geisteswissenschaftlichen Begriff einen naturwissenschaftlich beschreibbaren Inhalt zuordnet. Es wird also nicht versucht, Inhalte geisteswissenschaftlicher Begriffe naturwissenschaftlichen Sachverhalten zuzuschreiben, sondern eben umgekehrt, geisteswissenschaftliche Termini erhalten einen naturwissenschaftlichen Inhalt. Damit ist noch nichts über die logische Konsistenz und theoretische Tragfähigkeit dieser Zuschreibung gesagt. Allein der Fakt ist bemerkenswert, vollzieht er doch einen Tabubruch in Bezug auf das naturwissenschaftliche Denken in der Biologie.

Dieser Tabubruch besteht darin, dass das kausalistische Paradigma, dass alle beobachtbaren Ereignisse eine äußere Ursache haben müssen, aufgebrochen wird. Das ist schon in der dem grundlegenden Experiment zugrunde liegenden Frage angelegt: Was tut eine Fliege, wenn keine Reize auf sie wirken? Diese Frage hat in der traditionellen Biologie überhaupt keinen Sinn, denn sie definiert ja Verhalten als Reaktion auf Reize. Verhalten ohne Reiz ist in diesem Paradigma nicht beschreibbar.

Diese Idee von Björn Brembs hat das Zeug, Ausgangspunkt einer grundlegenden Umgestaltung der Biologie zu werden, wenn sie angemessen weiterentwickelt wird und nicht in der Menge einzelwissenschaftlicher Artikel untergeht, wie manche der Ideen von Uexküll oder Lorenz.

Als wirksamer erwiesen sich hingegen Ideen, die vor gut 50 Jahren von Bertalanffy und Prigogine entwickelt wurden. Ihre Begriffe des offenen thermodynamischen Systems und der dissipativen Struktur erweiterten sie das Kategoriensystem der Physik, Dadurch wurde es möglich, biologische Vorgänge mit den von der Biologie entwickelten neuen physikalischen Begriffen und Termini naturwissenschaftlich exakt  zu beschreiben.

Davon ist die aktuelle Fassung Brembs´ Begriff des freien Willens noch ein Stück entfernt. Es fehlen verbindende Begriffe Als Erstes ist es erforderlich, den Begriff der Psyche als nativ biologischen Begriff zu verstehen, der eine Funktion des Nervensystems beschreibt, die ebenso Resultat von Anpassung und Evolution ist wie der Wille. Der von Brembs vorgeschlagene Begriff des Willens als biologische Kategorie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, denn er bricht einem Tabu, das die Biologie daran hindert, naturwissenschaftlich Entitäten geisteswissenschaftlich zu begreifen und diesen so einen naturwissenschaftlichen Inhalt zu verleihen.

 

Anmerkungen:

/1/ z.B. „Die Natur der Naturwissenschaft“, Blog von Josef Honerkamp

/2/ U. Kutschera; „Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie

/3/ Brembs, B. (2011) Towards a scientific concept of Free Will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates Proc. R. Soc. B 22 March 2011 vol. 278 no. 1707 930-939

 

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Verhalten versus Tätigkeit

27. August 2011 - 09:59 Uhr

In diesem Blog habe ich mehrfach /1/ auch das Problem erörtert, welches Begriffssystem erforderlich wäre, in das die Kategorie des Willens sinnvoll eingeordnet werden kann. In einem kürzlich in der Zeitung Main-Post publizierten Interview äußert sich Prof. M. Heisenberg dazu wie folgt:

„Ich habe immer vermieden, mich über Willensfreiheit auszulassen. Ich kann als Neurobiologe etwas zur Verhaltensfreiheit beitragen. … Verhalten ist grundsätzlich aktiv. (Hervorhebung von mir – G.L.) Der Begriff der Aktivität ist mir sehr wichtig. Aktivität bedeutet, dass das Verhalten im Organismus entstehen kann und dass das Verhalten nicht notwendigerweise eine Antwort auf etwas anderes ist. Also nicht notwendigerweise eine Reaktion. Dass ein Lebewesen „von sich aus“ etwas tut, war in der Wissenschaft lange Zeit umstritten nach dem Motto: Von nichts kommt nichts.“

Dem muss man entgegen halten: Verhalten ist grundsätzlich – per definitionem - nicht aktiv! Das biologische Erklärungsprinzip „Verhalten“ ist dazu angelegt, das kausalistische Paradigma für die Verhaltensbiologie aufzubereiten. Das Begriffspaar „Reiz - Reaktion“ fungiert in der Verhaltensbiologie als Platzhalter für das Begriffspaar „Ursache – Wirkung“. Die Darstellung jedes Verhaltens erfordert so die Angabe seiner Ursache, des auslösenden Reizes. Deshalb ist der Begriff des aktiven Verhaltens eine klassische contradictio in adiecto, mit dem Prädikat „aktiv“ wird dem Verhalten ein Merkmal zugeschrieben, das zuvor in der Definition ausgeschlossen wurde.

Das behavioristische Erklärungsprinzip entstand als die behavioristische Antwort (Watson, Skinner u.a.) auf die tierpsychologische Bearbeitung der tierischen Handlungsweisen. Die Ethologie (Heinroth, Lorenz, Tembrock u.a.) versuchte vor allem mit dem Instinktbegriff die aktive Seite tierischer Handlungsweisen zu artikulieren. Heute fristet die Ethologie ein Schattendasein als Nische in der Verhaltensbiologie. Das wohl auch darum, weil sie versuchte, ihre Ideen in der Terminologie der behavioristischen Verhaltensbiologie zu formulieren und darauf verzichtete, ein grundsätzlich eigenständiges Begriffssystem zu entwickeln. Dem Begriff des aktiven Verhaltens dürfte das gleiche Schicksal bevorstehen.

Das Bedürfnis für die Konstruktion eines Begriffs wie des aktiven Verhaltens entspringt einer Entwicklung der Verhaltensbiologie, wie sie von Kuhn an vielen Beispielen paradigmatisch beschrieben worden ist. Wenn empirische Daten nicht mehr in das herrschende Paradigma passen, werden sie zunächst als „Gegenbeispiele“ abgelegt und, wenn sie sich mehren, durch Hilfskonstruktionen (von Kuhn „ad hoc-Modifizierungen“ /4/ genannt) der bestehenden Theorie angepasst.

Die mit Hilfe der Hilfskonstruktion „aktives Verhalten“ einzuordnenden empirischen Daten wurden von Heisenberg (1983), Brembs u.a (2007) gewonnen. Brembs operiert mit dem Begriff des freien Willens und plädiert (2011) dafür, den Begriff des freien Willens zu einer naturwissenschaftlichen Kategorie zu entwickeln. Dabei schlägt er als begrifflichen Rahmen für dies Kategorie den Begriff „Selbst“ vor. Dazu habe ich bereits gepostet.

Ein begrifflicher Rahmen, dem die Aktivität der Aktionen der Lebewesen immanent ist, ist der Begriff der Tätigkeit. Dieser Begriff wurde von Leont´ev als Erklärungsprinzip für die Aktionen der Lebewesen vorgeschlagen. In diesem Erklärungsprinzip werden die Lebewesen als Subjekte beschrieben. Subjekte sind in diesem Begriffssystem physikalische Konstellationen, die mit den Begriffen und Termini der Thermodynamik beschrieben werden können./7/ Damit wird die Kategorie des Subjekts aus der alleinigen Domäne der Gesellschaftswissenschaften befreit und zu einer naturwissenschaftlich bearbeitbaren Kategorie entwickelt. Zugleich – und darin besteht das Hauptanliegen Leont´evs – ermöglicht sie den begrifflichen und terminologischen Apparat, mit dem die Herausbildung menschlicher Subjekte im Verlauf der Evolution widerspruchsfrei dargestellt werden kann.

Im Unterschied zum biologischen Begriff der Verhaltens ist wird die Tätigkeit per definitionem als aktive Leistung (menschlicher wie nicht menschlicher) Subjekte aufgefasst und braucht nicht als zusätzliches Merkmal hinzugefügt werden. Die Formulierung „aktive Tätigkeit“ wäre ein Pleonasmus.Tätigkeit ist auch per definitionem willentlich. Der Wille entsteht, wenn in der Entstehung des Lebens die verursachte physikalische Wirkung zur biologischen Tätigkeit wird und ist – wie M. Heisenberg ausführt - stammesgeschichtlich ebenso alt, wie die Freiheit des Handelns /8/.

Im Verlauf dieser Entwicklung hat die „Wille“ zu nennende Eigenschaft der Lebewesen mannigfache Veränderungen erfahren und ist in den verschiedensten Ausprägungen anzutreffen, für die geeignete Begriffe und Termini erst noch zu entwickeln sind.

Um Lebewesen als Subjekte zu verstehen, muss die Biologie also ihre grundlegenden Erklärungsprinzipien ändern. „Tätigkeit“ ist nicht nur das Erklärungsprinzip für das, was man heute „Verhalten“ nennt, sondern beispielsweise auch für das, was man „Stoffwechsel“ nennt. Das auszuführen, würde hier aber zu weit führen. Anmerkungen:

/1/ Subjekt und Instinkt II, Der freie Wille und die Physik, Haben Tiere Bewusstsein?, Wenn die Fliege aber keine Lust hat…

/2/ Die Freiheit der Fruchtfliege, Interview mit M. Heisenberg in der Main-Post vom 31.7.2011

/3/ Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 91)

/4/ Heisenberg, Martin (1983): Initiale Aktivität und Willkürverhalten bei Tieren, Naturwissenschaften, S. 70 bis 78

/5/ Brembs. B. u.a.(2007) Order in Spontaneous Behavior. PLoS ONE 2(5): e443. doi:10.1371.

