Realität, Natur, Kultur

Irgendwann führt die Reflexion der Ergebnisse des eigenen wissenschaftlichen wie politischen Denkens zur der Frage: „Warum denke ich eigentlich, was ich denke?“ Was sind die Voraussetzungen, die, meist unausgesprochen und unreflektiert, dem eigenen Denken zugrunde liegen und die den Ergebnissen des eigenen Denkens erst ihren Sinn geben?

Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine neue Form des eigenen Denkens, denn sie kann nie einen Inhalt erlangen, den man bisher als „objektiv“ zu bezeichnen gewohnt war. Die zu erreichende Antwort ist in höchstem Maße subjektiv und war zumindest bei mir mit heftigen Emotionen und Gefühlsausbrüchen begleitet.

In seinem Blog „Arte-Fakten“ hat Jörg Friedrich mit seinen Ausführungen zum Realismus-Problem verdienstvoller Weise eine stellenweise auch emotional geführte Debatte ausgelöst. Manches erinnerte mich an meine eigene Auseinandersetzung mit diesem Problem. Manche Emotionen beruhen auch darauf, dass man einander nicht versteht, weil die Teilnehmer von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen, die sie zumindest in der Debatte nicht reflektieren. Aber eben diese Voraussetzungen würden aber erklären, warum der eine so und der andere so denkt.

Meine Antworten auf die Frage, warum ich in dieser oder jener Frage so und nicht anders denke, haben es mir ermöglicht, diese Diskussion mit Interesse und Vergnügen zu verfolgen. Einige dieser Antworten habe ich in Thesen zusammengefasst. Diese - vorläufigen - Resultate meines Denkens bilden nun die Voraussetzungen meines Denkens. Sie sind die Antwort auf die eingangs formulierte Frage nach dem „Warum?“ Wenn ich diese Prämissen ebenfalls der Frage nach dem Warum? unterziehen würde, dann hieße die Antwort: „Weil ich anders nicht denken kann.“ Hinter diesen Prämissen steht nichts mehr.

 

1.     Bewusstes, reflektierendes Denken muss mit der Frage anfangen, worüber es denkt, wovon es sich Gedanken macht. Gibt es etwas außer dem Denken, über das gedacht werden kann, oder denkt das Denken nur von sich selbst.

2.     Die Realität ist das, was es wirklich, außer dem Denken gibt und worüber gedacht wird. Eine Welt ohne Realität wäre eine solipsistische Welt.

3.     Die Realität gibt es (heute) nur in Bezug auf den Menschen, der Mensch mit der Realität wechselwirkt. Eine Realität ohne Mensch ist aber denkbar, der Mensch ohne Realität nicht.

4.     Die Realität ist also die Realität in Bezug auf den Menschen, eine Realität ohne Mensch gibt es heute nicht wirklich. Die Realität ohne Menschen ist ein Konstrukt, eine Realität ohne Menschen existiert (heute) nicht wirklich, sondern nur als Konstrukt. Dieses Konstrukt ist aber denknotwendig, wenn auch nicht evident. Ohne dieses Konstrukt können wir auch den Menschen in der Realität nicht denken. Ohne das Konstrukt einer Realität außer dem Menschen bleibt das Menschenbild solipsistisch, und ein solches Menschbild will ich nicht.

5.     Die Frage, ob es je (vor dem Menschen) eine Realität gab, kann nur durch eine Hypothese beantwortet werden. Eine Realität ohne Mensch kann nur als hypothetisches Konstrukt existieren, indem man den Menschen aus der Welt heraus denkt. Das Konstrukt „Realität ohne Mensch“ ist nicht verifizierbar, da Verifikation nur durch den Menschen erfolgen kann. Spätestens in der Verifikation muss der Mensch sich wieder in die Realität hineindenken.

6.     Folglich ist der Begriff „Natur“ auch ein Konstrukt. Real, wirklich ist nur die die menschliche Welt, die vom Menschen gemachte oder gedachte Welt. Das, worauf wir zeigen können, ist Artefakt, ist Kultur, die Natur können wir nur denken.

