Der tut nix, der will nur spielen!

Wem ist das nicht schon von einem Hundebesitzer glaubhaft versichert worden? Und wem hat ein Katzenbesitzer nicht schon erklärt, dass seine Katze einen eigenen Willen hat und macht, was sie will. Und glücklich kann sich schätzen, wem es noch nicht widerfahren ist, dass sein Auto mit ihm gemacht hat, was es wollte, als er plötzlich auf Blitzeis stieß!

In der Alltagserkenntnis sind das selbstverständliche Beschreibungen, die von keinem bezweifelt werden, jedenfalls solange er keine Blogdiskussion über den freien Willen gelesen hat, in der ihm von höchster Autorität versichert mitgeteilt wird, er habe gar keinen freien Willen. Dann wird er sich natürlich fragen, ob denn ein Hund einen Willen haben kann, wenn schon er und der Besitzer des Hundes keinen haben sollen.

Er atmet zunächst auf, wenn er in anderen Beiträgen liest, dass der Mensch natürlich einen freien Willen hat, weil er nämlich über Bewusstsein verfügt und der freie Wille eine Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins ist.

Ja aber, fragt er sich dann, hat der Hund denn ein Bewusstsein? Oder die Katze? Gut – mein Auto hat wohl kein Bewusstsein, es hat aber trotzdem gemacht was es wollte! Und wie ist das mit Björn Brembs Fliegen, sie haben wohl einen Willen, haben sie aber auch ein Bewusstsein?

Und wenn es wirklich keinen freien Willen gibt, was haben die Neurowissenschaftler dann untersucht? Den freien Willen offensichtlich nicht, denn den gibt es ja nicht, und was es nicht gibt, kann man wohl auch nicht untersuchen.

Bleiben wir mal bei meinem Auto. Ich nenne „Wille“, was ich nicht beeinflussen und nicht aus physikalischen Anfangsdaten vorher sagen (berechnen) kann. Das heißt nicht, dass das ein anderer nicht könnte. Das Verhalten meines Autos ist auch bei Blitzeis physikalisch determiniert. Der Terminus „Wille“ beschreibt also eigentlich keine Eigenschaft des Autos, sondern nur meine physikalischen Kenntnisse. Wenn ich sage, es mache was es wolle, muss ich meine mangelnden Fähigkeiten nicht zugeben!

Ähnlich scheinen sich manche Neurophysiologen auch die Determination des menschlichen Verhaltens vorzustellen: aus den physikalischen und chemischen Anfangsbedingungen des Nervensystems lässt sich prinzipiell das Verhalten des Individuums vorhersagen (berechnen). Das aber wollen sie nicht „freier Wille“ nennen. Dem kann ich zustimmen, und dann haben weder der Hund noch die Katze noch Björn Brembs Fliegen einen eigenen Willen und mein Auto schon gar nicht.

Das aber stellt die Frage nach unserem Tierbild. Sind Tiere tatsächlich ein willenlose Wesen, deren Verhalten einem vorgegebenen Programm folgt? Wenn dem so wäre, könnte ich ja dem Hundebesitzer glauben, der dieses Programm „Wille“ nennt, aber meine Erfahrung sagt mir, dass der Hund ja auch beißen können wollte, und wer weiß schon, was der Hund wirklich will?

Aber auch wenn dem so wäre, dann rechtfertigte nicht einmal die Evolutionstheorie die Annahme, dass auch Menschen willenlose Wesen, Automaten sein müssen. Irgendwann im Verlaufe der Menschwerdung könnten sie ja den freien Willen erworben haben.

Ganz offensichtlich ist die Kategorie des Willens zwischen physikalischer Determiniertheit und Zufall angesiedelt. Das ist es auch, was Brembs bei der Untersuchung der Bewegungen von Taufliegen (Drosophila melanogaster) feststellte. Bei fehlenden optischen Orientierungsmöglichkeiten müsste bei der Steuerung der Bewegung durch ein vorgegebenes Programm die Bewegung immer in eine Richtung führen oder – bei Steuerung durch Reize - müsste die Richtung statistisch zufällig wechseln. Es trat aber weder das Eine noch das Andere ein. Die Fliegen zeigten vielmehr ein Bewegungsmuster das dem eines Suchenden Menschen gleicht. Dieser durchquert schnell große Distanzen über offenes Terrain um dann an vielversprechenden Orten unter schnellen Richtungswechseln mögliche Ressourcen zu suchen. Sie zeigen also ein Verhalten, das eher volitive Qualitäten aufweist.

Qualitäten dieser Art sind aber in der Sprache des physikalischen Kausalitätsparadigmas nicht darstellbar. Ihre Beschreibung erfordert Kategorien wie „Subjekt“, „Tätigkeit“, „Wille“ u.ä., die eher in der Psychologie gefunden werden, dort aber keiner kausalistischen Interpretation zugängig sind. Hier müssen Biologie und Physik ihr Begriffssystem noch deutlich vervollständigen, um die Verbindung zwischen Physik und Chemie einerseits und des Geisteswissenschaften andererseits herzustellen. Schließlich sind es die Subjekte als stofflich-energetische Entitäten, welche den Geist hervorbringen, und das willentlich – oder nicht?

