Zwei Kulturen - zwei Sprachen

9. März 2008 - 18:18 Uhr

In der „GUTEN STUBE“ äußert sich Ferdinand Knauß sehr polemisch über das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Arroganz und Ignoranz einzelner Wissenschaftler helfen zwar nicht, den nach wie vor bestehenden tiefen Graben zwischen diesen zuzuschütten, sind aber nicht dessen Ursache, sondern eher seine Folgen.

 

Eine Ursache für die zwischen ihnen bestehende Sprachlosigkeit dürfte darin liegen, dass Natur- und  Geisteswissenschaften in verschiedenen Welten beheimatet sind, in denen sie sich nur untereinander und in ihrer Sprache unterhalten. Nur gelegentlich treffen sich einzelne mutige Vertreter beider Welten und tauschen Monologe aus, meist ohne den Anderen wirklich zu verstehen. Um einen Dialog zu führen, bräuchten sie eine gemeinsame Sprache. Manche Naturwissenschaftler meinen nun, ihre Sprache, die Sprache der Naturwissenschaft, sei auch dazu geeignet, die Inhalte der Geisteswissenschaften zu beschreiben. Es würde daher reichen, wenn die Geisteswissenschaftler die Sprache der Naturwissenschaften erlernten, dann könnte sie ihre Inhalte ja in „naturwissenschaftlich“ übersetzen. Das jedoch weisen diese empört zurück.

Vielleicht könnten die Naturwissenschaftler ihre Inhalte stattdessen in „geisteswissenschaftlich“ übersetzen? Das aber geht auch nicht, denn in der Sprache der Geisteswissenschaften finden sich keine Termini, in die naturwissenschaftliche Termini wie „Masse“ oder „Energie“ übersetzt werden könnten, haben doch die Gegenstände der Geisteswissenschaften weder Masse noch Energie. Geist und Seele kann man nicht messen und wiegen, und ohne Messen und Wiegen kann man keine Naturwissenschaft betreiben.[1]

 

Wenn beide statt übereinander auch miteinander reden wollen, brauchen sie offensichtlich eine gemeinsame Sprache. Das muss eine dritte Sprache sein, die Termini enthält, in denen beide ihre Inhalte ausdrücken können. So eine Sprache ist beispielsweise die Mathematik, deren Begriffe die Anzahl von Entitäten unabhängig davon abbilden, ob sie eine Masse haben oder nicht. Mit der Zahl „3“ können Atome,  und Galaxien aber auch Ideen oder Seelen gezählt werden. Da gibt es keine Missverständnisse.

Man braucht also Begriffe, die Entitäten unabhängig von ihrer substanziellen Beschaffenheit abbilden. So ein verbindender Begriff ist der Begriff des Systems. Dieser Begriff  kann beliebige Entitäten abbilden, ein System von Atomen ebenso wie ein System von Ideen. Dass die Systemtheorie in ihrem gegenwärtigen Zustand dazu noch nicht ausreichend geeignet ist, ändert daran nichts. Eine auf einem geeigneten Systembegriff  aufbauende Systemtheorie sollte wohl ausgearbeitet werden können.

 

Die Sprache einer solchen Systemtheorie würde es zwar ermöglichen, dass Natur- und Geisteswissenschaftler Monologe formulieren, die der jeweils andere auch versteht, aber sie werden noch immer von verschiedenen Systemen sprechen, wenn auch in einer gemeinsamen Sprache. Die Sprache der Systemtheorie allein ermöglicht noch keinen Dialog. Dazu ist eine Sprache erforderlich, in der Systeme beider Art miteinander verbunden werden können.

Ein dazu geeigneter Begriff ist ein systemtheoretischer Begriff des Subjekts. Das Subjekt muss darin als Kategorie abgebildet werden, die physikalisch messbar ist und zugleich Ideelles hervorbringt. Das ist die native Aufgabe der Biologie. Zumindest die „höheren“ Tiere sind naturwissenschaftlich beschreibbare Systeme, die mittels ihrer Psyche Ideelles hervorbringen. Dazu aber muss die Biologie einen Begriff der Psyche entwickeln, der diese als biologische Funktion von Lebewesen abbildet. Dazu muss die Biologie das Leben als die Seinsweise von Subjekten verstehen. Das ist innerhalb des Paradigmas der Kausalität nicht möglich. Dazu muss man den Willen von Subjekten als messbare Kategorie definieren und neben der kausalen Determination als volitive Determination etablieren, die durch die Tätigkeit der Subjekte realisiert wird. Beiträge dazu habe ich auf meiner Website veröffentlicht.

  

[1] Der aktuelle Stand der Diskussion kann gut in „Gehirn und Geist“ nachgelesen werden. Sie erhielt im Jahr 2004 durch ein „Manifest führender Neurophysiologen“ und eine Antwort von Psychologen neuen Auftrieb. Meinen Standpunkt habe ich auf meiner Website dargelegt (Zum „Manifest“ und zur Antwort der Psychologen)

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Das Erkenntnisbedürfnis und unsere Erkenntnis

26. Februar 2008 - 10:32 Uhr

Unser Erkenntnisbedürfnis ist primär darauf gerichtet, beobachtbare Ereignisse zu verstehen, sie erklären und vorhersagen zu können. Nur wenn eine Erkenntnis das leistet, wird das Erkenntnisbedürfnis befriedigt, die Erkenntnis wird angenommen, sie wird angeeignet. Ein Erkenntnisbedürfnis erwächst aus dem Erkenntnissystem, das als „geistige Heimat“ des Erkennenden Paradigma seines Denkens ist. (vgl auch meinen Blogeintrag!) Ein Evolutionsbiologe wird beispielsweise die Mitteilung, dass Menschen- und Saurierknochen in derselben geologischen Schicht gefunden wurden, wohl ohne jede weitere Prüfung in das Reich der Märchen verweisen, während ein Kreationist sie ebenso ohne jede weitere Prüfung als unwiderlegbaren Beweis seiner Auffassung bejubeln würde.