/6/ Brembs, B. (2011) Towards a scientific concept of Free Will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates Proc. R. Soc. B 22 March 2011 vol. 278 no. 1707 930-939

/7/ Mit der weiteren Ausarbeitung der physikalischen Eigenschaften des Subjektbegriffs habe ich mich auf meiner Website z.B. hier befasst.

/8/ Wörtlich sagt er, „dass ein Individuum frei ist, so oder so zu handeln, und dass die Zukunft offen ist. Für mich war einer der Leitgedanken: Wenn wir diese Freiheit haben, muss sie in der Evolution entstanden sein, muss es eine Naturgeschichte dazu geben. Und etwas so Grundsätzliches sollte – stammesgeschichtlich betrachtet – sehr alt sein.“

 

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Uexküll und die Evolutionstheorie

20. Oktober 2010 - 10:14 Uhr

Bei meinen Überlegungen stoße ich immer wieder auf die „Theoretische Biologie“ von Jacob von Uexküll /1!, eine Arbeit, die in den biologischen Wissenschaften noch immer nicht die Anerkennung gefunden hat, die ihm zukommt.

Es ist die erste – und wie ich meine – auch einzige hinreichend vollständige und in sich schlüssige biologische Theorie, die die Lebewesen konsequent als Subjekte auffasst und dazu ein logisch und terminologisch konsistentes Begriffssystem vorweist. Damit war er im Jahr 1928 den Biologen seiner Zeit weit voraus. Er hatte erkannt, dass das kausalistische Paradigma der Physik und Chemie ungeeignet war, die spezifische Seinsweise der Lebewesen adäquat abzubilden. Er hatte weiter nicht nur erkannt, dass eine wissenschaftliche  Biologie ein prinzipiell anderes Erklärungsprinzip erforderte, er hat ein solches Erklärungsprinzip auch ausgearbeitet.

Seine Gedanken wurden jedoch kaum rezipiert, nur sein Umweltbegriff fand Eingang in die wissenschaftliche Biologie. Da dieser jedoch nicht in dem zugehörigen logischen und terminologischen Zusammenhang rezipiert wurde, konnte er auch nur in fragmentarischer („kastrierter“) Form angeeignet werden./2/

Das grundlegende Prinzip, welches Leben adäquat erklären kann, nannte er „Planmäßigkeit“. Hinter dieser Planmäßigkeit stand nach Uexküll jedoch nicht irgendein planendes Wesen, so wie es der heutige Gebrauch dieses Wortes nahe legt, er fasste die Planmäßigkeit vielmehr als Naturkraft auf, als dem Leben innewohnende konstitutive Eigenschaft. Am Ende dieses Beitrags wird ein längerer Text zitiert, der das hinreichend belegt.

Heute drücken wir diese Eigenschaften des Lebendigen die, Uexküll mit dem Wort „Planmäßigkeit “ ausdrückte, mit Termini wie „Organisation“ oder „Information“ aus. Diese Kategorien sind aber inzwischen wie die Kategorie des Lebens in den Naturwissenschaften dem kausalistischen Paradigma untergeordnet worden und werden auch auf das Schema Ursache – Wirkung abgebildet. Das führt zwar zu logischen und terminologischen Problemen und Widersprüchen, führt aber nicht zu einem Überdenken dieses Paradigmas. In den Geisteswissenschaften werden diese Kategorien als subjektive, geistige Kategorien ohne materielle Eigenschaften abgebildet, so dass Natur- und Geisteswissenschaften weiter aneinander vorbei reden.

Die entscheidende Kategorie in Uexkülls Theorie ist die des Subjekts. Erst wenn die Lebewesen als autonome Subjekte abgebildet werden, können sie in ihrer Besonderheit als Lebewesen verstanden werden. Die Biologie ist in Uexkülls Verständnis die Wissenschaft von den Subjekten.

„Die Physik behauptet, dass die uns umgebende Natur nur der Kausalität gehorchen. Solche bloß kausal geordnete Dinge haben wir ‚Objekte’ genannt. Im Gegensatz hierzu behauptet die Biologie, daß es außer der Kausalität noch eine zweite subjektive Regel gibt, nach der wir die Gegenstände ordnen – die Planmäßigkeit, die notwendig zur Vollständigkeit des Weltbildes hinzugehört.

Wenn das Hämmerchen eine Klaviersaite trifft und ein Ton erklingt, so ist das eine reine Kausalreihe. Wenn dieser Ton aber einer Melodie angehört, so ist er in eine Tonreihe hineingestellt, die gleichfalls eine Ordnung darstellt, die aber nicht kausaler Natur ist.

Wir wollen nun diejenigen Objekte, deren Bauart durch bloße Kausalität nicht zu verstehen ist, weil bei ihnen die Teile zum Ganzen im gleichen Verhältnis stehen wie die Töne zur Melodie, ‚Gegenstände’ nennen.

Objekte und Gegenstände bestehen beide aus Stoff, aber im Objekt gibt es keine andere Anordnung der Stoffteile, als sie die Struktur des Stoffes mit sich bringt. Im Gegenstand gibt es außerdem ein Gefüge, das die Teile zu einem planvollen Ganzen verbindet.

Äußerlich unterscheiden sich Objekte und Gegenstände gar nicht voneinander.“ (Theoretische Biologie, S.83f.)

In Uexkülls Verständnis wird nun die Umwelt der Lebewesen nicht von den Objekten sondern von den Gegenständen gebildet. Zur Umwelt wird eine Umgebung erst durch ein Subjekt, erst das Subjekt macht die Umwelt.

„Jetzt wissen wir, daß es nicht bloß einen Raum und eine Zeit gibt, sondern ebenso viele Räume und Zeiten wie es Subjekte gibt, da jedes Subjekt von seiner eigenen Umwelt umschlossen ist, die ihren Raum und ihre Zeit besitzt. Jede dieser abertausend Umwelten bietet den Sinnesempfindungen eine neue Möglichkeit sich zu entfalten. Dies ist dritte Mannigfaltigkeit – die Mannigfaltigkeit der Umwelten.

Damit stoßen wir auf den neuen Naturfaktor – den Plan, dessen Erforschung zur Hauptaufgabe der Biologie geworden ist. Noch stecken wir in den ersten Anfängen, und können keine ausreichende Beschreibung dieses Faktors geben.“ (Theoretische Biologie, S. 232f.)

In diesem Kontext wird nun verständlich, warum Uexküll die Evolutionstheorie ablehnte. Im Paradigma dieser Theorie ist die Umwelt ein von den Lebewesen unabhängiger „Faktor“, der auf die Lebewesen einwirkt und an den sie durch Mutation und Auslese angepasst werden, wodurch die Evolution zustande kommen soll. Im Erklärungsprinzip Uexkülls ist die Umwelt dagegen ein Produkt des autonomen Subjekts, das nichts im Subjekt bewirken kann, auch keine Evolution.

Der Denkfehler, der diesem Schluss zugrunde liegt, ist die Gleichsetzung des Naturprozesses „Evolution“ mit der Theorie „Darwinismus“, die diesen Naturprozess erklärt. Seiner Denkweise hätte es eigentlich entsprochen zu versuchen, den Naturprozess „Evolution“ auch mit seinem Prinzip der  Planmäßigkeit des Lebendigen zu erklären, wie er dies mit allen anderen Naturprozessen versucht hat.

Dieser Fehlschluss wirkte sich nun verhängnisvoll auf das Schicksal seiner Theorie aus. Er war wohl die entscheidende Ursache für die ausbleibende Rezeption der Theorie Uexkülls. Im Jahre 1920 hatte die Evolutionstheorie Darwins  in den kausalistischen Naturwissenschaften den Status eines allgemein gültigen Paradigmas erreicht, das von keinem Naturwissenschaftler, der ernst genommen werden wollte, angezweifelt werden durfte. Das verbitterte Uexküll stark, wie die folgende Stelle aus der Theoretischen Biologie zeigt:

„Der Darwinismus, dessen logische Folgerichtigkeit ebensoviel zu wünschen läßt wie die Richtigkeit der Tatsachen, auf die er sich stützt, ist mehr eine Religion als eine Wissenschaft. Deshalb prallen alle Gegengründe an ihm wirkungslos ab; er ist weiter nichts als die Verkörperung des Willensimpulses, die Planmäßigkeit auf jede Weise aus der Natur loszuwerden.“ (Theoretische Biologie, S197.)

Bis auf den heutigen Tag ist die Gleichsetzung von Gegenstand und Theorie weit verbreitet. Wer am Darwinismus zweifelt, dem wird meist gleich unterstellt, er bestreite den Fakt der Evolution. Das erschwert die Diskussion um die Weiterentwicklung der Theorie der Evolution. So verharrt diese Theorie in den Fesseln kausalistischen Denkens, und das Licht, das sie nach einem Wort Dobshanzkys auf alle Bereiche der Biologie werfen könnte, bleibt morgengrau.

