Subjekt und Instinkt I

Subjekte sind u.a. durch Autonomie, durch Selbstbestimmtheit ausgezeichnet. Ein „fremdbestimmtes Subjekt“ wäre ein Widerspruch in sich. Bei menschlichen Subjekten ist ihre Autonomie in ihrem Bewusstsein begründet. Die bewusste subjektive ideelle Abbildung der Welt und des individuellen Selbst, des Ichs, ermöglicht die selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Tätigkeit. Wenn wir nun auch Tiere als autonome Subjekte ansehen wollen, müssen wir auch die Frage beantworten, worauf ihre Subjektivität, ihre Selbstbestimmung beruht.

Das Postulat der Subjektposition der Lebewesen erfordert auch die Annahme der Autonomie des Verhaltens, d.h. die Annahme, dass die Aktionen der Lebewesen nicht kausal durch äußere Einwirkungen hervorgerufen und auch nicht durch solche gesteuert werden . In den üblichen biologischen und psychologischen Standardwerken wird die Tätigkeit der Tiere jedoch als prinzipiell über die Wahrnehmung gesteuert dargestellt. Dieses Modell der Verhaltenssteuerung besagt, dass Tiere Informationen aus der Umgebung aufnehmen und ihr Verhalten mit deren Hilfe steuern. In diesem Erklärungsmodell ist jedoch die Existenz autonomer Subjekte nicht darstellbar, denn in ihm bestimmen die vom Subjekt unabhängigen Informationen (die „Reize“) die Aktionen des Subjekts, die nur als „Reflexe“ gedacht werden können. Das Subjekt wäre nicht mehr selbstbestimmt, nicht mehr autonom. Eine autonome Steuerung erfordert vielmehr die Annahme einer internen Informationsquelle, mit deren Hilfe das Subjekt seine Aktionen autonom steuert.

In der Biologie wurde mehrfach versucht, das Problem der autonomen Steuerung mit dem Instinktbegriff zu lösen. Uexküll hat wohl als erster den Subjektbegriff als wissenschaftliche Kategorie zur Abbildung auch der Tätigkeit der Tiere verwendet. Die Eigenschaft der Subjektivität sah er im Gegenpol zur physikalischen Kausalität. Er vertritt die Auffassung, dass es in der Biologie  „…außer der Kausalität noch eine zweite subjektive Regel gibt, nach der wir die Gegenstände ordnen – die Planmäßigkeit“. /1/„Damit wurde ein neues Gerüst für die Biologie notwendig, das bisherige Gerüst, das man der Chemie und der Physik entliehen hatte, genügte nicht mehr. Denn Chemie und Physik kennen das Planmäßige als Naturfaktor nicht.“ /2/  

Zu Beschreibung der autonomen Steuerung der Tiere diente ihm der Begriff des Instinkts, den er als „selbständigen Faktor“ ohne Bindung an eine anatomische Struktur und ohne Kontrolle durch Sinnesorgane konzipierte (Theoretische Biologie, S.95f.) Sie sind dem tierischen Subjekt immanent, angeboren. Im Unterschied dazu verstand er den Reflex im Sinne Pawlows als anatomisch nachweisbar, als Reflexbogen. Reflektorisch gesteuerte Aktionen erfolgen danach unter der Kontrolle der Sinnesorgane.

Das Instinktkonzept als Konzept einer angeborenen autonomen Steuerung ist in der Folge verschiedentlich weiterentwickelt worden. Die ihm zugrunde liegende Auffassung ist unvereinbar mit dem behavioristischen Konzept der Verhaltensbiologie, das auf dem kausalistischen Konzept der Mainstreambiologie beruht. Deshalb wird das Instinktkonzept heute meist als veraltet und überholt dargestellt. Die Fülle empirischer Daten, die für die Existenz angeborener, autonomer Steuerungsmechanismen sprechen, verhinderte jedoch, dass das Instinktkonzept völlig ad acta gelegt wurde. Mit dem Konzept des AAM (angeborenen Auslösemechanismus) wurde es zurechtgestutzt und mit dem behavioristischen Konzept verträglich gestaltet.