 

Das unserem wissenschaftlichen Denken zugrunde liegende Paradigma ist das Kausalitätsparadigma. In diesem Paradigma muss jede Erklärung ihren Platz finden. In diesem Paradigma hat ein Subjekt mit eigenem Willen und eigenen Bedürfnissen jedoch keinen Platz, von ihm wird abstrahiert. Dieser Abstraktion vom Subjekt und seinem Bedürfnis fällt nun auch das Erkenntnisbedürfnis selbst zum Opfer. Wir reflektieren es nicht mehr und bedenken beim Erkennen nicht mehr, dass wir nicht nach einer beliebigen wahren Erkenntnis suchen, sondern nach einer kausalen Erklärung. Alle nichtkausalen Erklärungen werden vor allem in den Naturwissenschaften als „metaphysisch“ und damit als unwissenschaftlich, eben als subjektiv betrachtet und zurückgewiesen. Sie befriedigen das Bedürfnis nach „objektiver“ Erkenntnis nicht. Dabei wird nicht reflektiert, dass es eben dieses subjektive Bedürfnis des erkennenden Naturwissenschaftlers ist, mit dem er eine Erkenntnis bewertet. Wir suchen sucht keine beliebige Erkenntnis, sondern eine kausalistische. Dieses Bedürfnis bestimmt, was wir wissen wollen (selbst wenn wir die Existenz eines eigenen Willen bestreiten). Dabei bemerken wir gar nicht, in welche spanischen Stiefel unser Wollen unser Denken gezwängt hat.

Diese Abstraktion vom Subjektiven ist aber nur in reflektierter Form – und nur in dieser – und nur solange berechtigt, solange keine Subjekte im Spiel sind.

 

Das wird beispielsweise in den Debatten um den Systembegriff deutlich. Man strebt „selbstverständlich“ einen „naturwissenschaftlichen“, „objektiven“ und das heißt. kausalistischen Systembegriff an, den Begriff eines „Systems ohne Subjekt“. Ein solcher Begriff muss aber unvollständig bleiben, weil Merkmale wie „Funktion“ oder „Sinn“ das Subjekt als Bezugsgröße erfordern und rein kausalistisch nicht zu beschreiben sind. Dieses Hindernis wird nun mit den verschiedensten Krücken zu umgehen versucht. Der „objektive Beobachter“ ist dabei noch die ungefährlichste weil halbherzige Scheinlösung. Mag diese Lösung für Quantenphysik und Relativitätstheorie noch angehen, wird sie für Wissenschaften von Subjekten wie Biologie oder Psychologie zur tödlichen Gefahr.

 

Ein anderer Ansatz besteht darin, das Subjekt mit dem Begriff „Systemtheorie 2. Ordnung“ in die Systemtheorie einzuführen. Dieser Ansatz erfordert aber, um vollständig zu sein, das Konstrukt eines „Beobachters des Beobachters“ usw., was schließlich zu einem unendlichen Regress führt. Dieser kann nur aufgehoben werden, wenn das Subjekt auch als „Ich“ begriffen wird. Ich bedarf der Erkenntnis für mein Erkenntnisbedürfnis, denn die Erkenntnis befriedigt mein Erkenntnisbedürfnis nur dann, wenn sie das Ereignis in meinem Erkenntnissystem erklärt. Dann aber wäre der Subjektbegriff aber „subjektiv“, für jeden gäbe es dann einen anderen. Deshalb bleibt dieser Systembegriff entweder unvollständig oder widersprüchlich.

 

In den biologischen Wissenschaften wird das Leben (das lebende System) in das Kausalitätsparadigma eingeordnet und ebenfalls auf die kausalistische Denkfigur „Ursache – Wirkung“ abgebildet. Dieser Position ist stets widersprochen worden. Dieser Streit der Positionen ist als „Mechanismus – Vitalismus – Streit“ Teil der Geschichte der Biologie [1]. Heute spielen in der Biologie Positionen, die sich (noch oder schon wieder) als vitalistisch outen,  keine bedeutende Rolle mehr. Der Vitalismus wird gelegentlich von der Emergenztheorie  ersetzt. Gelöst ist die Frage nach der Natur des Lebendigen dadurch nicht, das Problem wird nur verschwiegen. Damit aber ist der Tummelplatz geschaffen, auf dem sich die Apologeten des ID und andere Kreationisten austoben.

 

Noch deutlicher wird die Unhaltbarkeit des Versuchs, in der wissenschaftlichen Erkenntnis vom Subjektiven zu abstrahieren, in den psychologischen Wissenschaften.[2] Es ist die gemeinsame Überzeugung von Psychologen und Erkenntnistheoretikern, dass Psyche und Geist – was immer das sein mag -  auf jeden Fall immaterieller Natur sind, deren Gesetze nicht auf die Gesetze der Naturwissenschaften zurückgeführt werden und die nicht oder zumindest nicht ausschließlich in der Sprache der Naturwissenschaften dargestellt werden können. Zugleich aber will man nicht darauf verzichten, diese Gegenstände mit den Methoden der Naturwissenschaften zu untersuchen. Besonders die Psychologie versteht sich selbst als Naturwissenschaft.