7.     Die Gesetze der Naturwissenschaften bilden folglich nicht die „Natur“ ab, sondern nur das, was der Mensch (z.B. der Experimentator) „gemacht“ hat. Dann denkt er sich raus aus der Tätigkeit und tut so, als ob es die Gesetze der Physik auch ohne ihn gäbe. Das aber ist nicht verifizierbar, aber denknotwendig. Tatsachen sind also im Sinne des Wortes Tat-Sachen, getane Sachen, nicht aber die Sache außer der Tat.

8.     Die Natur ist die Welt, aus welcher der Mensch „rausgerechnet“ wurde. Die Kultur ist die Welt, so wie sie wirklich (tatsächlich) existiert.

 In seinen Maximen und Reflexionen meint Goethe: „Wir wissen von keiner Welt, als im Bezug auf den Menschen; wir wollen keine Kunst, als die ein Abdruck dieses Bezugs ist.“ - Und ich will auch keine Wissenschaft, die nicht Abbild dieses Bezugs ist.

Kategorie: Allgemein, Erkenntnis, Geist

11 Reaktionen zu “Realität, Natur, Kultur”

  1. xconroy

    Zur Prämissenhinterfragung: an “weil ich anders nicht denken kann” läßt sich natürlich auch ein “warum” anschließen. Es würde vermutlich auf eine neurologische Schiene führen, vielleicht mit Umwegen über entwicklungspsychologische und -soziologische. Am Ende landet es, wie jede halbwegs sinnvolle “warum”-Fragekette, bei der “keine Ahnung”-Ecke des Münchhausen-Trilemmas xD.

    zu 1.: wo wäre denn da die Grenze zu ziehen?

    Man könnte ja sagen: wenn ich über irgendwas nachdenke, dann doch eh immer über das Bild, das ich mir von dieser Sache mache. Ding an sich und so, gell. Nur bringt das eigentlich nicht viel, weil man ja die Dinge, über die man nachdenkt, schon auch gerne untereinander differenzieren möchte… und was hat man dann von einer Eigenschaft (hier also: daß alles eh nur Gedanken-Bilder sind), die ALLE Dinge, über die man denkt, gemeinsam haben?

    zu 4.: jetzt kann man fragen: WARUM willst du kein solipsistisches Menschenbild, bzw. warum will das kaum jemand? Oder: was finden diejenigen paar Leute, die es möglicherweise doch wollen, so toll daran?
    Für mich macht es deswegen keinen Sinn, weil es sich in seinen Konsequenzen um nichts von einem nicht solipsistischen Bild unterscheidet (wenn es konsequent gedacht wird). Wenn ich mir einrede, daß alles um mich rum nur in meiner Fantasie existiert, ändert sich dadurch für mich gar nix, denn meine empirische Erfahrung bleibt gleichermaßen gültig - auch wenn ich davon überzeugt bin, daß es nur eine eingebildete Bank ist, die ich überfalle, sind doch die unangenehmen Folgen der eingebildeten Verhaftung und des eingebildeten Gefängnisaufenthalts ziemlich gleich… Solipsismus bringt also, praktisch gesehen, gar nix. Und auch theoretisch keinen Mehrwert, da ich nie aus diesem System ausbrechen könnte - jede noch so dolle “Bewußtseinserweiterung” KÖNNTE ja immer noch Teil der “Matrix” sein.

    …das waren so`n paar Gedanken dazu ;)

  2. Georg

    Dass die Neurophysiologie einst die Inhalte von Denken erklären könnte, glauben wohl nicht einmal die Hardliner unter den Neurophysiologen.
    Die zu stellende Frage ist nicht die nach dem „Warum?“, sondern die nach dem „Wozu?“ Die Inhalte des Denkens werden u.a. durch die Bedürfnisse bestimmt, die durch das Erkennen befriedigt werden sollen. (S. z.B. hier und hier) Merke: Bedürfnisse sind nicht Wünsche, Bedürfnisse umfassen das, was das Subjekt zu seiner Selbsterhaltung tatsächlich braucht.
    Wozu brauche ich also gerade diese Prämissen? Die Antwort darauf ist schon Stoff für einen neuen Beitrag.