 

Kategorie: Freier Wille, Kausalismus, Psyche, Subjekte

3 Reaktionen zu “Der tut nix, der will nur spielen!”

  1. Ingo-Wolf Kittel, FA f. pt. Med.

    DER Feststellung ist vollinhaltlich zuzustimmen: “Biologie und Physik” mĂĽssen hier “ihr Begriffssystem noch deutlich vervollständigen”, vor allem aber – und das ganz besonders – um psychologische “Kategorien” erweitern.

    Es gibt seit langem schon sogar grundlegende Beiträge dazu aus der “methodischen Philosophie”, die der emeritierte Marburger Ordinarius Peter Janich in den letzten beiden Jahrzehnten zum “methodischen Kulturalismus” erweitert und ausgebaut hat – vgl. dazu seine programmatischen Skizzen in seinem Beitrag zur Beck’schen Reihe (BsR 463) “Grenzen der Naturwissenschaft” (Beck, MĂĽnchen 1992); als UTB 2033 hat er mit Michael Weingarten 1999 bei Fink in MĂĽnchen sogar eine “Wissenschaftstheorie der Biologie” herausgebracht.

    Der psychologisch weitest gehende Beitrag aus dieser philosophischen Tradition – sie hat in den 1960er Jahren mit der “Logischen Propädeutik” der Erlanger Philosophen Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen angefangen und im neuen Jahrhundert bzw. Jahrtausend von Janich in seiner “Logisch-pragmatischen Propädeutik” von 2001 (bei VelbrĂĽck, Weilerswist) eine erweiterte Fundierung erfahren – ist die ungemein grĂĽndliche Arbeit des ehemaligen Mitarbeiters von Janich und heutigen Essener Ordinarius Dirk Hartmann “Philosophische Grundlagen der Psychologie.” (WBG, Darmstadt 1998)

    Dass aus “objektiver” oder besser Beobachterperspektive (heute oft “3PP”: Dritte-Person-Perspektive genannt) genuin menschliches oder “bewusstes”, besser gesagt absichtliches, durch Ăśberlegen und Entscheidungen vorbereitetes, an Zielen orientiertes und zweckmäßig gestaltetes “Handeln” nicht von einem reflexhaften sowie gelernten (bei Menschen: “gewohnheitsmäßigen”) “Verhalten” zu unterscheiden ist, hat zum Scheitern des rein “behavioristischen” Ansatzes in Psychologie und Psychotherapie gefĂĽhrt, genauer: die Grenze des methodologischen Behaviorismus aufgezeigt und eine “kognitive Wende” oder Erweiterung erzwungen; m.W. zieht erst Hartmann auch die theoretisch notwendigen Konsequenzen aus dieser “Tat”-Sache.

    Dass auch das kausalistische Erklärungsparadigma der 3PP nicht ausreicht, um menschliches Handeln zu erklären, hat nach der eingehenden Diskussion des “deduktiv-nomologischen Erklärungsschemas” bereits in den 1970er Jahren durch Oswald Schwemmer (in “Theorie der rationalen Erklärung”, Beck, MĂĽnchen 1976) 2006 erst wieder Carl Friedrich Gethmann in seinem Beitrag zu dem von Dieter Sturma herausgegebenen Suhrkamp-Reader “Philosophie und Neurowissenschaften” (stw 1770) gezeigt, wo er unter dem Titel “Die Erfahrung der Handlungsurheberschaft und die Erkenntnisse der Neurowissenschaften” die heute auch “Akteurskausalität” genannte Problematik diskutiert.

    Sie wird in dem neuesten, von Tillmann Vierkant soeben (2008) herausgegebenen Suhrkamp-Reader “Willenshandlungen – Zur Natur und Kultur der Selbststeuerung” (stw 1859) auf S. 32 f unter den Bezeichnungen kausalistische und intentionalistische “Lesart” oder “Explikation” menschlichen Handelns angesprochen – soweit ersichtlich leider ohne auf die jahrzehntelange Diskussion dazu in den vorgenannten Publikationen Bezug zu nehmen, so dass es hier wie auch bei anderen philosophischen Autoren trotz gleichgerichteter BemĂĽhungen kaum zu einem klärenden und vor allem evtl. weiterfĂĽhrenden Austausch kommt – den man deswegen als Interessierter ggf. selber herstellen muss…

  2. Georg Litsche

    Antwort:
    Tja – mit Philosophie kann ich in der Wissenschaft nicht viel anfangen, erstens gibt es so viele davon und zweitens gehen sie immer von etwas aus und erwarten, dass man auch eben davon ausgeht. Deshalb können sie auch höchstens über einander reden, nicht aber miteinander – wie sie zum Schluss selbst feststellen.
    Als Wissenschaftler will ich nicht von etwas mir Vorgegebenem ausgehen, sondern irgendwo ankommen. Natürlich muss auch der Wissenschaftler von etwas ausgehen. Ich gehe von den Hauptsätzen der Thermodynamik aus, alles Andere versuche ich daraus abzuleiten. Das dauert zwar und ist mühsam, dafür brauche ich aber von nichts auszugehen, komme aber immer irgendwo an, manchmal auch bei einer Philosophie. Dabei stelle ich befriedigt fest, ich musste diese nicht als unbewiesenen Ausgangspunkt annehmen, sondern konnte sie mir selbst denken – und beweisen. Solche „Ankünfte“ beschreibe ich gelegentlich in meinem Blog – meinen Weg dahin kann jeder auf subjekte.de und in der „Theoretischen Anthropologie“ nachverfolgen und ggf. auf meine Irr- und Umwege verweisen.

  3. Der freie Wille und die Physik - Wille versus Kausalität

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