Wenn wir die Welt so erkennen wollen, wie sie wirklich ist, wenn das unser Erkenntnisbedürfnis ist, dann reicht der Kausalismus allein nicht aus. Wir werden wir uns unweigerlich dem Subjekt zuwenden müssen und dieses in unser wissenschaftliches Denken einbeziehen, denn unsere Welt von heute ist eine Welt mit Subjekten, die die Welt zunehmend nach ihrem Willen gestalten und erkennen. Unsere Welt ist eine gestaltete und erkannte Welt.

 

[1] Eine gute Übersicht findet man in einem Essay von Franz M. Wuketits im Spektrum Online-Lexikon (kostenpflichtig).

[2] Der aktuelle Stand der Diskussion kann gut in „Gehirn und Geist“ nachgelesen werden. Sie erhielt im Jahr 2004 durch ein „Manifest führender Neurophysiologen“ und eine Antwort von Psychologen neuen Auftrieb. Meinen Standpunkt habe ich hier und hier dargelegt.

 

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Antitheorie Darwinismus

5. Februar 2008 - 11:23 Uhr

Die harscheste Kritik am Darwinismus, die mir in letzter Zeit begegnete, ist die von Robert B. Laughlin, Nobelpreisträger 1998 für Physik in seinem Buch „Abschied von der Weltformel“.

In diesem Buch geht es um den Streit um den Reduktionismus, jene wissenschaftliche Grundhaltung, nach der die Gesetze der verschiedenen Bereiche der Welt letztlich auf  einfache Gesetze der Physik zurückgeführt und aus diesen abgeleitet werden können. War einst (neben der Religion) der Vitalismus die bedeutendste erkenntnistheoretische Alternative des Reduktionismus, so nimmt heute die Emergenz die Stelle der „Vis vitalis“ ein.

Die gemeinsame Grundlage dieses Streits ist die Vorstellung von einer hierarchischen Organisation der Natur in Schichten oder Ebenen, die klar unterscheidbare Bereiche bilden, in denen spezifische Gesetzen gelten, die für genau diesen Bereich zutreffen. Die Frage ist nun, ob zwischen den Gesetzen dieser unterschiedlichen Bereiche oder Schichten Beziehungen der Art gelten, dass die Gesetze des einen  Bereichs aus denen eines anderen (des „grundlegenden“) abgeleitet werden können. Der Reduktionismus beantwortet diese Frage mit einem klaren „Ja“, der Emergentismus mit einem ebenso klaren „Nein“.

Es liegt auf der Hand, dass der Streit entschieden werden könnte, indem die „Weltformel“ gefunden wird und eine gültige (was immer das sein mag) „Theory of Everything“ (TOE) formuliert ist. Bis dahin kann jeder an seine Antwort nur glauben und die andere als „ideologisch“ abtun. Laughlin meint daher, „…dass ein großer Teil des heutigen biologischen Wissens ideologischer Natur ist. Ein Leitsymptom für ideologisches Denken ist die Erklärung, die nichts impliziert und nicht getestet werden kann. Ich be­zeichne solche logischen Sackgassen als Antitheorien, weil sie sich genau gegenteilig auswirken wie richtige Theorien: Sie lassen das Denken zum Stillstand kommen, statt es anzure­gen. Beispielsweise fungiert die von Darwin ursprünglich als großartige Theorie entworfene Lehre von der Evolution durch natürliche Selektion in jüngster Zeit eher als Antitheorie. Man zieht sie heran, um peinliche experimentelle Mängel zu ver­bergen und Befunde zu legitimieren, die bestenfalls fragwür­dig und schlimmstenfalls »noch nicht einmal falsch« sind. Ihr Protein trotzt den Massenwirkungsgesetzen? Das ist das Werk der Evolution! Ihr komplizierter Mischmasch aus chemischen Reaktionen verwandelt sich in ein Hühnchen? Evolution! Das menschliche Gehirn arbeitet nach logischen Prinzipien, die kein Computer nachahmen kann? Ursache ist die Evolution!“ [1] Es geht ihm also nicht um den Darwinismus an sich, was er ist, sondern darum, welche Gestalt dieser heute vielfach angenommen hat, als was er heute „fungiert“. In dieser Form werden mit dem Darwinismus oft Erklärungen vorgetäuscht, wo er keine gibt. Eine umfassende Debatte um die Erklärungsdefizite der Evolutionstheorie findet in der Biologie nur am Rande statt.[2] Umso lebhafter bemächtigen sich Kreationismus und ID dieses Umstands.

Seit Darwin haben die Naturwissenschaften umfangreiche Fortschritte gemacht, durch die wir die Grundlagen des Darwinismus, Mutation und Auslese weitaus tiefer verstehen als Darwin und seine Zeitgenossen. Dadurch wurde aber auch immer deutlicher, worin die Erklärungsdefizite der darwinistischen Evolutionstheorie bestehen. Die „Inputs“ der beiden grundlegenden Kategorien dieser Theorie, Mutation und Auslese sind nicht Gegenstände der Evolutionstheorie, sondern anderer Theorien. Deshalb sind sie in der biologischen Theorie, als biologische Prozesse letztlich unverstanden und können daher die Evolution nicht erklären. Diese Tatsache verschleiert die Biologie, indem sie den Zufall als theoretische Kategorie eingeführt haben. Dazu habe ich hier schon einmal gepostet.