  3. xconroy

    Nee, die Inhalte von Denken lassen sich neurophysiologisch wohl etwa genauso gut oder schlecht erklären wie die Funktion eines Autos anhand der Beobachtung der Molekularstruktur seiner Einzelteile. Emergenz usw., das ist ja nichts Neues.

    Nur kann Denken (das “Ganze”) nicht ohne die zugrundeliegende neurophysiologische Struktur (die “Teile”) stattfinden - mmn landen also Fragen, die das Denken und damit das Gehirn betreffen, irgendwann unweigerlich bei der Neurophysiologie (genauso wie - übergeordnetes System - Fragen der Soziologie irgendwann bei der individuellen Psychologie landen und Fragen der Neurophysiologie irgendwann - untergeordnetes System - über Molekularbiologie, Elektrochemie und klassische Physik im Quantenschaum und damit vorläufig vor einer Wand enden. Im Prinzip ließe sich auf diesem Weg eine Frage nach, sagen wir mal, den Problemen des Kapitalismus lückenlos zu Quantenphänomenen rückverfolgen, nur sollte man nicht den - aus meiner Sicht - Fehler wie zb. Penrose machen und ein um mehrere Etagen “höheres” System wie das menschliche Bewußtsein direkt auf Quantenphänomene zurückführen… aber das führt jetzt bissl zu weit fürn Sonntag ;-)).

    Zu Bedürfnisse vs. Wünsche: seh ich nicht so strikt getrennt/”binär”. Ich glaub da gibt es so einiges an Ãœbergangsformen. Schon allein weil manche Bedürfnisse idR anderen übergeordnet sind (die Maslo-Bedürfnispyramide kennst du sicher). Aus manchen Motivationen, die beim einen “nur” ein Wunsch sind, können beim anderen regelrechte Bedürfnisse werden, je nach individuellem und v.a. kulturellem Umfeld (die Gründe, aus denen manche Japaner Harakiri begehen und damit das Grundbedürfnis “Leben/Ãœberleben = Selbsterhaltung” einem anderen unterordnen, erscheinen uns manchmal eher seltsam und unzurechend, als Beispiel - v.a. wenn man davon ausgeht, daß sie kein Leben nach dem Tod o.ä. voraussetzen).

  4. TomGard

    Grüß Dich, Georg.

    ad 1) Redest Du über’s “Denken” abstrakt, so ist der Gegenstand Deines Gegenstandes eine denomminierte Leerstelle (die hegelsche Identität von Nichts und Etwas/Alles). Ein bestimmter Gedanke hingegen hat einen Gegenstand, er ist ihm einbegriffen. So nennt auch Deine Formulierung “oder denkt das Denken nur (von) sich selbst” unter dem Titel “selbst” etwas anderes, als den stattgehabten Gedanken, wovon das “von”, das ich einklammerte, zeugt (Derselbe Fehler liegt auch dem “cogito ergo sum” zugrunde).
    Ich meine, die Ãœberlegung reicht schon, um zum Knackpunkt des entsprechenden Abschnittes der “Phänomenologie …” zu gelangen: Die Differenz, die das Denken über’s Denken setzt (!), ist eine der Form. Der gesonderte Gedanke setzt seinen Gegenstand in die Form der Allgemeinheit, doch jeder fortgehende Gedankenschritt, der dies Allgemeine zum Gegenstand nimmt, hat es als das Gesonderte des vorangegangenen Gedankens zu nehmen, gegen den der reflektierende Gedanke die Form der Allgemeinheit erhält. Der Solipsismusverdacht entsteht folglich (paradoxerweise) aus der gesonderten Gedankenform eines Gegenstandes (NUR!! es selbst) und umgekehrt geschieht die Setzung einer außerseelischen Welt aus der Form der Allgemeinheit heraus, in der sich jede Reflexion eines besonderen Gedankens selbst erfährt.
    Ich meine, dabei handelt es sich um die abstraktest mögliche Erscheinungs(!)form der zirkulären Bewegung der Begierde (Aufnahme, Hingabe), die Du als zirkuläre Bewegung des Erkennens (Aneignung, Vergegenständlichung) auf Deiner Website dargestellt hast. Eine “außermenschliche Welt” ist für diese Bewegung der erkennenden Tätigkeit ebensowenig erfordert, wie für die Ernährung, den Stoffwechsel insgesamt. Die Atemluft ist “menschlich”, es tut rein gar nichts zur Sache, daß sie z.b. zugleich “hündisch” ist, sie gehört menschlichem Dasein nicht “weniger” oder weniger fest an, als seine DNS, eher ist es umgekehrt …