*

Das folgende längere Zitat aus der „Theoretischen Biologie“ soll noch einmal deutlich machen, wie Uexküll den Begriff er „Planmäßigkeit “ verstand und warum das Argument, Planmäßigkeit  erfordere einen externen Planer in Bezug auf Uexküll auch heute noch unzutreffend ist.

„Die außerordentlichen Schwierigkeiten, die die Biologie zu über­winden hat, um die Anerkennung der Planmäßigkeit als Naturmacht zu erzwingen, stammen aus der landläufigen Alternative: Leib – Seele, mit der man alle Möglichkeiten der lebenden Natur erschöpft zu haben meint. Man vergißt dabei, daß sowohl Seele wie Leib planvoll sind, und planmäßig miteinander zusammenhängen, Es gibt also noch ein Drittes, das weder aus der Seele noch aus dem Leibe abgeleitet werden kam. Wenn man die Lehre von der Seele Psychologie und die Lehre vom Leibe Physiologie nennt, so fehlt noch die Lehre vom Dritten, das sowohl Leib wie Seele in sich schließt, nämlich die Lehre von der Planmäßigkeit alles Lebendigen - die Biologie. Da sowohl die Seele wie der Leib planmäßig sind, bildete bisher die Planmäßigkeit sowohl einen Teil der Physiologie - als spezielle Mechanik wie einen Teil der Psychologie ab Lehre vom Zweck oder -­Finalität. Aber weder ist der Zweck auf die Physiologie noch die Mechanik auf die Psychologie anwendbar. Weder kann man die Grund­sätze der Finalität in der Mechanik, noch die Grundsätze der Mechanik in der Finalität verwerten.Hier klaffte eine Lücke, die immer empfindlicher wurde, je mehr man sich in das Studium der Lebewesen vertiefte. Die planmäßigen Bin­dungen der speziellen Mechanik, die nur bei Betrachtung des einzelnen Tierkörpers sichtbar werden, wurden zugunsten der kausalen Gesetze der allgemeinen Mechanik vernachlässigt und nach und nach die Physio­logie den anorganischen Wissenschaften angegliedert.Von selten der Psychologie sind ebenfalls Schritte unternommen worden, um die Lücke zwischen Mechanik und Finalität auszufüllen. Die Schule der Gestalttheoretiker sieht in der Gestalt ein Urphänomen, das sie aber nicht auf das organische Leben beschränkt wissen will, im Gegensatz zu DRIESCH, der die “Ganzheit“ als Charakteristikum des Lebendigen anspricht f denn die anorganische Natur kennt nur Summen, jedoch keine Ganzheit, die - ich kann mich nicht anders ausdrücken - eine planmäßige Anordnung ihrer Teile darstellt. Auch dem Begriff der Gestalt scheint mir der Begriff der Planmäßigkeit zugrunde zu liegen, den ich mit DRIESCH nur auf Lebendiges und auf Erzeugnisse von lebenden Wesen anwenden möchte. Wenn man Gestalt und Ganzheit ihren Teilen gegenüberstellt, wird man bei den Teilen der Gestalt so­gleich auf den Unterschied von leitenden und begleitenden Eigen­schaften stoßen, was zu sehr wichtigen Untersuchungen geführt hat. Der Begriff der Ganzheit ist hierin nicht so fruchtbar.Ohne mich in philosophische Erörterungen einlassen zu wollen, muß ich doch bemerken, daß auch von seiten der Erkenntnistheorie der Biologie Schwierigkeiten bereitet wurden, KANT hat die Kausalität der konstitutiven Tätigkeit des Verstandes zugerechnet, dagegen die Planmäßigkeit dem regulativen Gebrauch der Vernunft zugewiesen. Das erweckt den Eindruck, als könne ein Plan niemals der integrierende Teil eines Gegenstandes sein, sondern sei bloß eine, wenn auch mit Not­wendigkeit hinzugedachte menschliche Regel. DRIESCH hat diese Frage eingehend behandelt und nachgewiesen, daß die Planmäßigkeit eben­falls zu den konstitutiven Eigenschaften zu rechnen sei.Es ist nicht schwierig, sich davon zu überzeugen, daß jeder Ge­brauchsgegenstand und jede Maschine ein Planträger ist. Bedeutsam ist dabei zweierlei: erstens, daß jeder Plan, obgleich er die Form der Materie bestimmt und die Bewegungen der Maschine beherrscht. Selbst weder Stoff noch Bewegung ist und zweitens, daß der Plan in allen menschlichen Erzeugnissen heteronom ist, d. h. nicht aus der Maschine: selbst stammt im Gegensatz zu allen Lebewesen, deren Pläne autonom sind.

Auch diese Ausdrücke decken den Tatbestand nicht völlig. Wie wir bei der Entstehung der Lebewesen feststellen konnten, nehmen di­e indifferenten Zellautonome bei jeder neueinsetzenden Sprossung einen fremden Plan auf, der vorher in ihnen nicht vorhanden war. Aber dieser Plan wirkt sich in ihnen autonom aus, was bei den Maschinen nicht der Fall ist. Er wird also zum EigenpIan und bleibt kein Fremdplan, die die Maschinenteile einmalig ineinanderfügt, der aber weder den Betrieb aufrecht zu erhalten, noch Schäden auszubessern vermag. Eine Ma­schine ist, wenn sie einmal vom Lebewesen Mensch erbaut wurde, restlos Stoff und gehorcht nur noch der Kausalität. Sie ist daher tot und bedarf zur Aufrechterhaltung ihrer Planmäßigkeit eines lebenden Betriebsleiters.“ (Theoretische Biologie, S198ff.)

Ob das Wort „Planmäßigkeit “ damals wie heute ein geeigneter Terminus für den gemeinten Sachverhalt ist, sei dahin gestellt. Viele seiner Gedanken finden wir heute in der Systemtheorie, in der der von Uexküll gemeinte Sachverhalt mit anderen Termini bezeichnet wird. Aber Fragen nach der „Organisation“ der Evolution, nach ihrer „Struktur“ bleiben nach wie vor ungestellt.

 

/1/ Jacob von Uexküll: Theoretische Biologie. Verlag von Julius Springer, Berli, 1928.

/2/ Eine gute Darstellung der Verwendung des Terminus „Umwelt“ findet man in „Wikipedia

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Der freie Wille und die Physik

24. August 2010 - 15:55 Uhr

Physiker und Chemiker haben kein Problem damit, physikalischen oder chemischen Prozessen das Prädikat „freiwillig“ zuzuschreiben. Psychologen und Neurophysiologen streiten dagegen sogar darüber, ob dieses Prädikat menschlichen Handlungen zuerkannt werden kann.

Hinter diesem Widerspruch sind einige Probleme verborgen, die meist nicht reflektiert werden, wenn die Formulierung „freier Wille“ benutzt wird.

Ein erstes Problem steckt hinter der „Wer-Frage“. Wer – welche Art von Entität - hat die Eigenschaft, die jeweils „freier Wille“ genannt wird? Bei Physikern und Chemikern sind dies Prozesse in isolierten thermodynamischen Systemen, d.h. thermodynamische Systeme, die weder Substanz noch Energie mit der Umgebung austauschen.

Solche Systeme befinden sich gewöhnlich im Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts, d.h. in einem Zustand, in dem überhaupt nichts stattfindet, weder freiwillig noch unfreiwillig. Anders aber, wenn in einem isolierten thermodynamischen System ein Zustand des Ungleichgewichts besteht. Dann geht das System „von allein“/1/ („spontan“, „freiwillig“) in ein thermodynamisches Gleichgewicht über. Das ist ein Aspekt des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik.

Die Bedeutung des Wortes „freiwillig“ resultiert eben daraus, dass es Prozesse innerhalb eines isolierten Systems bezeichnet, auf die per definitionem keine äußeren Ursachen wirken. Dieser Umstand der fehlenden äußeren Ursache zwingt quasi zur Verwendung von Termini wie „freiwillig“, „von allein“ oder „spontan“. Er ist nur in isolierten thermodynamischen Systemen gegeben.

Nun werden Lebewesen seit Bertalanffy gewöhnlich als offene thermodynamische Systeme betrachtet. Das physikalische Konstrukt des offenen thermodynamischen Systems ist also auch das Erklärungsprinzip für Lebewesen, und für diese gilt, dass nichts ohne äußere Ursache geschieht. In offenen thermodynamischen Systemen geschieht nichts von allein, spontan, freiwillig.

Indem nun die Lebewesen diesem Erklärungsprinzip unterworfen werden, können ihnen allein aus Gründen der Logik Prädikate wie „von allein“ oder „freiwillig“ nicht mehr zugeschrieben. Der freie Wille wurde ihnen per definitionem genommen.

Wenn man den Lebewesen nun doch einen (freien, eigenen) Willen zuschreiben will, kann das angewendete Erklärungsprinzip für Lebewesen weder das Konstrukt des isolierten noch das des offenen thermodynamischen Systems sein. Lebewesen müssen mit einem prinzipiell anderen Prinzip als dem des thermodynamischen Systems erklärt werden.

Dieses andere Prinzip ist das Konstrukt des Subjekts. Subjekte haben per definitionem einen Willen. Subjekte sind im allgemeinen Sprachgebrauch (und dem vieler Philosophien) mit Eigenschaften wie Selbstbestimmtheit, Autonomie und eben dem freien Willen ausgestattet. Ohne diese Eigenschaften kann ein Individuum nicht Subjekt sein. Dieses Konstrukt wäre aber nur dann mit den Paradigmata der Physik verträglich, wenn das Subjekt physikalisch nicht mehr also offenes, sondern als isoliertes thermodynamisches System aufgefasst werden könnte.