 

Ãœber den Zufall als wissenschaftliche Kategorie schreibt Gerhard Vollmer im Online-Lexikon des Spektrumverlages:

„Für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch muß der Zufallsbegriff präzisiert werden. Dabei sind verschiedene Bedeutungen zu unterscheiden…:- Ein Ereignis ist objektiv zufällig, wenn es keine Ursache hat.- Ein Ereignis ist subjektiv zufällig, wenn wir dafür keine Erklärung haben und auch keine erwarten.

Beiden Begriffen gemeinsam ist die Tatsache, daß das Geschehen, soweit wir wissen, auch anders oder gar nicht ablaufen könnte, daß es nicht determiniert, nicht „naturnotwendig“ war. … Während aber der objektive Zufallsbegriff die Struktur der Welt beschreibt, bezieht sich der subjektive auf unser Wissen. Zwischen beiden besteht natürlich ein Zusammenhang: Für ein ursachloses Ereignis gibt es auch keine Erklärung.

[…]

Zufällig im objektiven Sinne ist aber auch das Zusammentreffen vorher unverbundener Kausalketten. … der Hammer des Dachdeckers fällt (ohne böse Absicht) dem vorübereilenden Arzt auf den Kopf; ein Gammaquant vom Fixstern Sirius löst in einem Chromosom eine Mutation aus. Obwohl jede einzelne Kausalkette in sich geschlossen und vielleicht vollständig erklärbar ist, bleibt doch das Zusammentreffen dieser lückenlosen Kausalketten ohne direkte Ursache, also auch ohne Erklärung; es ist zufällig.“ [3]

Diese Form des Zufalls nennt Vollmer „relativer Zufall“

Die Zufälligkeit der Evolutionstheorie ist von dieser Art. Die bekannten Ursachen von Mutationen und von Veränderungen der Umwelt, welche die Richtung der Selektion bestimmen, werden in eigenständigen, nichtbiologischen theoretischen Systemen beschrieben. Ihre Ereignisse sind in Bezug auf die Evolution zufällig.

Die Evolutionstheorie muss sich vielmehr der folgenden Frage stellen:

Käme es auch ohne diese zufälligen Einwirkungen der Umwelt zur Evolution des Lebens?

Wie wäre sie in diesem Fall verlaufen? – Hätte sie z.B. auch zu intelligenten gesellschaftlichen Wesen geführt? Erst mit der Beantwortung dieser Fragen wäre die Evolutionstheorie zu einer Theorie geworden, welche die Evolution auch erklärt.

Für mich ist die reduktionistische Antwort auch die spannendere. Vom Standpunkt der Emergenztheorie aus könnte ich den Reduktionisten nur beim Forschen zusehen und hoffen, dass sie erfolglos bleiben, denn nur so könnte ich im Recht bleiben – unbefriedigend!

  

[1] Laughlin, Robert B. (2007): Abschied von der Weltformel, Piper & Co. Verlag, München, Zürich, S. 248f.

[2] vgl. z.B. Gutmann, Wolfgang Friedrich (1995): Die Evolution hydraulischer Strukturen * Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung, Morris, Simon Conway (2003): Life’s Solution / Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge University Press, New York und Melbourne, oder Kirschner, Marc. W.; Gerhart, John C. (2007): Die Lösung von Darwins Dilemma, Cambridge University Press, New York und Melbourne und mein Posting dazu!

[3] Gerhard Vollmer: Zufall. Essay, Online-Lexikon,  Download 28.1.2008

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Carsten Könnecker und die Querdenker

27. Januar 2008 - 15:50 Uhr

In der GUTEN STUBE postet Carten Könnecker über Wissenschaftler, die den Versuch unternehmen, interdisziplinär zu denken. Und er hat sicher Recht wenn er meint „…dass es wahre Interdisziplinarität nicht zwischen Köpfen, sondern nur innerhalb der einzelnen Köpfe geben kann. Von solchen Köpfen sollte es mehr geben.“ Und weiter schreibt er: „

Was ich hier loswerden möchte, ist eine Erfahrung Northoffs, die leider die meisten Menschen machen, die eine interdisziplinäre oder doppelte Qualifikation erworben haben und an der Uni bleiben: Man passt in keine Schublade und wird mit seinen “seltsamen” Ansichten von den Kollegen auf beiden Seiten belächelt – oder sogar richtiggehend ausgegrenzt. Speziell Wanderer zwischen Natur- und Geisteswissenschaften haben es schwer, weil der Beton in den Köpfen hüben wie drüben oft atomkriegsicher ist. Die Mehrfachqualifikation gereicht zum Nachteil.“

Dem kann ich aus eigener Erfahrung nur zustimmen.

Was gebraucht wird, sind aber nicht nur Köpfe, die interdisziplinär denken, sondern auch Redaktionen, die solche Köpfe auch erkennen und verstehen. Dazu müssen sie sich der Mühe unterziehen, solche Gedanken erst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Das ist schwer und manchmal zeitaufwendig, muss man doch Gedankengängen folgen, die einem fremd sind. Da kann im Alltagsgetriebe schon mancher „Quergedanke“ auf der Strecke bleiben und als „unverlangt eingereichtes Manuskript“ abgelegt werden.

Darin liegt ein weiteres Problem, mit dem sich „Querdenker“ plagen. Man verlangt von Ihnen keine Manuskripte, denn die Rubrik, in die sie passen würden und zu der man Beiträge bräuchte, gibt es oft noch nicht. . Aus dem gleichen Grunde werden auch ihre Bücher in den etablierten Zeitschriften nur selten rezensiert. In dieser Situation hat der Querdenker nur zwei Möglichkeiten: Er zieht sich in seinen Schmollwinkel zurück oder er gibt keine Ruhe, und wird so leicht vom Querdenken zum Querulant.

