Mutter mit 64

Was soll das, fragt sich mancher, der die Nachricht von der 64-jährigen Mutter gesehen oder gehört hat. Warum tut die Frau das sich und ihrem Kind an? Da sich die Frau zu ihren Motiven nicht öffentlich geäußert hat, bleiben dem Publikum nur Spekulationen. Warum wollen Menschen überhaupt Kinder?

Manche wollen Kinder haben, im unmittelbaren Sinne der Wortes „haben“, besitzen, über sie verfügen. Die Kinder bedienen ein Bedürfnis der Eltern, das Bedürfnis nach Anerkennung, sie wollen es mit Stolz vorzeigen können, es macht Spaß, ein Kind zu haben usw. Das Kind ist „Lustobjekt“ der Eltern, das ihnen Spaß machen soll. Ehrlich, wollten Sie so ein Kind sein?

Was aber, wenn so ein Kind nicht zum Vergnügen der Eltern leben will, sondern - wie diese Eltern - zu seinem eigenen Vergnügen? Solche Familien, in denen jeder nur seinem Vergnügen nachjagt, machen keinen glücklich und brechen nicht selten auseinander, Beispiele sind dank der voyeuristischen „Berichterstattung“ unserer Medien hinlänglich bekannt. Noch schlimmer wäre es, wenn das Kind wirklich so leben wollte, dass die Wünsche seiner Eltern der Sinn seines Lebens wären und sein Leben dominierten.

Ein denkbares Motiv wäre auch der Wunsch der Eltern, im Alter versorgt zu werden. Sie schließen den viel zitierten „Generationenvertrag“. Der kindliche Partner wird dabei gar nicht gefragt, und die zu Versorgenden bestimmen das Maß ihrer Versorgung selbst. Was Wunder, dass später immer wieder Junge nicht zu so einem Vertrag stehen wollen, ihre Stimme erheben und wie manche smarte Jungmanager diesen Vertrag korrigieren oder gar aufheben möchten. Wie aber, wenn die Eltern diesen Vertrag gar nicht eingehen wollen? Ist die Babyklappe vielleicht nur eine konsequente Form der Kündigung des Generationenvertrags?

Unabhängig von den subjektiven Wünschen und Motiven erfüllen die Kinder aber auch eine objektive Funktion im Leben der Gesellschaft: Sie gewährleisten die Erhaltung der Gesellschaft in der Zeit. Nicht dass das den Menschen verborgen geblieben wäre, manche politische Sonntagsrede zeugt davon. Aber dass dieses Ziel zum Motiv individueller Handlungen gemacht wird, das gilt in unserem Lande nicht wirklich als Wert. Dabei wäre dieser Wert als Motiv des Kinderwunsches der moralische Ort, an dem sich alle Generationen treffen könnten.

Gleichgültig, welcher Wunsch die Mutter mit 64 getrieben hat, zur Erhaltung der Gesellschaft hat sie beigetragen, auch wenn der statistisch zu erwartende individuelle Nutzen gering bleiben dürfte.

Alles Gute für Mutter und Kind!