 

Wie man die vorliegenden empirischen Daten auch sprachlich ausdrücken und theoretisch interpretieren mag, unbestreitbar ist, dass die Auffassung, Tiere seien Subjekte, logisch zwingend die Annahme erfordert, dass sie über intern ausgelöste, d.h. angeborene Steuermechanismen verfügen. Diese „Instinkte“ zu nennen, bedarf zwar der Konvention, entspricht aber auch dem allgemeinen Sprachgebrauch in Biologie und Psychologie. In einer kausalistischen Biologie bleibt die Idee des Instinkts ein logischer Fremdkörper, eine subjektwissenschaftliche Biologie dagegen erfordert sie zwingend.

 

/1/ Uexküll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Springer J., Berlin, S. 86
/2/ Ebenda, Vorwort

Kategorie: Kausalismus, Subjekte

3 Reaktionen zu “Subjekt und Instinkt I”

  1. Ingo-Wolf Kittel, FA f. pt. Med.

    Wenn ich mich nicht täusche, gebrauchen Sie das Wort “Subjekt” in Ihrem Text im Sinne des geläufigeren Begriffs Individuum. Auch andere Begriffe scheinen Sie in anderem als gewöhnlichem Sinn zu verwenden, “Autonomie” z.B. eher im Sinn von Eigenaktivität. Tiere im Unterschied zu Pflanzen als von sich aus aktiv oder “tätig” anzusehen, ist zwar eine pragmatisch ausreichende Bestimmung. Ob es aber sinnvoll ist, diese Eigenaktivität als im üblichen Sinn “selbstbestimmt” zu bezeichnen, erscheint mir fragwürdig; selbst Menschen handeln nicht durchgehend aufgrund selbstgesetzter Ziele und Zwecke! Wir reagieren auch reflexartig auf innere Impulse verschiedenster Art (z.B. Hungergefühl, Bauchschmerzen, Einfälle) im Rahmen von Reaktionsbereitschaften, die sogar gelernt sein können wie Gewohnheiten. Damit will ich darauf hingewiesen, dass Lebewesen aus vielerlei innerem “Antrieb” aktiv werden, beileibe also nicht bloß aufgrund eines “Instinkts”. Unverständlich geblieben ist mir jedoch Ihre Schlussbehauptung, dass Verhaltenserklärungen über Triebe, Instinkte oder Reize aus dem inneren Milieu in einer “kausalistischen Biologie … logische Fremdkörper” sein sollen; mir scheint eher genau das Gegenteil der Fall zu sein.

  2. Georg Litsche

    Sie haben richtig bemerkt, dass ich viele Worte anders verwende als üblich. Damit unterscheide ich mich nicht von anderen Wissenschaftlern, denn auch das ist üblich.
    Leider kann ich in nicht in jedem Kurzbeitrag beispielsweise auf meinem Blog meine Verwendungsweise umfassend darstellen. Das ist umfassend in meinem Buch „Theoretische Anthropologie“ (und auf meiner Website) geschehen, auf die ich folglich verweisen kann. Die von mir bevorzugte Verwendungsweise muss daher nicht aus dem kurzen Text erschlossen oder erraten werden, sondern kann dort nachgelesen werden. Darüber will ich dann gern – auch auf dem Blog – diskutieren.

  3. Detlef Zöllner

    An Ihren Kommentaren wird deutlich, daß das Verwenden durchgängig definierter Begriffe auch in den verschiedenen Wissenschaften praktisch unmöglich durchführbar ist. Das gilt sowohl für Natur- wie für Geisteswissenschaften. Wir weichen ständig von Standarddefinitionen ab und wir benutzen außerdem ständig Begriffe, die wir nicht eigens definieren. Sprache funktioniert im Wesentlichen metaphorisch. Begriff bilden lediglich die Spitze des aus Metaphern bestehenden Eisberges. Eindeutige, systematisch ausdefinierte Begriffe gibt es nur in der Mathematik.


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