    Nebenbei: In Sprache und versprachlichtem Denken geschieht etwas Analoges zum genannten Formwechsel: Ein beständiger Stellenwechsel von Zeichen und Bezeichnetem im Denkprozess. Ohne solchen Stellenwechsel könnten bezeichnete Vorstellungen nur geschieden und auseinandergehalten, nicht aber (neu) gefügt werden. Das Blatt wäre vom Baum zu trennen, aber hernach nicht wieder als Baumteil zu identifizieren. Jedenfalls nicht in der “reinen” Vorstellung. In Gestalt eines mimetischen Nachvollzuges einer erinnerten Tat (”Pflücken”) nebst deren Umkehrung ginge es allerdings, und dies dürfte die Hauptbasis vormenschlicher Denkprozesse sein.

    ad 2 bis 5
    Auf der Basis der Ungenauigkeit von Punkt 1 sind die Punkte mehr als windig und es überrascht mich deshalb nicht, daß Du bei etwas landest, das der brecht’schen Charakterisierung keuner’scher Gläubigkeit analog ist: “Ich will die “Realität”, weil ich sie brauche”.

    Dagegen machst Du in 6 bis 8 wieder eine Kehrtwende, allerdings mit dem Makel, in 6. etwas zu behaupten:

    “Folglich ist der Begriff „Natur“ auch ein Konstrukt. Real, wirklich ist nur die die menschliche Welt, die vom Menschen gemachte oder gedachte Welt.”

    dem Du in Punkt 7 mit einer “Denknotwendigkeit”, sich sich physikalische Gesetze ontisch vorzustellen widersprichst, obwohl Du in persona den Gegenbeweis angetreten hattest.
    Wieso sollte einer auch dem “Wahn” verfallen MÃœSSEN, zu meinen, “ohne sich selbst beobachten zu können”? (H.v.Foerster über “Objektivität) Die Antwort liegt eher auf dem Gebiet von Ökonomie, Politik, Religion. Zum Beispiel im Dasein eines “vereinzelten Einzelnen”.

    Auf der wissenschaftlichen Ebene war m.E. der Knoten mit Hegels schlichtem Gedanken gelöst, die einzige Voraussetzung der Wissenschaft sei, daß sie gehe. Diese Voraussetzung setzt den oben genannten Formunterschied des Gedankens in die bestimmtere Form der Unterscheidung von “Erscheinung” und “Wesen”. Du hast sie (an anderer Stelle) “materialistisch” präzisiert in die Unterscheidung zwischen vorwissenschaftlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Vergegenständlichung. Vergegenständlichung ist weder “Prüfung” noch gar “Verifizierung” an “Dingen an sich”, sie liefert das (experimentelle) Artefakt einer neuen Form des Gedachten mittels und in Gestalt außerleiblicher Gegenstände der Wahrnehmung. Das Resultat ist eine Aneignung des Gedachten IN dem Material, in dem es zur Anschauung gebracht wird und eine Ausbreitung der denkenden und produzierenden Tätigkeit in dies Material.
    Der Anschein einer “Verifikation” entsteht dadurch, daß Menschen erst in diesem Tun der Voraussetzungen desselben gewahr werden, die mit ihrer physischen Existenz GEGEBEN sind. Menschen erforschen sich selber, ich meine die Gattung, nicht eine “Welt” außerhalb ihrer Vorstellung.