Die Crux liegt also in der Beziehung der Subjekte zur Umwelt. Die Subjekte müssen Beziehungen zur Umwelt haben, diese dürfen aber nicht kausalistischer Natur sein. Die Umwelt darf nicht die Ursache des subjektiven Handelns sein, denn dieses muss selbstbestimmt, autonom sein.

Deshalb ist der Subjektbegriff kein Erklärungsprinzip der Biologie und nur selten der Psychologie. Diese Wissenschaften verstehen sich als Naturwissenschaften und als diese haben sie sich dem kausalistischen Paradigma unterworfen, das die Existenz selbstbestimmter Entitäten nur als isolierte thermodynamische Systeme zulässt.

Es ist also erforderlich, eine autonome, selbstbestimmte Konstellation mit einer solchen thermodynamischen Ausstattung zu konstruieren, die im Unterschied zum isolierten thermodynamischen System auch Beziehungen zur Umwelt zulässt. Da eine solche Konstellation weder ein isoliertes noch ein offenes thermodynamisches System sein kann, muss sie in einem neuen Begriff abgebildet werden. Um mit diesem Begriff einer selbstbestimmten thermodynamischen Konstellation umgehen zu können, ist ein Wort erforderlich. Ein solcher Begriff kann widerspruchsfrei im Wort „Subjekt“ ausgedrückt werden. Dazu muss aber das Subjekt als physikalische Kategorie definiert werden,

Wie gezeigt werden kann (Litsche 2004), ist ein solcher Begriff des Subjekts geeignet, Eigenschaften wie Autonomie, Selbstbestimmtheit, Wille u.a. als native Eigenschaften bestimmter thermodynamischer Konstellationen zu verstehen.

Ein zweites Problem ist die Frage danach, wodurch sich die Beziehungen von Subjekten zu ihrer Umwelt von den Beziehungen unterscheiden, die zwischen offenen Systemen und deren Umgebung bestehen.

System und Subjekt

Abbildung 1: Offenes thermodynamisches System und Subjekt (grün Zufluss und Abfluss, L Leistung, T Tätigkeit des Subjekts, E/S Energie/Substanz)

Ein offenes thermodynamisches System hat einen Zufluss und einen Abfluss und ist durch diese ist das thermodynamische Gefälle der Umgebung eingeordnet. Zufluss und Abfluss bestimmen die Leistung des Systems, alle Werte können gemessen, die Leistung kann aus Parametern der Umgebung berechnet werden. Durch die Gestaltung von Zufluss und Abfluss kann die Leistung manipuliert werden, das System ist fremdbestimmt.

Das Subjekt vollzieht aus seinem Willen heraus eine Tätigkeit, durch die es Substanz oder Energie auch gegen ein Gefälle der Umwelt aufnimmt. Die Parameter der Umwelt können gemessen, die Tätigkeit kann aber nicht aber aus Parametern der Umwelt berechnet (vorher gesagt) werden. Bei Veränderung der Parameter der Umwelt verändert das Subjekt seine Tätigkeit in selbstbestimmter Weise, es „reagiert“ autonom. Die Reaktionen können nur aus der Beobachtung des Subjekts vorhergesagt (berechnet) werden, nicht aus den Veränderungen der Umwelt.

Pflanzen können beispielsweise Wasser auch aus sehr trockenen Böden gegen ein osmotisches Gefälle jaaufnehmen und dieses gegen die Schwerkraft transportieren. Die Menge des Speichels von Pawlows Hund kann nicht aus der Masse der Klingel berechnet werden, die den Speichelfluss auslöst. Das unterscheidet aber thermodynamische Systeme vom Subjekt. Das Subjekt realisiert thermodynamische Prozesse, die gegen ein Gefälle verlaufen, „bergauf“.

Über Subjekte und offene thermodynamische Konstellationen kann man problemlos reden, solange man sie als „black box“ betrachtet und nicht nach der physikalischen Struktur des Subjekts fragt. In allen mir bekannten früheren Versuchen konnte das Problem der Organisation von physikalischen Prozessen gegen das Gefälle („bergauf“) nicht ohne die Hilfe von Kräften wie der Entelechie oder einer vis vitalis gelöst werden. Wo in der Psychologie Subjekte vorkommen, sind sie masselose Wesen und die Psychologie wird zur „Psychologie ohne Hirnforschung“ /3/.

Wie dem auch sei, um die Natur des (eigenen) Willens zu bestimmen ohne in Widersprüche mit den Paradigmata der Physik zu geraten, muss eine Konstellation von thermodynamischen bergab wirkenden Prozessen konstruiert werden, durch deren Zusammenwirken letztlich die bergauf wirkende Tätigkeit der Subjekte entsteht /6/. Ohne ein solches Konstrukt bleibt jede Definition des Willens außerhalb der Physik.

Diese physikalische Grundlage eines Subjektbegriffs fehlt den verbreiteten neurophysiologischen Erörterungen der Kategorie des (freien) Willens. Das führt entweder auf der einen Seite dazu, die Existenz eines freien Willens überhaupt zu bestreiten und deshalb folgerichtig auch dem Menschen den Willen und damit die Fähigkeit der Selbstbestimmtheit abzusprechen. Die andere Art des Herangehens führt dazu, die Kategorie des Willens außerhalb der Physik anzusiedeln und kommt folgerichtig in letzter Konsequenz zu einer Psyche ohne Gehirn. Die Diskussion um das Manifest führender deutscher Neurophysiologen/4/ und die Antwort einiger Psychologen /5/ in der Zeitschrift „Gehirn und Geist“ ist dafür hinreichend Beleg.

Andere Autoren suchen den Ausweg in quantenmechanischen Prozessen, die sich in der Tiefe neurophysiologischer Entitäten abspielen sollen und deren zufälliger Charakter die Grundlage für die Freiheit von Entscheidungen sein soll. Ohne dieser Argumentation in einzelnen nachzugehen lässt sich einwenden, dass diese Auffassung unreflektiert Autonomie, Selbstbestimmtheit, Willen usw. – kurz die Subjektivität allen Lebewesen abspricht, die nicht über ein Nervensystem verfügen, also nicht nur den Einzellern sondern beispielsweise auch allen höheren Pflanzen. Dieser Zuschreibung sollte zumindest nachvollziehbar begründet werden, denn sie betrifft letztlich die Einheit der biologischen Wissenschaft als der Wissenschaft von allen Lebewesen.

Björn Brembs gehört zu den wenigen Neurophysiologen, die die Frage nach einem freien Willen mittels ernsthafter Experimente untersuchen. Nun hat er angekündigt, dass er sich auch zum Begriff des freien Willens explizit äußern will. Ich bin gespannt, wie er diese Probleme angeht.

   

/1/ Kluge, Gerhard; Neugebauer, Gernot (1994): Grundlagen der Thermodynamik, Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg Berlin Oxford (S.68ff.)

/2/ Litsche, Georg A. (2004): Theoretische Anthropologie, Lehmanns Media-LOB, Berlin

/3/ Wissenschaft im Zwiespalt. Streitgespräch. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 64/4/ Das Manifest (2004) Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung. Gehirn & Geist, Heft 6/2004, S.31-37/5/ Psychologie im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 56-60/6/ Litsche, Georg (2010) Subjekt und System E-Journal der Website ICHS - International Cultural-historical Human Sciences S.66ff 

Weitere Beiträge zum Thema:

Meine Website „Subjekte“:

Subjekt - System - Information
Warum die Psychologie das Gehirn nicht findet
Warum die Neurophysiologie den Geist nicht findet

Mein Blog „Wille versus Kausalität

Der tut nix, der will bloß spielen
Freier Wille
Das Erkenntnisbedürfnis und unsere Erkenntnis

 

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Joachim Bauer und die Evolutionstheorie

20. Januar 2009 - 09:54 Uhr

Ich hätte nicht gedacht, dass „Das kooperative Gen“ von Joachim Bauer /1/ einen solchen Wirbel unter den Bloggern auslösen würde. Leider konzentriert sich die Debatte mehr um seinen Untertitel „Abschied vom Darwinismus“ als um das Wesen der Sache. Ich weiß ja nicht, was sich Bauer bei dieser wenig glücklichen Formulierung gedacht hat, Aufmerksamkeit hat er damit jedenfalls erreicht, den Anstoß zu einer ernsthaften Auseinandersetzung hat sie jedoch noch nicht gegeben. Nicht dass die „Autoren“ mancher Verunglimpfung nicht gelegentlich amüsant sein könnten, das intellektuelle Niveau der Debatte um die Evolutionstheorie haben sie nicht befördert.

Muss eigentlich jede Verteidigung des Darwinismus und der Evolutionstheorie darin bestehen, seine Kritiker zu diffamieren? Kann man nicht einmal die Frage erörtern, warum eine Kritik eines Darwinismuskritikers die bestehenden offenen Probleme der Evolutionstheorie nicht löst? Aber dazu müsste man anerkennen, dass die Evolutionstheorie offene Probleme hat. Damit meine ich nicht Detailprobleme innerhalb der Theorie, wie die Aufklärung des einen oder anderen Stammbaumes. Solche Probleme können gelöst werden, ohne die Grundlagen der aktuellen Theorie in Frage zu stellen.