Wer aber außer den Redaktionen wissenschaftlicher Zeitschriften kann dazu beitragen, den „Beton in den Köpfen“ abzubauen? Wenn sie sich dieser Verantwortung stellen, wird aus manchem unverlangten Manuskript ein verlangtes werden.

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Haben Tiere Bewusstsein?

23. Dezember 2007 - 10:50 Uhr

In SpektrumDirekt vom 20.12.07 berichtet Tanja Krämer über Untersuchungen der Variation des Gesangs japanischer Mövchen (Lonchura  striata var. domestica). Die Sache wäre an sich für mich nicht besonders interessant, wenn sie dazu nicht Termini wie „Absicht“ und „bewusst“ verwendet hätte. Was einem etablierten Verhaltensbiologen, der in den Kategorien des Behaviorismus denkt, vielleicht ein müdes Lächeln entlockt hätte, das provoziert einen mich,  der über die paradigmatische Situation der Biologie nachdenkt, geradezu zu der Frage, was denn im Verhalten von Vögeln „bewusst“ genannt werden könnte. Wir sind ja nicht einmal imstande, eine einigermaßen konsensfähige Definition des menschlichen Bewusstseins hinzukriegen, obwohl wir doch alle über ein solches verfügen.

Wenn wir von unserer Kenntnis über unser jeweils eigenes Bewusstsein ausgehen, dem einzigen, das uns in unserer Erfahrung gegeben ist, dann wird man wohl die Frage verneinen müssen, ob Vögel über etwas gleichartiges verfügen, ja ob überhaupt Tiere über mentale Fähigkeiten verfügen, die unserem Bewusstsein gleichartig sind.

Andererseits weisen die zitierten und andere Untersuchungsergebnisse sowie unsere alltäglichen Erfahrungen mit Tieren darauf hin, dass es im mentalen Bereich der Tiere funktionelle Komponenten geben muss, die das Tier zu Leistungen befähigen, für die wir unser Bewusstsein benutzen. Eben das bringt uns dazu, diese Leistungen mit Termini zu beschreiben, mit denen wir auch unsere mentalen Prozesse beschreiben. Nur – ist das berechtigt? Ist das überhaupt zulässig? Schreiben wir damit den Tieren nicht Eigenschaften und Fähigkeiten zu, über die sie noch nicht verfügen und noch nicht verfügen können, jedenfalls dann nicht, wenn wir die Theorie der Evolution ernst nehmen.

In jedem Fall sollten Tiere aber über eigenständige mentale Fähigkeiten verfügen, aus denen im Verlaufe der Evolution das menschliche Bewusstsein hervor gegangen ist. Solche Vorformen des Bewussten sollte es in unterschiedlicher Ausprägung geben, ähnlich wie Gliedmaßen oder Verdauungsorgane in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen. Für diese haben wir auch unterschiedliche Bezeichnungen wie “Flossen”, “Hufe”, “Tatzen” oder “Honigmagen” und “Pansen”. Für die unterschiedlichen mentalen Zustände dieser Tiere haben wir keine Worte. Und deshalb können wir die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere nicht beantworten, wir wüssten gar nicht, welche Worte wir für die anzunehmenden mentalen Prozesse beispielsweise der Fliegen mit dem eigenen Willen benutzen sollten.

Die fehlenden Worte stehen für fehlende Begriffe. Wir wissen gar nicht, wofür wir überhaupt Worte bräuchten, weil wir nicht den Schatten einer Idee haben, welche mentalen Prozesse tierischem Verhalten zugrunde liegen. Das wird auch so  bleiben, solange Verhaltensbiologie und Psychologie ihre Untersuchungen reduktionistisch anlegen und die mentalen Funktionen aus der Erforschung der Teile des Nervensystems ableiten wollen. Das diesem Vorgehen zugrunde liegende kausalistische Paradigma hat in den letzen 100 Jahren allen „Manifesten“ zum Trotz und bei allen Fortschritten des Technischen aber keinen ernsthaften Beitrag zum Verständnis mentaler Prozesse geleistet. Wir verstehen weder das menschliche Bewusstsein noch die tierische Psyche. Wir haben auf diesem Wege zwar eine Fülle von Daten produziert. Von diesen kann man aber, um eine Formulierung Laughins zu benutzen, höchstens sagen, dass sie „nicht einmal falsch sind“, denn es fehlt ein begriffliches und terminologisches System der Psyche, des Mentalen, aus dem Daten vorhersagbar sind und in dem die Daten experimenteller Untersuchungen eine Bedeutung erhalten. So können Daten mangels einer Theorie auch keine Theorie verifizieren. Wozu sind sie aber dann nütze? Ohne ein theoretisches System sind solche Daten bedeutungslos, so bunt die Bilder auch sein mögen.

Die Eignung des reduktionistischen Paradigmas zur Lösung von Fragen nach dem Mentalen im tierischen Verhalten wird heute nicht nur von Kreationisten und ID- Apologeten in Zweifel gezogen, sondern vor allem auch von ernsthaften Naturwissenschaftlern. So hat der Physiknobelpreisträger 1998 Robert Lauglin in seinem Buch „Abschied von der Weltformel“ (Piper 2007) gezeigt, dass dieses Paradigma nicht einmal mehr ausreicht, die moderne Physik hinreichend abzubilden. Der Biochemiker Stuart Kauffmann hat dies auch für die Biologie gezeigt, z.B. in „Der Öltropfen im Wasser“ (Piper 1996). Um wie viel weniger ist das Kausalitätsparadigma dann ungeeigneter, Fragen nach Psyche und Bewusstsein zu beantworten.

