Subjekt und Instinkt II
Eine subjektwissenschaftliche Biologie erfordert zwingend die Annahme, dass die Tiere über die Fähigkeit zur autonomen Steuerung verfügen. Sie müssen fähig sein, ihre Aktionen unabhängig von äußeren Einwirkungen, von „Reizen“ zu steuern. Solche auch „Instinkte“ genannten autonomen Steuermechanismen müssen angeboren sein, d.h. sie müssen genetisch determiniert sein und der Evolution unterliegen.
Ihre Existenz ist zwar unzweifelhaft, ihre Bedeutung für die biologische Theorie ist jedoch umstritten. Für eine reduktionistische Biologie, welche die Lebewesen als Objekte auffasst, die letztlich ausschließlich durch Gesetze von Physik und Chemie erklärbar sind, ist der Instinktbegriff ein störendes Element, das möglichst aus der biologischen Theorie entfernt werden sollte. Dieser Trend ist für die heutige Mainstreambiologie kennzeichnend und mit dem Terminus „Behaviorismus“ hinreichend charakterisiert.
Dieser „objektwissenschaftlichen“ Biologie ist die Position entgegengesetzt, in welcher die Lebewesen als Subjekte aufgefasst werden. Subjekte werden nicht durch äußere Einwirkungen determiniert, auf die sie in berechenbarer Weise reagieren. Sie agieren vielmehr aus sich heraus. Eine solche „subjektwissenschaftliche“ Biologie hat die Aufgabe, die Determination dieser subjekteigenen Aktionen zu erforschen, die nicht mehr kausal, „objektiv“, sondern akausal, „subjektiv“ determiniert ist. Die Determination der subjektiven Aktionen durch die Subjekte, das ist der Forschungsgegenstand einer subjektwissenschaftlichen Biologie.
Der Erste, der diese Forderung expressis verbis formuliert hat, war Jacob von Uexküll.
Er unterschied die Umgebung, die aus Objekten besteht von der Umwelt, die aus Gegenständen besteht, die von der Beschaffenheit der Lebewesen, der Subjekte bestimmt wird. Die Umwelt unterliegt in dieser Theorie also nicht mehr der physikalischen Zufälligkeit, wie die Objekte, sondern dem Prinzip der „Planmäßigkeit“, das von der Biologie zu erforschen ist, Die Aktionen der Subjekte richten sich nicht auf die Objekte, sondern auf die Gegenstände der Umwelt, die vom agierenden Subjekt planmäßig determiniert sind.
In diesem Konzept hatte nun das Prinzip  der Anpassung keinen Platz, denn dieses Prinzip unterwirft das Lebewesen ja den Einwirkungen einer Umwelt, die ja in Uexkülls Theorie erst von dem jeweiligen Lebewesen bestimmt wurde. Aus dieser Position zog Uexküll nun einen Schluss, der sich fatal auf die weitere Rezeption seiner Ideen und damit auf die Entwicklung der Biologie als Subjektwissenschaft auswirken sollte, denn aus ihr folgte für ihn logisch zwingend die Ablehnung des Darwinismus, und das in einer Zeit, in der dieser nicht nur die Biologie, sondern auch die Stammtische erobert hatte. Für Uexküll folgte aus seiner subjektwissenschaftlichen Theorie der Biologie, der Darwinismus sei…
Mit dieser Position konnte sich später kein Biologe mehr identifizieren, der ernst genommen werden wollte. Das führte dazu, dass Uexkülls biologische Theorie nicht nur sehr fragmentarisch sondern vor allem ihres subjektwissenschaftlichen Gehalts beraubt rezipiert wurde. Das gilt besonders für den Umweltbegriff, der als einziger Begriff des von Uexküll entwickelten Kategoriensystems allgemein (wenn auch in „kastrierter“ Form) rezipiert wurde.
Während Uexküll eine umfassende subjektwissenschaftliche Theorie der gesamten Biologie vorgelegt hatte, beschränkte sich Konrad Lorenz, einer von Uexkülls Verehrern, auf den verhaltenswissenschaftlichen Aspekt. So konnte er seine Kritik  auf die verhaltensbiologische Richtung der kausalistischen Biologie, den Behaviorismus beschränken, ohne Uexküll kritisieren zu müssen. In der Auseinandersetzung mit dem Behaviorismus spielte der Instinktbegriff eine besondere Rolle, denn die Existenz von Instinkten wurde und wird vom Behaviorismus bestritten.
Lorenz´ Arbeit am Instinktbegriff war daher auch der Versuch, in der Verhaltensbiologie im Gegensatz zum Behaviorismus eine subjektwissenschaftliche Position zu etablieren. Er hat gezeigt, dass der Instinktbegriff als Konzept der autonomen Steuerung tierischer Aktionen geeignet ist und nicht im Widerspruch zur Evolutionstheorie stehen muss. Die Evolution der Lebewesen kann auch als Evolution von Subjekten verstanden werden. Er zeigte, dass Instinkte genetisch determiniert sind und folglich wie die Organe der Lebewesen den Gesetzen der Evolution unterliegen. Er schreibt:
Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage nach der Bedeutung der Umwelt.
Vor allem diese Position war es, die von Seiten des Behaviorismus immer wieder angegriffen wurde, der nach wie vor darauf besteht, dass das Verhalten von Tieren (und Menschen) durch die Einwirkungen der Umwelt determiniert wird.. Da es eine subjektwissenschaftliche Methodologie nicht gab (und bis heute nicht gibt), wurden zum Zwecke der Kritik die subjektwissenschaftlichen Thesen mit den Methoden objektwissenschaftlicher Forschung untersucht/6/. Dass dazu die subjektwissenschaftlichen Thesen ihres spezifischen Gehalts beraubt und in das objektwissenschaftliche Gedankensystem transformiert werden mussten, blieb unreflektiert. So teilte Lorenz /7/ schließlich das Schicksal Uexkülls.