    Der “Beweis” z.B., daß das “Gravitationsgesetz” für den Affen nicht “gilt”, ist damit zu führen, daß gezeigt wird, warum er außerstande ist, das Fliegen zu lernen. Was ihm die Knochen bricht, wenn er vom Baume fällt, ist nicht “Gravitation”, sondern seine beschleunigte Masse.
    Das ist bei einem Menschen, der mit einem Flugzeug abstürzt, in das Kenntnisse (nicht zwingend die eigenen) über Massenanziehung ihn erst hinein brachten, durchaus anders, obwohl er nicht weniger blöd vom Baume fallen kann, als der Aff;

    behauptet
    TomGard ;)

  5. Georg

    @ TomGard
    Unter 1 wird die Frage formuliert, auf die 2 bis 8 Antworten sind.
    Du gibst nun ± Hegels Antwort auf diese Frage wieder. Das ist nicht mein Kriterium.
    Die gegebenen Antworten sind nun Prämissen. Prämissen haben keinen Grund, sondern nur einen Zweck, kein Warum, sondern ein Wozu. Im Denken haben sie die Funktion von Axiomen.
    Das Parallelenaxiom der Euklidischen Geometrie hat auch keinen Grund, sondern den Zweck, die bekannten Sätze der Euklidischen Geometrie aus ihm abzuleiten. Wenn man es weg lässt, kommt eine andere Geometrie raus.
    Meine Prämissen sind die Axiome meiner Theorie. Sie haben den Zweck, bekannte empirischen Sätze („Tatsachen“) abzuleiten, so wie es in der „Theoretischen Anthropologie“ geschehen ist. Ohne diese Prämissen ist die „Theoretische Anthropologie“ nicht denkbar.
    Hegels Prämissen hatten einen anderen Zweck, für den taugen sie und deshalb taugen sie nicht für meinen Zweck– womit noch nichts gegen Hegel an sich gesagt ist.
    Prämissen müssen daher auch keinem Wahrheitskriterium genügen. Das müssen sie erst, wenn sie nicht nur als Konstrukte, sondern auch als Abbilder der Realität aufgefasst werden. Aber so weit bin ich noch nicht.
    Gruß Georg

  6. TomGard

    Georg,
    den Hegel hab ich zitiert, weil Du ihn andernorts zitiert hast und daher glaubte, mit ihm deutlicher zu sagen, worauf ich hinaus wollte.
    Ich mag Dir nicht auf die Nerven fallen, stritte aber gern noch ein wenig über die “Prämissen”.

    1) Diese “Denkaxiome”, wie Du sie nun nennst, enthalten in den Punkten 2 bis 6 eine exklusive Unterscheidung zwischen “real” und “konstruiert”. Wenn diese Aussagen nun selbstreferenziell (denken über denken) wären, wie Du behauptest, wie könntest Du am End sagen:
    “Prämissen müssen daher auch keinem Wahrheitskriterium genügen. Das müssen sie erst, wenn sie nicht nur als Konstrukte, sondern auch als Abbilder der Realität aufgefasst werden. Aber so weit bin ich noch nicht”?
    Die Identität “wahr” “Realität” in dieser Aussage fällt doch nach eigener Aussage aus dem Reich der “Denkaxiome” heraus?
    Ein Jenseits des Gedachten ist stets ein gedachter Gott!
    Auch wenn er “Realität” heißt.

    2) Wenn ich eindampfe, was ich strittig stellen möchte, dann ist es die Aussage in (3)
    Eine Realität ohne Mensch ist aber denkbar …
    Dazu sage ich frech:
    Noe, das ist zwar heutzutag ein “allzumenschlicher” Gedanke, aber seine Aussage nennt weniger, als einen Anschein, sie ist buchstäblich gegenstandslos. Und den Beweis dafür trittst Du selbst mit dem Nachsatz an:

    ” … der Mensch ohne Realität nicht.”