 

Allen meinen Lesern wünsche ich ein Frohes Weihnachtsfest und alles Gute für 2008. Ich melde mich erst Ende Januar wieder.

 

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Ursachen der Evolution

13. Dezember 2007 - 10:52 Uhr

Björn Kröger stellt in seinem Blog „tiefes Leben“ die alte Frage nach den Ursachen der Evolution. Zum Schluss schreibt er:

„Wenn unsere Fragen, dagegen vom Trigger weggehen, dann wird es kompliziert. Dann dauert es möglicherweise Jahre bis genügend Daten zusammen sind um eine Faunenanalyse anzustellen, oder wir müssen ganz unspektakulär und ohne viel Hightech auf regionaler Ebene die Veränderungen in den Ökosystemen untersuchen. Und was dabei herauskommt lässt sich schwer verkaufen, weil es widersprüchlich, kompliziert und schwer verständlich ist. Wollen wir so etwas wissen?“

Ich schon!

Vor allem finde ich interessant, dass er sich Ursachen denken kann, die außerhalb des Bereichs der üblichen Verdächtigen wie dem Klima und anderen Katastrophen liegen. Damit ist er nicht allein, seit Uexküll gab und gibt es immer wieder Denkansätze, die in diese Richtung zielen und Evolution nicht oder nicht ausschließlich als Folge zufälliger Umweltveränderungen betrachten. Einige habe ich hier zusammengetragen.

Wie kommt es eigentlich zur Frage nach den Ursachen der Evolution? Diese Frage entspringt dem naturwissenschaftlichen Paradigma der Kausalität, das besagt, dass jede Erscheinung auf der Welt eine natürliche Ursache außer ihr, eben einen „Trigger“ haben muss. Also auch die Evolution. Als zulässige Antworten lässt dieses Paradigma nur die Angabe ebenfalls natürlicher Ereignisse zu, die das zu erklärende Ereignis hervorrufen und es so erklären. Eine Antwort der Art, dass es solche Ereignisse nicht gibt, weil die „Ursache“ des zu erklärenden Ereignisses in ihm selbst liegt, ist in diesem Paradigma unzulässig. Wenn die Wissenschaft eine Ursache noch nicht kennt, führt sie Hilfskonstruktionen ein: den Zufall, die Emergenz, den Kollaps der Wellenfunktion usw.

Der britische Paläontologe Simon Conway Morris schreibt zu Fragen, die auf die Ursachen der Evolution zielen: “Es gibt Fragen, die sind rein rhetorisch, und andere, die sind einfach dumm. Was die im Titel dieses Beitrags formulierte Frage (Sind Menschen ein unvermeidliches Ergebnis der Evolution? – G.L.) angeht, so vertritt die überwiegende Meinung unter den Evolutionsbiologen mit großer Sicherheit und Gelassenheit die Meinung, daß sie zur zweiten Kategorie gehört: Menschen sind nicht unvermeidlicher als Aasgeier oder Schimmelpilze. Diese Ansicht ist auf den ersten Blick vollständig konsistent mit dem gegenwärtigen Denken, das betont, wie sehr die Evolution als ein historischer Prozeß im ganzen durch zufällige Prozesse im einzelnen bestimmt wird.” (Morris, Simon Conway (2003): Die Konvergenz des Lebens. In: Fischer & Wiegandt (Hrsg.): Evolution  Geschichte und Zukunft des Lebens, S. 128) Wie man aus dem Zitierten folgern kann, ist Morris der Ansicht, dass die Evolution im Gegenteil ein gerichteter Prozess ist und ihre Ergebnisse keineswegs zufällig sind. Aber lest doch selbst: Simon Conway Morris: (2003): Life’s Solution / Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge University Press, New York und Melbourne. (Soll 2008 in Deutsch erscheinen.)

Es geht nicht darum, das Paradigma der Kausalität aufzuheben, sondern darum, dass es ungeeignet ist, den Rahmen für das Verstehen von Lebensvorgängen wie der Evolution zu bilden. Das Leben ist kausal nicht oder zumindest nicht vollständig erklärbar. Man muss die spanischen Stiefel des Kausalismus ablegen, wenn man sich auf die Suche  nach weiteren Formen der Determiniertheit zwischen Zufall und Kausalität machen will. Wenn man nur danach suchte, würde man sie auch finden – auch wenn es sich schwer verkauft. Wer gibt schon Geld für ein Projekt, das die Richtung der Evolution herausfinden will – wo doch „jeder“ weiß, dass es keine gibt.

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Mutter mit 64

8. Dezember 2007 - 10:42 Uhr

Was soll das, fragt sich mancher, der die Nachricht von der 64-jährigen Mutter gesehen oder gehört hat. Warum tut die Frau das sich und ihrem Kind an? Da sich die Frau zu ihren Motiven nicht öffentlich geäußert hat, bleiben dem Publikum nur Spekulationen. Warum wollen Menschen überhaupt Kinder?

Manche wollen Kinder haben, im unmittelbaren Sinne der Wortes „haben“, besitzen, über sie verfügen. Die Kinder bedienen ein Bedürfnis der Eltern, das Bedürfnis nach Anerkennung, sie wollen es mit Stolz vorzeigen können, es macht Spaß, ein Kind zu haben usw. Das Kind ist „Lustobjekt“ der Eltern, das ihnen Spaß machen soll. Ehrlich, wollten Sie so ein Kind sein?