Kategorie: Allgemein, Erziehung

7 Reaktionen zu “Mutter mit 64”

  1. Lisa Rosa

    Ja! Ich würde das gerne noch nach meinen Vorstellungen präzisieren.
    Ein wichtiges und bekanntes Motiv für die “Reproduktion” ist ja das schwer aushaltbare Wissen um den sicheren eigenen Tod. Aber wenn man die Möglichkeit, sein endliches Leben zu transzendieren nur in der narzisstischen Form verstehen kann, also sich selbst als Individuum quasi durch historische Duplizierung zu reproduzieren - dann hat das diesen von Dir beschriebenen destruktiven narzistischen Mißbrauch und die Mißachtung der Autopoiese - oder tätigkeitstheoretisch ausgedrückt - der Subjekthaftigkeit des Kindes zur Folge. Es ist nun aber nicht nur die einzelne Gesellschaft, die die Reproduktion zur Weiterexistenz braucht, sondern die ganze Gattung, das “Menschengeschlecht”. Ob meine - immer noch national bestimmte - partikulare Gesellschaft nach mir überlebt, ist nicht so wichtig. Dahinein kann ich mich in meiner Gegenwartsvorstellung auch nicht hineintranszendieren und meinen Tod besser “akzeptieren”, mein Leben als nach dem individuellen Tod als fortgesetzt verstehen. Aber im Leben und der Weiterentwicklung der ganzen GATTUNG - da kann ich es wohl! Und da liegt auch der Schlüssel zur Ãœbereinstimmung meines persönlichen Motivs - die Gewißheit des eigenen Todes zu ertragen - mit der Bedeutung der “Reproduktion” für die Menschheit. Die GESELLSCHAFT ist bloß das System - selbst wenn ich sie mir als zukünftige Weltgesellschaft imaginieren kann -, das die Strukturen bereit stellt, in denen die Bedingungen für die von mir geborenen Subjekte gut, schlecht oder besser sind. Aber nur dann, wenn ich mein Kind als ebensolchen Vertreter der GATTUNG, wie ich es auch bin, mir vorstellen kann, kann ich ihm die notwendige Autopoiesis auch zugestehen. Was heißt zugestehen! Mehr noch: Ich MUSS, um mein Motiv, mich selbst als Individuum durch die Teilhabe via Reproduktion an der Weiterexistenz und Weiterentwicklung der Gattung über meinen individuellen Tod hinaus überhaupt transzendieren zu können, mich jetzt schon, in der Gegenwart, im Umgang mit meinen Kindern, in die Gattung transzendiert erleben - also schon zu Lebzeiten. Das Wiederzusammenführen des persönlichen Sinns mit der von Leo so benannten “gesellschaftlichen” Bedeutung ist also nur möglich in der Vorstellung des Aufgehobensein meines persönlichen Sinns in der universalen Bedeutung für die Gattung. Man müßte also in Abwandlung Leos präziser sagen: in der GATTUNGSBEDEUTUNG. Ich nehme an, Du hast “Gesellschaft” auch in diesem Sinne als Begriff für die Gattung verstanden. Ich halte aber die Unterscheidung des Begriffes Gesellschaft vom Begriff der Gattung für wichtig und notwendig.

  2. Georg Litsche

    Ich meinte tatsächlich die Gesellschaft, die jeweils historische Form (Ethnie, Staat, …). Natürlich trägt die Fortpflanzung auch zur Erhaltung der Gattung bei, aber als persönliches Motiv? Da muss man schon von der Gattungsfeindlichkeit mancher Gesellschaft abstrahieren - nein sie ignorieren können.

  3. Lisa Rosa

    Auch gerade deswegen, weil die meisten Gesellschaften so gattungsfeindlich sind, taugen sie doch nichts für mein persönliches Motiv, drum geht es mir um die Menschheit, nicht um deren Gesellschaften … ;-)

  4. Georg Rückriem

    Zu Lisa Rosas Beitrag hatte ich zwei Assoziationen.
    Die erste brachte mich in ein Philosophie-Seminar bei Reinhard Lauth über Fichte zurück, in dem das Problem der Unsterblichkeit des Menschen auf genau diese Weise diskutiert wurde: Nur dadurch, daß der Einzelne Bedeutsames für die Reproduktion der Gattung leistet, hebt er sich im Fortbestand der Gattung selbst auf und wird “unsterblich”.
    Die zweite Assoziation erinnert mich an Leont’evs Vorstellung von dem Verhältnis von Persönlichkeit und Gattung, nach der der Einzelne nur in dem Maße sich zur Persönlichkeit macht, in dem er die leitenden Motive seine Lebens “verallgemeinert”und auf die Menschheit richtet, d.h. zum “Mensch der Menschheit” wird.
    Beide, Fichte und auch Leont’ev sprechen in diesem Zusammenhang nicht von Gesellschaft.
    Aber beide Vorstellungen haben mir gefallen, wenn sie auch das Ziel schwer erreichbar erscheinen lassen. Aber schließlich - soweit ich mich richtig erinnere - erhielt nur einmal ein Mensch die Unsterblichkeit geschenkt: Herakles! ;-)

    Georg

  5. Georg Litsche

    Trotzdem ist jeder Mitglied einer Gesellschaft, an deren Erhaltung er nach Maßgabe von deren Verfassung tatsächlich mitwirkt, nicht nur durch Geburt und Erziehung eigener Kinder. Man nicht nicht an der Erhaltung “seiner” Gesellschaft teilnehmen.
    Ãœbrigens: mir scheint. mit dem Terminus “Gattung” ist mehr der biologische denn der soziale (eben gesellschaftliche) Aspekt erfasst.

  6. Lisa Rosa

    Terminus “Gattung”: mehr biologischer Aspekt? So sieht es vielleicht der Biologe! Ich als Gesellschaftswissenschaftler meine damit ebenso den sozialen Aspekt (humanity, mankind, Menschengeschlecht, Menschheit). Welchen anderen Begriff könnte man denn verwenden in dem Zusammenhang Einzelwesen - Gattungswesen? Mit Individuum - Gesellschaft ist das Verhältnis eben nicht getroffen!

  7. Georg Litsche

    Gefunden: Link: http://www.marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_g/gattung.html


Kommentar schreiben

Kommentar