    Nur eins davon geht! Wie Du selbst in (4) feststellst:

    Die Realität ohne Menschen ist ein Konstrukt, eine Realität ohne Menschen existiert (heute) nicht wirklich

    Allerdings mogelst Du Dich semantisch darum herum, daß sie dann auch nicht “denkbar” wäre, entweder ist das “Konstrukt” halt gesponnen (woraus gesponnen, ist eine ganz neue Frage) oder “alles” ist “Mensch”. Ausschließlich im letzteren Fall könnte dies Un-tier eine Macht besitzen, etwas von sich abzutrennen und zu sagen: das bin nicht ich!

    Tat-sächlich IST das (menschliche!) Selbstbewußtsein (Ein Individualbewußtsein gibt es auch bei Tieren) das Trumm, das kraft der Setzung von Formunterschieden innerhalb seines Denkens zu solcher Abtrennung imstande ist und genau deshalb kommst Du in Deiner Argumentation um den Antagonismus der zitierten Aussagen auch nicht herum. Du brauchst seine Symmetrie, (Form!) damit überhaupt sowas wie eine Aussage aus der Kategorie “denkbar” (vs.”undenkbar”) wird.
    Das “Undenkbare” ist für sich genommen bloß ein religiöser Schmarrn, oder etwa nicht?
    Dann ist folglich “das Denkbare” ebenfalls einer!

    Was entfiele, wenn die Gattung ausstürbe, sind (von den Artefakten abgesehen) einzig die eigen-artigen Formen des Selbst- und Gattungsbewußtsein geschichtlicher Individuen, auf welche diese allerdings überwiegend völlig maßlos stolz sind. Ist schon seltsam, heute weiß jeder, wir sind “aus Sternenstaub gemacht” - weil wir’s mit Augen, die wir mit demselben Zeug bewaffneten, bemessen haben - und nicht mal bloß metaphorisch, doch kaum jemand will im buchstäblich distanzierten Verhältnis zu diesen Vorfahren die Deszendenz so schlicht wahr haben, wie sie ist.

  7. Georg

    @ TomGard
    Ich will gern über die Prämissen diskutieren. Wir sollten uns aber über die Schwierigkeiten klar werden, die das bereitet.
    Zunächst wird diese Diskussion in einer Sprache geführt, die wir vorgefunden haben und deren Inhalte wir uns ursprünglich kritiklos angeeignet haben Meine Prämissen sind auch der Versuch, mir einige der vorgefundenen Termini kritisch anzueignen und mit einem Inhalt zu füllen, mit dem ich leben kann.
    Ich habe sie publiziert um andere eben dazu anzuregen.
    Ein für mich grundlegender Begriff ist „Realität“. Fast (?) jeder versteht etwas anderes darunter. Ich brauchte diesen Begriff ursprünglich nicht, um das Denken zu verstehen, sondern um die Begriffe „Subjekt“, „Tätigkeit“ und „Psyche“ mit den Gesetzen der Physik verträglich gestalten zu können. Das ist mir – wie ich hoffe – in der „Theoretischen Anthropologie“ einigermaßen gelungen.
    Wenn ich eine dieser Prämissen weg lasse, geht das nicht mehr. (Das sind natürlich nicht alle erforderlichen Prämissen, sie sind aber ein Anfang.) Es sind Prämissen über die Realität, nicht über das Denken. Dass ich sie denken muss, das ist die Crux.
    Wenn ich beispielsweise nicht denken kann, dass es einst ein Welt ohne Mensch gegeben hat, kann ich auch nicht denken, dass Lebewesen, Subjekte, einst auf natürlichem Wege entstanden sind, in und aus einer Welt, in der es keine Subjekte gab.
    Als ich die Theoretische Anthropologie schrieb, hatte ich noch keine solchen Prämissen formuliert, weshalb ich mich beim Denken häufig unwohl fühlte, weil ich nicht wusste, warum ich nun gerade so dachte und nicht anders. Die einzigen Prämissen, die ich damals bewusst setzte, waren die Hauptsätze der Thermodynamik.
    Die „Theoretische Anthropologie“ ist ein Buch über den realen Menschen, das Buch über sein Denken …?