Was aber, wenn so ein Kind nicht zum Vergnügen der Eltern leben will, sondern - wie diese Eltern - zu seinem eigenen Vergnügen? Solche Familien, in denen jeder nur seinem Vergnügen nachjagt, machen keinen glücklich und brechen nicht selten auseinander, Beispiele sind dank der voyeuristischen „Berichterstattung“ unserer Medien hinlänglich bekannt. Noch schlimmer wäre es, wenn das Kind wirklich so leben wollte, dass die Wünsche seiner Eltern der Sinn seines Lebens wären und sein Leben dominierten.

Ein denkbares Motiv wäre auch der Wunsch der Eltern, im Alter versorgt zu werden. Sie schließen den viel zitierten „Generationenvertrag“. Der kindliche Partner wird dabei gar nicht gefragt, und die zu Versorgenden bestimmen das Maß ihrer Versorgung selbst. Was Wunder, dass später immer wieder Junge nicht zu so einem Vertrag stehen wollen, ihre Stimme erheben und wie manche smarte Jungmanager diesen Vertrag korrigieren oder gar aufheben möchten. Wie aber, wenn die Eltern diesen Vertrag gar nicht eingehen wollen? Ist die Babyklappe vielleicht nur eine konsequente Form der Kündigung des Generationenvertrags?

Unabhängig von den subjektiven Wünschen und Motiven erfüllen die Kinder aber auch eine objektive Funktion im Leben der Gesellschaft: Sie gewährleisten die Erhaltung der Gesellschaft in der Zeit. Nicht dass das den Menschen verborgen geblieben wäre, manche politische Sonntagsrede zeugt davon. Aber dass dieses Ziel zum Motiv individueller Handlungen gemacht wird, das gilt in unserem Lande nicht wirklich als Wert. Dabei wäre dieser Wert als Motiv des Kinderwunsches der moralische Ort, an dem sich alle Generationen treffen könnten.

Gleichgültig, welcher Wunsch die Mutter mit 64 getrieben hat, zur Erhaltung der Gesellschaft hat sie beigetragen, auch wenn der statistisch zu erwartende individuelle Nutzen gering bleiben dürfte.

Alles Gute für Mutter und Kind!

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Voraussagen und erklären

1. Dezember 2007 - 10:28 Uhr

regenbogenschlange_2.jpg

Als ich mir wieder einmal meine Urlaubsfotos ansah, fiel mir auch das Bild mit der Regenbogenschlange aus dem australischen Kakadu - Nationalpark in die Hand. Ich erinnerte mich an die Geschichten aus der Mythenwelt der Aborigines, die uns der Guide erzählt hatte. Diese haben schon lange mein Interesse geweckt, sind sie doch die älteste Kultur, die es auf unserer Erde gibt.

 

30.000 Jahre ununterbrochene Weitergabe eines Weltbildes, welches das Überleben einer Gesellschaft in einer sehr komplizierten Umwelt gewährleistet hat. Das erfordert auch Erklärungen und erfolgreiche Voraussagen über zu erwartende Ereignisse.

Lanius berichtet z.B. darüber, wie die Aborigines Zeugung und Empfängnis erklären. Beides besteht in den Vorstellungen der Aborigines aus einem biologischen und einem spirituellen Teil. Letzterer beruht auf der Vorstellung eines Geistkindes. Geistkinder sind nicht als materielle Wesen aufzufassen, die als Keime oder Vorformen realer Babys existieren. Sie sind immaterielle Wesen, die sich bevorzugt an besonders fruchtbaren Orten befinden, wo sie durch die mythischen Ahnen hinterlassen wurden

Eine alte Aborigine erklärte dazu: Ja, ich weiß, was der Weiße sagt, aber ich glaube nicht, dass er recht hat. Wenn es stimmen würde, müssten verheiratete Frauen andauernd Kinder bekommen, weil sie ja ständig mit ihren Ehemännern zusammenleben. Aber das ist nicht der Fall. Einige Frauen haben viele Kinder, manche nur wenige und wieder andere haben gar keine. Der Weiße kann das nicht erklären, aber wir schon. Wenn eine unserer Frauen viele Babys hat, wissen wir, dass sie ein Liebling der muri, der kleinen Geistkinder, ist. Wenn eine andere nur wenige Kinder hat, wollen nur ein paar muri sie als Mutter. Und wenn eine Frau gar keine Kinder bekommt, dann weiß jeder, dass die kleinen Geistkinder sie nicht mögen. Nein-, so kam die alte Dame zu dem Schluss, ich glaube nicht, dass der Weiße recht hat, denn er kann das alles nicht erklären, wir aber schon. (Nach Lanius, Karl (Leipzig 2005): Weltbilder,  S 42 ff.)

Wir haben ungezählte wissenschaftliche Erklärungen zur Hand, warum es aber gerade die eine Frau trifft und die andere nicht, das bleibt in unserem wissenschaftlich geprägten Erkenntnissystem dem „Zufall“ überlassen.

Die Aborigines brauchen Zufall nicht zu bemühen, um zu erklären, warum eine Frau keine Kinder bekommen kann. Mehr und anderes Wissen war nicht erforderlich, um überleben zu können. Was zufällig ist und was voraussagbar, wird von dem Erkenntnissystem bestimmt, in dem das zu erklärende Ereignis erklärt wird. Nicht das Ereignis ist zufällig, nur seine Stellung in unserem Weltbild (mehr>>).

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Fantasien

26. November 2007 - 16:40 Uhr

Natürlich, wieder die falschen Zahlen. Nicht ich lag falsch, sondern das Ziehungsgerät, natürlich!