Bauer greift aber eben diese Grundlagen an und eben das ist wohl der Grund für die heftige Reaktion. Die empirischen Daten, die er mitteilt und die von den verschiedensten Wissenschaftlern ermittelt wurden, sind wohl unbestritten. Bauer begeht aber das Sakrileg zu versuchen, diese Daten in ein anderes theoretisches System der Evolutionstheorie einzuordnen, weil er meint, dass das theoretische System der Mainstreambiologie ungeeignet zur Erklärung der Evolution ist.

Nun scheint es offensichtlich zu sein, dass die Entwicklung der Evolutionstheorie an einem Punkt angelangt ist, an dem die Frage nach der Weiterentwicklung der grundlegenden Theoreme der Theorie selbst ernsthaft diskutiert werden muss. Solche Phasen treten in der Entwicklung jeder weitreichenden wissenschaftlichen Theorie auf. Sie wurden von Wissenschaftstheoretikern wie Kuhn, Feyerabend oder Suchotin beschrieben. Das Theoriebewusstsein führender Evolutionstheoretiker scheint diesen Umstand jedoch noch nicht zu reflektieren. Die traditionelle Biologie versucht immer noch, auch „widerspenstige“ neue Daten in das traditionelle theoretische System der synthetischen Theorie einzuordnen /5/ oder möglichst nicht zur Kenntnis /6, 7/ zu nehmen. Nur in diesem Zusammenhang verstehe die teilweise wütende Reaktion auf Bauers Buch und gewisse Gegenreaktionen. Da nimmt sich Bauers Antwort vergleichsweise moderat aus.

Die Evolutionstheorie basiert auf zwei essentiellen Inputs: Mutation und Veränderung der Umwelt. Nur wenn beide Bedingungen gegeben sind, können sich durch Auslese Populationen und Arten verändern. Verändert sich die Umwelt nicht, führt auch keine Mutation zur Evolution, die Auslese wirkt stabilisierend, wie viele Mutationen auch stattfinden.

Diese beiden essentiellen Inputs werden in der Evolutionstheorie nun als zufällig angesehen, d.h. es können keine Ursachen angegeben werden, aus denen erklärt werden kann, welche Mutation oder welche Umweltveränderungen stattfinden wird. Nicht dass man für Mutation oder Umweltänderung keine Ursachen kennen würde, nur wirken diese in Bezug auf die zu erklärenden Evolution zufällig. Sie sind der zu erklärenden Evolution äußerlich und erklären sie so letztlich nicht. Die Evolutionstheorie ist also noch immer eine Theorie, die ihren Gegenstand zwar gut beschreibt, ihn aber nicht erklärt.

Mit diesem Zustand einer ihrer grundlegenden Theorien wollen sich immer mehr Biologen nicht abfinden. Sie suchen nach Möglichkeiten, Mutation und Umweltänderung aus dem Leben und seiner Evolution selbst zu erklären. Bei der Umweltänderung liegen inzwischen hinreichend viele Daten vor, die belegen, dass auch entscheidende Veränderungen der Umwelt von den Lebewesen selbst verursacht werden und so erklärbar sind. So ist die Erkenntnis, dass der Luftsauerstoff und der Erdboden Resultate der Tätigkeit der Lebewesen sind, inzwischen Lehrbuchwissen. In der Theorie der Evolution werden sie jedoch als Sonderfälle abgehandelt, während die für die Evolution zufälligen geologischen Prozesse als die notwendigen Ursachen angesehen werden. Hier kann nur ein Paradigmenwechsel helfen, in dem die geologischen Prozesse nicht als notwendige, sondern als zufällige und die Evolution letztlich störende Ereignisse verstanden werden. Nur eine solche Theorie kann erklären, wie die Evolution als notwendige Form des Lebens selbst stattfinden kann und welche Umwege sie infolge zufälliger geologischer und kosmischer Ereignisse genommen hat. Interessante Gedanken zu diesem Aspekt findet man beispielsweise bei Morris „Life’s Solution“ /5/ oder in Gutmanns „Die Evolution hydraulischer Strukturen“ /6/

Entsprechendes gilt auch für den Faktor Mutation. Mutationen sollten nicht mehr als zufällige Fehler, sondern als notwendige Folgen des Lebens selbst dargestellt werden. Damit wird nicht gesagt, dass äußere Einwirkungen wie Strahlung oder Wärme keine Mutation auslösen können, sie sind aber keine wirklich erklärenden Faktoren, sondern stören das Verständnis der Mutation als Eigenschaft des Lebendigen nur. In die Bemühungen um ein solches Verständnis ordne ich Bauers „kooperatives Gen“ /1/ ein, aber auch beispielsweise „Die Lösung von Darwins Dilemma“ von Kirschner und Gerhart /7/.

Bei jedem Versuch, ein verbreitetes Paradigma, zu verlassen, steht man nun vor der Frage „Wie sag ich´s?“. Die Terminologie des aktuellen Paradigmas ist meist nicht geeignet, sondern deren Benutzung führt in der Regel dazu, dass das Neue nicht mehr darstellbar ist, weil der Leser es in seiner traditionellen Lesart rezipiert. Neue Termini werden nicht nur oft missverstanden, sondern bleiben oft auch unverstanden und sind den verschiedensten, manchmal auch bösartigen Unterstellungen ausgesetzt, zumal der Autor auch selbst noch oft mit dem Worte ringt.

Die Frage, wer denn nun die Evolution nicht versteht, Bauer oder Meyer, scheint mir noch offen. Das Problem, um das es – jedenfalls mir - wirklich geht, ist einer gründlicheren Diskussion wert.

15.2.2009: Nachtrag
Im Blog “Studium generale” gibt es eine umfangreiche Berichterstattung zu Simon Conway Morris.

 

/1/ Bauer, Joachim (2008): Das kooperative Gen * Abschied vom Darwinismus, Hoffmann u.Campe, Hamburg
/2/ Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
/3/ Feyerabend, Paul (1986): Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Zürich
/4/ Suchotin, Anatoli Konstantinowitsch (1980): Kuriositäten in der Wissenschaft, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Zürich
/5/ Morris, Simon Conway (2003): Life’s Solution / Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge University Press, New York und Melbourne (deutsch: Morris, Simon Conway (2008): Jenseits des Zufalls * Wir Menschen im einsamen Universum, University Press, Cambridge)
/6/ Gutmann, Wolfgang Friedrich (1995): Die Evolution hydraulischer Strukturen * Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung, University Press, Cambridge
/7/ Kirschner, Marc. W.; Gerhart, John C. (2007): Die Lösung von Darwins Dilemma

 

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Schuld sind immer die Anderen

27. September 2008 - 15:36 Uhr

In den wissenschaftlichen Blogs gibt es vor allem im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie eine andauernde Diskussion über die Religionen. Nicht selten wird verwundert zur Kenntnis genommen, welchen z.T. auch wachsenden Einfluss die Religionen auf das Denken der Menschen haben. Über die Ursachen wird nur selten reflektiert wie beispielsweise bei “Evil under the Sun“. Wenn, dann sind es immer die Anderen: reaktionäre Politiker, religiöse Fundamentalisten, Kreationisten oder verdummende Webseiten. In keinem Fall ist es die Evolutionstheorie selbst, die manche Menschen davon abhalten könnte, an die Evolution zu glauben.

Seien wir ehrlich: die meisten Menschen – und damit meine ich nicht nur Einwohner Lateinamerikas, Indien oder Afrikas, die millionenfach einfach keinen Zugang zu wissenschaftlichem Unterricht haben. Auch in Deutschland hat kaum jemand die Möglichkeit, all die „Beweise“ für die Evolution, die er in seinem Biologielehrbuch gelesen hat, wirklich zu prüfen. Er muss sie seinem Biologielehrer und anderen Personen seines Bekanntenkreises einfach glauben. Und glauben hängt mit Vertrauen zusammen, ich glaube dem, dem ich vertraue. Weiter Schlüsse daraus liegen auf der Hand, wenn man beispielsweise die Bildungsdiskussion in unserem Lande bedenkt.

Ich will jedoch einen anderen Aspekt dieses Problems darstellen. In „Evil under the Sun“ habe ich interessante Statistiken zur Religiosität in Deutschland gefunden. Unter anderen glauben 70% der Befragten (1000-2000 über 18J. Allensbach) an eine Seele. Unter den Werten, die für die befragten wichtig sind, kommt religiöser Glaube mit 18 bis 20% vor, eine wissenschaftliche Weltauffassung wird jedoch nicht als Wert genannt.

Die westliche wissenschaftliche Weltanschauung ist bekanntlich vom Paradigma der Kausalität geprägt, demzufolge jedes Ereignis eine äußere Ursache hat, auf die es zurückzuführen ist. Akausale Ereignisse, Ereignisse ohne Ursache, sind in diesem Denkschema nicht zugelassen. Deshalb kommen Entitäten wie eine Seele oder Ideen in diesem Gedankensystem nicht vor. Ihre Existenz wird verneint und nicht selten verächtlich als „unwissenschaftlich“ abgetan. Naturwissenschaftler werden nicht Seelsorger – schade!

So aber werden die Fragen der Menschen nicht beantwortet, das Bedürfnis nach einer wissenschaftlichen Antwort bleibt unbefriedigt. Damit finden sich die Menschen aber ebenso wenig ab wie mit anderen unbefriedigten Bedürfnissen, sie suchen nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Menschen wollen eine Seele haben und sich nicht als seelenloses Fleisch sehen, sie wollen nicht das Resultat eines blinden Zufalls sein sondern einen Sinn in ihrer Existenz sehen. Und wenn sie Antworten auf ihre Fragen nicht in der Wissenschaft finden, suchen sie diese eben anderswo.