Die experimentell orientierte, objektwissenschaftliche Mainstreambiologie hat auf diesem Wege die subjektwissenschaftlichen Fragen zwar nicht beantwortet, aber aus ihrem Ideenbestand eliminiert. Die aktuelle Debatte um den freien Willen ist dafür Zeugnis genug. Im Kategoriensystem der reduktionistischen Biologie ist kein Platz für diesen, deshalb kann man ihn auch nicht erforschen - auch wenn er sich immer wieder und der Kausalität trotzend ungefragt in die Debatte einmischt.
/3/ Lorenz, Konrad (1992): Über tierisches und menschliches Verhalten - Gesammelte Abhandlungen I, Piper & Co.Verlag, München, Zürich, Bedeutung. I, S.274
/4/ Ebernda, S.273.
/5/ Ebenda, S. 274
/6/ Vgl z.B. Zippelius, Hanna-Maria (1992): Die vermessene Theorie, Vieweg oder G. Roth (Hrsg.) (1974): Kritik der Verhaltensforschung, C.H. Beck.
/7/ Lorenz steht hier verallgemeinert für eine ganze Anzahl von Wissenschaftlern (z.B. v. Holst, Mittelstaedt, Leont´ev, Anochin), die verschiedene Aspekte einer subjektwissenschaftlichen Biologie entwickelt hatten, heute aber (mit Ausnahme von Leont´ev) vorwiegend von historischer Bedeutung sind.
Kategorie: Evolution, Freier Wille, Kausalismus, Subjekte, Verhaltensbiologie
am 24. August 2008 um 23:52 Uhr | #
Ob die “Mainstreambiologie” so ist, wie Sie skizzieren, will ich als Nicht-Biologe nicht beurteilen; Ihr Begriff allein aber macht schon stutzig, noch mehr, dass Sie Willensfreiheit mit Biologie in Zusammenhang bringen.
Es gibt zwar den umgangssprachlichen Ausdruck von einem “Lebenswillen”, der möglicherweise mit dem Konzept eines blinden Willen zum Leben bei Schopenhauer in Zusammenhang steht, der jegliche Lebensregung als Ausdruck “des Willens” (zu leben oder zum Leben…) ansah.
Im Normalfall jedoch, jedenfalls im täglichen Leben ist mit “wollen” völlig anderes gemeint, nämlich: ein von vorgängigen Entscheidungen abhängig gemachtes Handeln, das deswegen auch als selbstbestimmtes oder “gewolltes” Tun bezeichnet werden kann.
“Frei” ist derartiges “bewusstes” Tun oder absichtsvolles Handeln, weil es an selbstgewählte Kriterien gebunden wurde und genau dadurch nicht mehr, zumindest nicht mehr unmittelbar von situativ gegebenen Reizkonstellationen abhängig ist wie reflexartiges oder gewohnheitsmäßiges Verhalten, das auf naturhaft festliegenden, “angeborenen” oder lebensgeschichtlich “gelernten” Reiz-Reaktions-Zusammenhängen beruht.
Handlungsfreiheit wird in der Volitionspsychologie unter der Rubrik Handlungstheorie abgehandelt.
Dass wir auch darin frei sind, etwas zum Objekt oder Ziel unseres Wollens zu machen, liegt an der zur Handlungsfreiheit vorgängigen Entscheidungsfreiheit. Diese – wie übrigens gleichzeitig auch die “Notwendigkeit” zu entscheiden – ergibt sich, wenn man zuvor verschiedene Handlungsmöglichkeiten “in der Vorstellung” wenigstens in Erwägung gezogen, ggf. aber auch noch bis hin zu ihren abschätzbaren Auswirkungen gegeneinander abgewogen, auf ihre Zweckmäßigkeit hin eingeschätzt und vielleicht auch noch nach weiteren Kriterien beurteilt hat: die sich hier manchmal ergebende “Qual der Wahl” ist sprichwörtlich…
Die Verhältnisse, die mit der Frage nach Art und Grundlage unserer Willensfreiheit in Rede stehen, sind zu komplex, um hier mehr als angedeutet werden zu können. Deutlich sollte aber geworden sein, dass biologisch hier allenfalls danach gefragt werden kann, wieso wir zu derart komplexen geistigen Leistungen überhaupt imstande sind, die vor allem erfordern, dass man sich “geistig” mehr vorstellen kann, als in einer realen Situation momentan gegeben ist, also sinnlich wahrgenommen werden kann. Dass damit Willensfreiheit letztlich auf Geistesfreiheit, also Denk- und Imaginationsfähigkeit beruht, dürfte einsichtig sein.
Eine philosophische Bestimmung der Eigenheiten speziell unseres Vorstellungsvermögens, letztlich unserer sehr treffend sogenannten Erinnerungsfähigkeit (”Wissen” ist etymolog. verwandt mit lat. video und griech. eidos, s. Idee) hat vor kurzem Colin McGinn in seinem Buch “Mindsight” vorgelegt; seine deutsche Ãœbersetzung ist 2007 unter dem eher bombastischen Titel “Das geistige Auge – Von der Macht der Vorstellungskraft” vom Primus-Verlag in Darmstadt herausgebracht worden.
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