  8. TomGard

    Danke für die Antwort, Georg,
    Ich habe die “Theoretische Anthropologie” z.T. gelesen und war just von Deinem Ansatz an der Thermodynamik beeindruckt, weil die Biosphäre gegenüber der unbelebten Welt eine Entropiesenke bildet, richtig?
    Aber ich las Deine Ableitung in einer Richtung, die der, die Du hier knapp vorstellst, entgegengesetzt ist. Ich las sie nicht als Antwort auf die Frage: “Wie konnte es geschehen, daß …usw.”, sondern als Darstellung einer Konstruktion, die zeigt, welche(s) Grundelement(e) in der “Natur”, die wir als “unbelebt” klassifiziert haben, Eigenschaften aufweisen, die hinreichen können, einen Prozess der Subjektivierung in Gang zu setzen und zu unterhalten.
    Deine Antwort verstand ich als: Das sind hochmolekulare organische Verbindungen, die zufällig entstehen können und aufgrund ihrer physikalischen Struktur Reaktionen katalysieren, welche unter wohlbestimmten Bedingungen mit dem Aufbau und der Struktur der Katalyten rückkoppeln. Alles weitere in diesem Zusammenhang Gesagte verstand ich als Skizze eines vielfältigen Geflechtes von Bedingungen, die notwendig sind, damit diese chemischen Abläufe eine Dynamik gewinnen können, die statistisch ausreicht, Bifurkationen in der Chemie der jeweiligen Substrate zu schaffen und zu unterhalten, indem der Prozess seine eigenen Bedingungen zu setzen beginnt.

    (Nebenbei: Du merkst, ich lehne den Begriff “Emergenz” als postmodernen Unfug ab ;) Wenn ich ein Ding vor mir habe, das den Eindruck macht, “mehr” zu sein, “als die Summe seiner Teile”, um die populäre Definition zu verwenden, dann schließe ich: Es ist kein “Ding” sondern ein Prozess, in dem eine Reihe unbegriffener Erscheinungen in meiner Wahrnehmung und Anschauung zusammenwirken. Schon Heraklit zog diesen Schluß aus den unwiderleglichen Bemerkungen von Parmenides.)

    Deswegen ist mir das Bedürfnis und die Not, die Dir Deine folgende Tautologie eingibt, völlig fremd:
    “Wenn ich beispielsweise nicht denken kann, dass es einst ein Welt ohne Mensch gegeben hat, kann ich auch nicht denken, dass Lebewesen, Subjekte, einst auf natürlichem Wege entstanden sind, in und aus einer Welt, in der es keine Subjekte gab.”