Das kann sich erst ändern, wenn auch die Naturwissenschaft Antworten auf Fragen wie diese geben wird. Das aber ist nicht im Rahmen des Kausalitätsparadigmas möglich. Das Problem ist, das die Naturwissenschaft sich diesen Umstand nicht eingesteht und nicht einfach zugibt, dass es zwischen Himmel und Erde auch Dinge gibt, die sie innerhalb ihrer kausalistischen Schulweisheit nicht unterbringen kann. Im Gegenteil, sie hat es verstanden, auch empirische Daten, die sie selbst gewonnen hat und die mit dem Kausalitätsparadigma nicht zu vereinbaren sind, so zu „interpretieren“ dass sie „passen“, oder sie zu „unterschlagen“, anstatt darüber nachzudenken, was sie zur Lösung dieses Problems beizutragen.

Anekdote Beim Kolportieren der bekannten Newton-Anekdote, nach der ihm das Gravitationsgesetz eingefallen ist, als ihm ein Apfel auf den Kopf gefallen war, wird der Vogel unterschlagen, der ganz entgegen der Gravitation von allein wegflog.

 

In dem Maße, in dem sich das Kausalitätsparadigma zum Paradigma wissenschaftlicher Arbeit überhaupt entwickelte, wuchs auch die Menge der Daten, die nicht mit ihm vereinbar waren und die auf die eine oder andere Weise eingepasst werden musste. Dabei wurde viel Fantasie entwickelt, um die kausalistische Unerklärbarkeit gewisser Ereignisse zu verschleiern. Begriffe wie „Zufall“ oder „Emergenz“ erhielten so den Charakter einer letzten „Erklärung“, denn was als zufällig „erkannt“ war, entzog sich jeder weiteren Forschung, denn der Zufall ist ebenso wenig erforschbar wie die Emergenz.

Bereits vor 100 Jahren hat Uexküll darauf hingewiesen, dass „ein neues Gerüst für die Biologie notwendig“ würde, denn „das bisherige Gerüst, das man der Chemie und der Physik entliehen hatte, genügte nicht mehr.“ /1/ Vor rund 50 Jahren haben Bertalanffy mit dem Begriff des „Fließgleichgewichts“ und später Prigogine mit dem Begriff der „dissipativen Struktur“ das Gerüst der Physik entscheidend weiter entwickelt, so dass nun biologische Probleme lösbar wurden, die bis dahin unlösbar waren.

Gegenwärtig steht das Paradigmata des Darwinismus auf dem Prüfstand. Damit sind nicht die unqualifizierten Angriffe des Kreationismus und des ID gemeint, die keiner ernsthaften Erörterung würdig sind. Gemeint sind beispielsweise Biologen wie Morris /1/, Kirschner /2/ oder Bauer /3/. Aber auch Physiker wie zum anderen Physiker wie Greene /4/, Laughlin /5/ oder Genz /6/ im Rahmen der Diskussion um die „Weltformel. Die Überlegungen der Physiker kann kurz gesagt vielleicht so zusammengefasst werden: Wenn es eine Weltformel gibt, dann sind alle Ereignisse im Weltall berechenbar. Sie sind also nicht zufällig, sondern unvermeidlich. Das gilt auch für die Evolution der Lebewesen und des Menschen. Auch er ist nicht zufällig, sondern unvermeidlich.

Die biologische Kritik des darwinistischen Paradigmas setzt auch nicht an noch ungelösten Detailproblemen an, die auch innerhalb des Paradigmas gelöst werden können, sondern am Paradigma selbst. Bei der empirischen Forschung werden immer auch Details gefunden, die mit dem herrschenden Paradigma zumindest nicht ohne „Anpassung“ verträglich sind. Gewöhnlich werden solche Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung als Anomalien oder Ausnahmen verbucht (was in der Biologie besonders nahe liegt). Im Laufe der Zeit wächst aber die Anzahl solcher Ausnahmen und Anomalien, so dass der Versuch unternommen werden muss, das Paradigma weiter zu entwickeln und den neuen Tatsachen anzupassen.

Passend zum Darwinjahr 2009 sind einige Bücher erschienen, welche das Dilemma des „Mainstreamdarwinismus“ artikulieren. Schon die Titel zeigen dies an: „Jenseits des Zufalls (Morris), „Die Lösung von Darwins Dilemma“ (Kirschner) und „Das kooperative Gen * Abschied vom Darwinismus“ (Bauer). Die moderne „synthetische Evolutionstheorie“ beruht in ihren beiden Grundbegriffen auf der Kategorie „Zufall“. Zufällige Mutationen bringen veränderte Individuen hervor, die in einer sich zufällig ändernden Umwelt der Auslese unterliegen. Da der Zufall nichts erklärt, muss man nun glauben, dass diese zufälligen Faktoren die Evolution von einfachsten Einzellern zum intelligenten Menschen „verursachen“, die nahezu die gesamte Erde besiedeln.

Morris ist Paläontologe und zeigt an paläontologischem Material die Konvergenz der Evolution, die beim besten Willen nicht mit einer auf Zufällen beruhenden Evolutionstheorie vereinbar ist. Kirschner und Bauer zeigen dies an Ergebnissen der Molekularbiologie und Genetik. Hier werden neue gedankliche Rahmen vorgeschlagen, die geeignet sind, die vorliegenden empirischen Daten zu einem Denksystem zu ordnen, ohne sich schließlich doch auf den Zufall als letzte „Erklärung“ zurückzuziehen. Deshalb ermöglichen sie auch andere wissenschaftliche Antworten auf Fragen nach dem Ursprung der Menschheit, seiner Stellung in der Welt u.ä., welche die Erkenntnisbedürfnisse der Menschen in einer Weise befriedigen, die sie nicht mehr in die Fänge religiösen Denkens oder esoterischer Praktiken treibt. Nicht religiöse Eiferer und Dummheit sind dafür verantwortlich, sondern die Unfähigkeit der Wissenschaft, die wirklichen Fragen der Menschen zu beantworten.

Am deutlichsten zeigt sich das in der Diskussion um den freien Willen, von dem die kausalistische Neurophysiologie meint experimentell bewiesen zu haben, es gäbe ihn gar nicht. In der Neurophysiologie sind mir allerdings keine Arbeiten bekannt, die auch Kritik an ihren grundlegenden Paradigmen äußern. Wenn Kritik kommt, dann von „außerhalb“ aus der Psychologie, die allerdings nur bestreitet, dass die Neurophysiologie die Probleme von Psyche und Seele lösen könnte und es dabei belässt. Auch in diesem Bereich lassen die Wissenschaften die Menschen mit ihren Problemen allein und mokieren sich über die Unwissenheit der Menschen, in die wir sie erst versetzt haben. Die Wissenschaft kann offensichtlich ohne Seele existieren, die meisten Menschen offensichtlich nicht.

Man muss sich nur einmal die die Menschenmassen vergegenwärtigen, täglich als Pilger der verschiedensten Religionen ihrer Seele wegen unterwegs sind, um ihrem Glauben zu folgen Erkennen wir die Brisanz, die darin liegt, dass die Wissenschaften in ihrer Befangenheit des kausalistischen paradigmatisch verharren und den Menschen, die sie bezahlen, Antworten auf ihre berechtigten Fragen verweigern?

Es hilft auch nicht, die unbestreitbare Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion zu beschwören. Es gilt alle Fragen der Menschen zu beantworten und nicht nur die, die in das aktuelle Paradigma Wissenschaft und die anderen als „erfunden“ abzutun. Neue Paradigmata tun not!

 

 

/1/ Morris, Simon Conway (2003): Life’s Solution / Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge University Press, New York und Melbourne Deutsch: Morris, Simon Conway (2008): Jenseits des Zufalls * Wir Menschen im einsamen Universum, University Press, Cambridge
/2/ Kirschner, Marc. W.; Gerhart, John C. (2007): Die Lösung von Darwins Dilemma
/3/ Bauer, Joachim (2008): Das kooperative Gen, Hoffmann u.Campe, Hamburg
/4/ Greene, Graham (2006): Das elegante Universum, Wilhelm Goldmann Verlag, München
/5/ Laughlin, Robert B. (2007): Abschied von der Weltformel, Piper & Co. Verlag, München, Zürich
/6/ Genz, Henning (2006): War es ein Gott?, Carl Hanser Verlag, München Wien,

 

 

 

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Subjekt und Instinkt II

29. Juli 2008 - 09:47 Uhr

Eine subjektwissenschaftliche Biologie erfordert zwingend die Annahme, dass die Tiere über die Fähigkeit zur autonomen Steuerung verfügen. Sie müssen fähig sein, ihre Aktionen unabhängig von äußeren Einwirkungen, von „Reizen“ zu steuern. Solche auch „Instinkte“ genannten autonomen Steuermechanismen müssen angeboren sein, d.h. sie müssen genetisch determiniert sein und der Evolution unterliegen.