Ich kann nicht einmal sagen, dass ich darüber besonders unglücklich wäre. Es waren doch schöne Tage, an denen ich meiner Fantasie freien Lauf ließ und überlegte, was ich mit dem Geld alles anfinge, wenn ich es denn gewänne! Zuerst …, und dann….

Freilich, das kann ich auch, ohne im Lotto zu spielen, aber mit dem Lottoschein in der Hand werden die Träume irgendwie realistischer! Sie geraten in den Bereich des Möglichen. Was will ich mehr für 5 Euro?

Aber halt! Als wissenschaftlich gebildeter Mensch des 21. Jahrhunderts fällt mir Roth ein. Eigentlich kann ich gar keine Fantasien haben, wenn ich nicht einmal einen eigenen Willen habe. Es sind alles nur feuernde Neurone in meinem Gehirn, die meine Fantasien erzeugen. Und wenn ich jetzt statt auf meinem Sofa in Libets Labor säße, würde ich auch erfahren, wie viele Millisekunden mein Gehirn schneller ist als ich.

Überhaupt, ich sitze gar nicht auf meinem Sofa, sondern mein Ich hockt irgendwo ganz hinten in meinem Großhirn und lacht mich aus! Und wer sitzt da auf meinem Sofa und guckt die Ziehung der Lottozahlen?

Nein, so können die Probleme der Psyche und des Ichs nicht gelöst werden (mehr>>). Da hätte man ja keine Freude mehr am Lotto! Ich denke, das Gehirn ist mein Organ wie meine Beine und Hände. Diese nutze ich nach meinem Willen. Meine Hände bestimmen nicht, was sie schreiben, und mein Gehirn bestimmt nicht, was ich denke - jedenfalls solange ich gesund bin.

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Alles Zufall?

20. November 2007 - 17:08 Uhr

 

Der Jackpot ist wieder einmal voll – 21 Millionen. Ob ich´s wieder mal riskiere?

Ich überlege: was wäre zu tun, um die Ergebnisse der Ziehung vorherzusagen. Eigentlich müsste das doch möglich sein, da bei diesem Geschehen nur ganz einfache Gesetze der Mechanik wirken. Der Weg jeder einzelnen Kugel ist streng kausal determiniert. Beim dem Billard mit den drei Kugeln geht es doch auch. Das ist doch kein Glücksspiel. Na gut, bei mir schon aber nicht bei den Könnern. Da ist der Weg jeder Kugel genau berechnet und voraussagbar. Die Kugeln sind doch keine Subjekte mit einem eigenen Willen!

Man müsste nur von den 49 Kugeln die genauen Parameter der Anfangsbewegung in den Computer eingeben (das ließe sich über genaue Messgeräte auch automatisieren) und dann die Bewegungen der Kugeln berechnen. Wie viele Rechenoperationen sind dazu notwendig? Wie viele Zusammenstöße geschehen in der Sekunde (ca. 25×10 ?). Also müssten in jeder zehntel Sekunde neue Parameter für jede Kugel berechnet werden, um 25 neue Zusammenstöße berechnen zu können. Ich fürchte, mein Computer ist da überfordert. Aber selbst wenn er das könnte, ich könnte die Ergebnisse, die er in dieser Zeit anzeigt, weder wahrnehmen noch denken. Dazu ist mein Denkorgan nicht fähig.

„Zufällig“ nenne ich also alles das, zu dessen Berechnung und Voraussage ich nicht fähig bin, auch wenn das Geschehen selbst prinzipiell berechenbar ist. Zufall ist also die Unberechenbarkeit des Berechenbaren!

So eigenartig es klingt, das Kausalitätsparadigma ist der Vater des Zufalls. Solange auch das wissenschaftliche Denken im Rahmen der Religion stattfand, brauchte man keinen Zufall, ein allmächtiges Wesen bestimmte alles. Aber seit das Trägheitsgesetz Newtons zum Paradigma wissenschaftlichen Denkens überhaupt geworden ist, sind - Descartes folgend - Ereignisse ohne Ursache nicht denkbar. Um nun solche Ereignisse, deren Ursache wir nicht angeben können, logisch widerspruchsfrei in wissenschaftliche Systeme einordnen zu können, wurde das Konzept der zufälligen Ereignisse erfunden. Mit dem Zufall wurde eine Denkfigur konstruiert, mit dem Unerklärtes erklärbar wird. In den verschiedenen Wissenschaften hat der Zufall auch seine eigentümliche Gestalt. So ist es kein Zufall, dass grundlegende Begriffe weit reichender Theorien den Charakter zufälliger Ereignisse haben. In der Biologie sind dies die Mutationen, in der Quantenmechanik werden „hidden variables“ postuliert und in der Systemtheorie emergieren Eigenschaften. Und dass der Mensch schließlich rein zufällig entstanden ist, weiß heute jedes Kind.

Damit sind allmächtige Wesen natürlich nicht aus dem Denken verschwunden, im Gegenteil, sie haben sich vermehrt. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der „intelligente Designer“ geboren. Aber diese Wesen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Heute sind auch sie in die Fänge des Kausalitätsparadigmas gefallen. Erst wenn wir keine physikalische Ursache mehr angeben können, kommen sie zum Zuge, als zwar letzte - aber doch als Ursache.

Ãœbrigens: Wie intelligent muss eigentlich der Designer des intelligenten Designers sein?

Ist schon spannend, wohin die Gedanken über einen erhofften Lottogewinn einen so führen können. Mag der Zufall also weiter wirken, denn wer würde schon Lotto spielen, wenn die Ergebnisse berechnet werden könnten? Ach was, ich riskier´s!

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