    Hat man das Heliumatom rundum verstanden, hat man in seiner Gestalt das gesamte Periodensystem theoretisch im Blick. Ich habe kein Problem damit, “die Welt”, sprich den engen Raum des Sonnensystems, als ein Hologramm zu verstehen, in dem jedes Teil in seiner aufgefundenen Zustandsform die synchronische und diachronische Gesamtheit der unbelebten Welt enthält, nimmt man noch die “dreieinhalb” Wechselwirkungen mit dem Rest der Sternenwelt hinzu. Die Subjekte fallen da ‘raus - und doch auch nicht; den Beweis tritt ein Mensch nicht erst mit Ãœberlegungen (oder Spinnereien, wie Du willst) der Art an, wie ich sie grad vorstelle. Du bist auch Praktiker, Du hast konkrete Biotope untersucht. Jedes Viehzeug zeigt sich in jedem bit, jedem Moment seines populationszugehörigen Lebensprozesses mit einem wohldefinierbarenTeil der unbelebten Natur direkt wie mittelbar verschränkt, und nach meiner obigen Prämisse ist diese Einschränkung auf einen Teil ein Schein. Folglich habe ich in der Extrapolation solcher Beobachtungen kein Problem mit Hegels auf dem Wege der spekulativen Introspektion gewonnenen Schluß, ein Begriff sei subjektive Form einer objektiven Erscheinung. Erkenntnis (und mittelbar auch Zwecksetzung) wäre demnach tatsächlich so etwas wie eine Abbildung im mathematischen Sinne, nur nicht in der mechanistischen Gestalt, in der Materialisten das Bild gewöhnlich verstehen wollen, weil sie sich aus gesellschaftlichen Gründen das “Ding an sich” partout nicht aus dem Kopf schlagen. “Subjektive Form objektiver Erscheinung”, das beläßt beide Seiten beim Subjekt und - so sage ich abermals frech - “es gehört sich auch so” für einen Wissenschaftler. Andernfalls will er - wie Hegel so oft höhnte - implizit immer schon gewußt haben, was er nicht weiß.
    (Daß H. mit dem Systemanspruch der Philosophie selbst in diese Falle tappte, tut nix zur Sache.)
    Anders gesagt:
    Wenn Du das Subjekt zum Zentralbegriff machst, dann hat von da an Dein Gegenstand ausschließlich die Tätigkeit - also Subjektivität - der Viecher zu sein, dies ist das Reich, das Dein Wissen in Begriffenes und Unbegriffenes scheidet - weder “Realität” noch “Universum” haben da noch was zu melden, außer vielleicht in der Polemik gegen ideelle Projektionen und Transformationen höchst praktischer Vorgänge in eine transzendente, erfundene Welt, deren Vorbilder die Fetische sind, deren Kult die Herren weltlicher Tempel und Paläste befehlen und gebieten.
    (Aber diese Abteilung wäre eher mein Job *lächel*)
    Falls Du auf diesem Weg an scheinbar unüberwindliche Grenzen stoßen solltest, dann ist immer noch Zeit, ein Konzept von “Realität” hervor zu kramen, um zu schauen, ob’s was hilft.
    Würde es nicht, behaupte ich. Denn Dein Ansatz hebt das sog. “Wahrheitskriterium” im besten Sinne auf. Jede Aussage ist mehr oder minder wahr, weil teils Bestandteil, teils Reflex ihres Gegenstandes. Sie ist nur ebenso mehr oder weniger unzureichend, und in beiden Fällen liegt das Maß des “mehr oder minder” in der Reichweite resp. Ärmlichkeit der Fragestellungen, die ihrerseits den Tätigkeiten entstammen, die Gegenstand der Antworten sein sollen.
    Mehr braucht’s nicht.

    Ich hoffe, Du nimmst mir meine extemporiert schlampigen Bemerkungen nicht krumm.

    Gruß
    Thomas

  9. Georg

    Es freut mich, dass Du Dich mit meinen Gedanken beschäftigst. So wirst Du auch wissen, dass ich versuche, meine Gedanken schrittweise zu entwickeln, jeden Schritt logisch zu reflektieren und so für jeden nachvollziehbar zu machen. Ich muss den Finger auf jeden Posten legen können und verstehen, wie kommt der dahin.
    Das fehlt mir in Deinen Gedanken. In einem Ritt vom Heliumatom über das Hologramm zur Welt und zum Sonnensystem zu springen – das ist mir zu genial. Das kann ich nicht nachvollziehen und mich deshalb auch nicht dazu äußern. Vielleicht hast Du die Schritte irgendwo schon aufgeschrieben?
    Wenn nicht, dann versuch´s mal! Aus meiner Erfahrung vermute ich, es wird Dir nicht nur einmal gehen wie Ikarus, und dann wirst Du froh sein, wenn Du auf Prämissen triffst, die Dich vorm Ertrinken retten.
    Ich werde dann gern mit Dir darüber reden und Dir den einen oder anderen Strohhalm reichen. Wenn Du keinen brauchst – umso besser,
    Gruß Georg

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