Ihre Existenz ist zwar unzweifelhaft, ihre Bedeutung für die biologische Theorie ist jedoch umstritten. Für eine reduktionistische Biologie, welche die Lebewesen als Objekte auffasst, die letztlich ausschließlich durch Gesetze von Physik und Chemie erklärbar sind, ist der Instinktbegriff ein störendes Element, das möglichst aus der biologischen Theorie entfernt werden sollte. Dieser Trend ist für die heutige Mainstreambiologie kennzeichnend und mit dem Terminus „Behaviorismus“ hinreichend charakterisiert.

Dieser „objektwissenschaftlichen“ Biologie ist die Position entgegengesetzt, in welcher die Lebewesen als Subjekte aufgefasst werden. Subjekte werden nicht durch äußere Einwirkungen determiniert, auf die sie in berechenbarer Weise reagieren. Sie agieren vielmehr aus sich heraus. Eine solche „subjektwissenschaftliche“ Biologie hat die Aufgabe, die Determination dieser subjekteigenen Aktionen zu erforschen, die nicht mehr kausal, „objektiv“, sondern akausal, „subjektiv“ determiniert ist. Die Determination der subjektiven Aktionen durch die Subjekte, das ist der Forschungsgegenstand einer subjektwissenschaftlichen Biologie.

Der Erste, der diese Forderung expressis verbis formuliert hat, war Jacob von Uexküll.

Er unterschied die Umgebung, die aus Objekten besteht von der Umwelt, die aus Gegenständen besteht, die von der Beschaffenheit der Lebewesen, der Subjekte bestimmt wird. Die Umwelt unterliegt in dieser Theorie also nicht mehr der physikalischen Zufälligkeit, wie die Objekte, sondern dem Prinzip der „Planmäßigkeit“, das von der Biologie zu erforschen ist, Die Aktionen der Subjekte richten sich nicht auf die Objekte, sondern auf die Gegenstände der Umwelt, die vom agierenden Subjekt planmäßig determiniert sind.

In diesem Konzept hatte nun das Prinzip  der Anpassung keinen Platz, denn dieses Prinzip unterwirft das Lebewesen ja den Einwirkungen einer Umwelt, die ja in Uexkülls Theorie erst von dem jeweiligen Lebewesen bestimmt wurde. Aus dieser Position zog Uexküll nun einen Schluss, der sich fatal auf die weitere Rezeption seiner Ideen und damit auf die Entwicklung der Biologie als Subjektwissenschaft auswirken sollte, denn aus ihr folgte für ihn logisch zwingend die Ablehnung des Darwinismus, und das in einer Zeit, in der dieser nicht nur die Biologie, sondern auch die Stammtische erobert hatte. Für Uexküll folgte aus seiner subjektwissenschaftlichen Theorie der Biologie, der Darwinismus sei…

  „…weiter nichts als die Verkörperung des Willensimpulses, die Planmäßigkeit auf jede Weise aus der Natur loszuwerden.“/1/„Der Enthusiasmus, mit dem sich die Darwinisten für den Entwicklungsgedanken einsetzen, entbehrt nicht einer gewissen Komik, nicht bloß darum, weil ihre Weltanschauung, die sich prinzipiell auf Physik und Chemie stützt, aus diesen Wissenschaften den Entwicklungsgedanken gar nicht schöpfen kann, da Chemie und Physik jede Entwicklung prinzipiell ablehnen. Sondern vor allem deswegen, weil das Wort Entwicklung gerade das Gegenteil dessen ausdrückt, was damit gemeint ist.“/2/ 

Mit dieser Position konnte sich später kein Biologe mehr identifizieren, der ernst genommen werden wollte. Das führte dazu, dass Uexkülls biologische Theorie nicht nur sehr fragmentarisch sondern vor allem ihres subjektwissenschaftlichen Gehalts beraubt rezipiert wurde. Das gilt besonders für den Umweltbegriff, der als einziger Begriff des von Uexküll entwickelten Kategoriensystems allgemein (wenn auch in „kastrierter“ Form) rezipiert wurde.

Während Uexküll eine umfassende subjektwissenschaftliche Theorie der gesamten Biologie vorgelegt hatte, beschränkte sich Konrad Lorenz, einer von Uexkülls Verehrern, auf den verhaltenswissenschaftlichen Aspekt. So konnte er seine Kritik  auf die verhaltensbiologische Richtung der kausalistischen Biologie, den Behaviorismus beschränken, ohne Uexküll kritisieren zu müssen. In der Auseinandersetzung mit dem Behaviorismus spielte der Instinktbegriff eine besondere Rolle, denn die Existenz von Instinkten wurde und wird vom Behaviorismus bestritten.

Lorenz´ Arbeit am Instinktbegriff war daher auch der Versuch, in der Verhaltensbiologie im Gegensatz zum Behaviorismus eine subjektwissenschaftliche Position zu etablieren. Er hat gezeigt, dass der Instinktbegriff als Konzept der autonomen Steuerung tierischer Aktionen geeignet ist und nicht im Widerspruch zur Evolutionstheorie stehen muss. Die Evolution der Lebewesen kann auch als Evolution von Subjekten verstanden werden. Er zeigte, dass Instinkte genetisch determiniert sind und folglich wie die Organe der Lebewesen den Gesetzen der Evolution unterliegen. Er schreibt:

 “Niemand kann leugnen, daß die phylogenetische Veränderlichkeit einer Instinkthandlung sich so verhält wie diejenige eines Organes und nicht wie diejenige einer psychischen Leistung. Ihre Veränderlichkeit gleicht so sehr derjenigen eines besonders „konservativen“ Organes, daß der Instinkthandlung als taxonomischem Merkmal sogar ein ganz besonderes Gewicht zukommt“./3/ 

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage nach der Bedeutung der Umwelt.

 „Wir haben es nie zu bereuen gehabt, daß wir die Veränderlichkeit der Instinkthandlung durch Erfahrung rundweg geleugnet haben und folgerichtig den Instinkt wie ein Organ behandelt haben, dessen individuelle Variationsbreite bei allgemeiner biologischer Beschreibung einer Art vernachlässigt werden kann. Diese Auffassung widerspricht nicht der Tatsache, daß manchen Instinkthandlungen eine hohe regulative „Plastizität“ zukommen kann. Eine solche haben auch viele Organe.“/4/„Wenn man nicht den Begriff des Lernens ganz ungeheuer weit fasst, so daß man etwa auch sagen kann, die Arbeitshypertrophie eines vielbenützten Muskels sei ein Lernvorgang, so hat man durchaus kein Recht, die Beeinflussung des Instinktes durch Erfahrung zu behaupten.“/5/ 

Vor allem diese Position war es, die von Seiten des Behaviorismus immer wieder angegriffen wurde, der nach wie vor darauf besteht, dass das Verhalten von Tieren (und Menschen) durch die Einwirkungen der Umwelt determiniert wird.. Da es eine subjektwissenschaftliche Methodologie nicht gab (und bis heute nicht gibt), wurden zum Zwecke der Kritik die subjektwissenschaftlichen Thesen mit den Methoden objektwissenschaftlicher Forschung untersucht/6/. Dass dazu die subjektwissenschaftlichen Thesen ihres spezifischen Gehalts beraubt und in das objektwissenschaftliche Gedankensystem transformiert werden mussten, blieb unreflektiert. So teilte Lorenz /7/ schließlich das Schicksal Uexkülls.

Die experimentell orientierte, objektwissenschaftliche Mainstreambiologie hat auf diesem Wege die subjektwissenschaftlichen Fragen zwar nicht beantwortet, aber aus ihrem Ideenbestand eliminiert. Die aktuelle Debatte um den freien Willen ist dafür Zeugnis genug. Im Kategoriensystem der reduktionistischen Biologie ist kein Platz für diesen, deshalb kann man ihn auch nicht erforschen - auch wenn er sich immer wieder und der Kausalität trotzend ungefragt in die Debatte einmischt.

 /1/ Uexküll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Springer J., Berlin, S. 197/2/ Ebenda, S. 196

/3/ Lorenz, Konrad (1992): Über tierisches und menschliches Verhalten - Gesammelte Abhandlungen I, Piper & Co.Verlag, München, Zürich, Bedeutung. I, S.274

/4/ Ebernda, S.273.

/5/ Ebenda, S. 274

/6/ Vgl z.B. Zippelius, Hanna-Maria (1992): Die vermessene Theorie, Vieweg oder G. Roth (Hrsg.) (1974): Kritik der Verhaltensforschung, C.H. Beck.

/7/ Lorenz steht hier verallgemeinert für eine ganze Anzahl von Wissenschaftlern (z.B. v. Holst, Mittelstaedt, Leont´ev, Anochin), die verschiedene Aspekte einer subjektwissenschaftlichen Biologie entwickelt hatten, heute aber (mit Ausnahme von Leont´ev) vorwiegend von historischer Bedeutung sind.

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Subjekt und Instinkt I

10. Juli 2008 - 09:27 Uhr

Subjekte sind u.a. durch Autonomie, durch Selbstbestimmtheit ausgezeichnet. Ein „fremdbestimmtes Subjekt“ wäre ein Widerspruch in sich. Bei menschlichen Subjekten ist ihre Autonomie in ihrem Bewusstsein begründet. Die bewusste subjektive ideelle Abbildung der Welt und des individuellen Selbst, des Ichs, ermöglicht die selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Tätigkeit. Wenn wir nun auch Tiere als autonome Subjekte ansehen wollen, müssen wir auch die Frage beantworten, worauf ihre Subjektivität, ihre Selbstbestimmung beruht.

Das Postulat der Subjektposition der Lebewesen erfordert auch die Annahme der Autonomie des Verhaltens, d.h. die Annahme, dass die Aktionen der Lebewesen nicht kausal durch äußere Einwirkungen hervorgerufen und auch nicht durch solche gesteuert werden . In den üblichen biologischen und psychologischen Standardwerken wird die Tätigkeit der Tiere jedoch als prinzipiell über die Wahrnehmung gesteuert dargestellt. Dieses Modell der Verhaltenssteuerung besagt, dass Tiere Informationen aus der Umgebung aufnehmen und ihr Verhalten mit deren Hilfe steuern. In diesem Erklärungsmodell ist jedoch die Existenz autonomer Subjekte nicht darstellbar, denn in ihm bestimmen die vom Subjekt unabhängigen Informationen (die „Reize“) die Aktionen des Subjekts, die nur als „Reflexe“ gedacht werden können. Das Subjekt wäre nicht mehr selbstbestimmt, nicht mehr autonom. Eine autonome Steuerung erfordert vielmehr die Annahme einer internen Informationsquelle, mit deren Hilfe das Subjekt seine Aktionen autonom steuert.

In der Biologie wurde mehrfach versucht, das Problem der autonomen Steuerung mit dem Instinktbegriff zu lösen. Uexküll hat wohl als erster den Subjektbegriff als wissenschaftliche Kategorie zur Abbildung auch der Tätigkeit der Tiere verwendet. Die Eigenschaft der Subjektivität sah er im Gegenpol zur physikalischen Kausalität. Er vertritt die Auffassung, dass es in der Biologie  „…außer der Kausalität noch eine zweite subjektive Regel gibt, nach der wir die Gegenstände ordnen – die Planmäßigkeit“. /1/Damit wurde ein neues Gerüst für die Biologie notwendig, das bisherige Gerüst, das man der Chemie und der Physik entliehen hatte, genügte nicht mehr. Denn Chemie und Physik kennen das Planmäßige als Naturfaktor nicht.“ /2/  

Zu Beschreibung der autonomen Steuerung der Tiere diente ihm der Begriff des Instinkts, den er als „selbständigen Faktor“ ohne Bindung an eine anatomische Struktur und ohne Kontrolle durch Sinnesorgane konzipierte (Theoretische Biologie, S.95f.) Sie sind dem tierischen Subjekt immanent, angeboren. Im Unterschied dazu verstand er den Reflex im Sinne Pawlows als anatomisch nachweisbar, als Reflexbogen. Reflektorisch gesteuerte Aktionen erfolgen danach unter der Kontrolle der Sinnesorgane.

Das Instinktkonzept als Konzept einer angeborenen autonomen Steuerung ist in der Folge verschiedentlich weiterentwickelt worden. Die ihm zugrunde liegende Auffassung ist unvereinbar mit dem behavioristischen Konzept der Verhaltensbiologie, das auf dem kausalistischen Konzept der Mainstreambiologie beruht. Deshalb wird das Instinktkonzept heute meist als veraltet und überholt dargestellt. Die Fülle empirischer Daten, die für die Existenz angeborener, autonomer Steuerungsmechanismen sprechen, verhinderte jedoch, dass das Instinktkonzept völlig ad acta gelegt wurde. Mit dem Konzept des AAM (angeborenen Auslösemechanismus) wurde es zurechtgestutzt und mit dem behavioristischen Konzept verträglich gestaltet.

 

Wie man die vorliegenden empirischen Daten auch sprachlich ausdrücken und theoretisch interpretieren mag, unbestreitbar ist, dass die Auffassung, Tiere seien Subjekte, logisch zwingend die Annahme erfordert, dass sie über intern ausgelöste, d.h. angeborene Steuermechanismen verfügen. Diese „Instinkte“ zu nennen, bedarf zwar der Konvention, entspricht aber auch dem allgemeinen Sprachgebrauch in Biologie und Psychologie. In einer kausalistischen Biologie bleibt die Idee des Instinkts ein logischer Fremdkörper, eine subjektwissenschaftliche Biologie dagegen erfordert sie zwingend.

 

/1/ Uexküll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Springer J., Berlin, S. 86
/2/ Ebenda, Vorwort

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Der tut nix, der will nur spielen!

11. Juni 2008 - 09:51 Uhr

Wem ist das nicht schon von einem Hundebesitzer glaubhaft versichert worden? Und wem hat ein Katzenbesitzer nicht schon erklärt, dass seine Katze einen eigenen Willen hat und macht, was sie will. Und glücklich kann sich schätzen, wem es noch nicht widerfahren ist, dass sein Auto mit ihm gemacht hat, was es wollte, als er plötzlich auf Blitzeis stieß!

In der Alltagserkenntnis sind das selbstverständliche Beschreibungen, die von keinem bezweifelt werden, jedenfalls solange er keine Blogdiskussion über den freien Willen gelesen hat, in der ihm von höchster Autorität versichert mitgeteilt wird, er habe gar keinen freien Willen. Dann wird er sich natürlich fragen, ob denn ein Hund einen Willen haben kann, wenn schon er und der Besitzer des Hundes keinen haben sollen.

Er atmet zunächst auf, wenn er in anderen Beiträgen liest, dass der Mensch natürlich einen freien Willen hat, weil er nämlich über Bewusstsein verfügt und der freie Wille eine Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins ist.

Ja aber, fragt er sich dann, hat der Hund denn ein Bewusstsein? Oder die Katze? Gut – mein Auto hat wohl kein Bewusstsein, es hat aber trotzdem gemacht was es wollte! Und wie ist das mit Björn Brembs Fliegen, sie haben wohl einen Willen, haben sie aber auch ein Bewusstsein?

Und wenn es wirklich keinen freien Willen gibt, was haben die Neurowissenschaftler dann untersucht? Den freien Willen offensichtlich nicht, denn den gibt es ja nicht, und was es nicht gibt, kann man wohl auch nicht untersuchen.

Bleiben wir mal bei meinem Auto. Ich nenne „Wille“, was ich nicht beeinflussen und nicht aus physikalischen Anfangsdaten vorher sagen (berechnen) kann. Das heißt nicht, dass das ein anderer nicht könnte. Das Verhalten meines Autos ist auch bei Blitzeis physikalisch determiniert. Der Terminus „Wille“ beschreibt also eigentlich keine Eigenschaft des Autos, sondern nur meine physikalischen Kenntnisse. Wenn ich sage, es mache was es wolle, muss ich meine mangelnden Fähigkeiten nicht zugeben!

Ähnlich scheinen sich manche Neurophysiologen auch die Determination des menschlichen Verhaltens vorzustellen: aus den physikalischen und chemischen Anfangsbedingungen des Nervensystems lässt sich prinzipiell das Verhalten des Individuums vorhersagen (berechnen). Das aber wollen sie nicht „freier Wille“ nennen. Dem kann ich zustimmen, und dann haben weder der Hund noch die Katze noch Björn Brembs Fliegen einen eigenen Willen und mein Auto schon gar nicht.

Das aber stellt die Frage nach unserem Tierbild. Sind Tiere tatsächlich ein willenlose Wesen, deren Verhalten einem vorgegebenen Programm folgt? Wenn dem so wäre, könnte ich ja dem Hundebesitzer glauben, der dieses Programm „Wille“ nennt, aber meine Erfahrung sagt mir, dass der Hund ja auch beißen können wollte, und wer weiß schon, was der Hund wirklich will?

Aber auch wenn dem so wäre, dann rechtfertigte nicht einmal die Evolutionstheorie die Annahme, dass auch Menschen willenlose Wesen, Automaten sein müssen. Irgendwann im Verlaufe der Menschwerdung könnten sie ja den freien Willen erworben haben.

Ganz offensichtlich ist die Kategorie des Willens zwischen physikalischer Determiniertheit und Zufall angesiedelt. Das ist es auch, was Brembs bei der Untersuchung der Bewegungen von Taufliegen (Drosophila melanogaster) feststellte. Bei fehlenden optischen Orientierungsmöglichkeiten müsste bei der Steuerung der Bewegung durch ein vorgegebenes Programm die Bewegung immer in eine Richtung führen oder – bei Steuerung durch Reize - müsste die Richtung statistisch zufällig wechseln. Es trat aber weder das Eine noch das Andere ein. Die Fliegen zeigten vielmehr ein Bewegungsmuster das dem eines Suchenden Menschen gleicht. Dieser durchquert schnell große Distanzen über offenes Terrain um dann an vielversprechenden Orten unter schnellen Richtungswechseln mögliche Ressourcen zu suchen. Sie zeigen also ein Verhalten, das eher volitive Qualitäten aufweist.

Qualitäten dieser Art sind aber in der Sprache des physikalischen Kausalitätsparadigmas nicht darstellbar. Ihre Beschreibung erfordert Kategorien wie „Subjekt“, „Tätigkeit“, „Wille“ u.ä., die eher in der Psychologie gefunden werden, dort aber keiner kausalistischen Interpretation zugängig sind. Hier müssen Biologie und Physik ihr Begriffssystem noch deutlich vervollständigen, um die Verbindung zwischen Physik und Chemie einerseits und des Geisteswissenschaften andererseits herzustellen. Schließlich sind es die Subjekte als stofflich-energetische Entitäten, welche den Geist hervorbringen, und das willentlich – oder nicht?

 

3 Kommentare » | Freier Wille, Kausalismus, Psyche, Subjekte

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